Eine Schwarze Frau steht im schwarzen Glitzeranzug und weißem Federmantel auf einer Bühne.

Stand: 22.09.2025 16:26 Uhr

Nach „Was ihr wollt“ von Shakespeare am Freitag folgte mit „Marschlande“ am Sonntag das zweite Stück unter der neuen Intendanz von Sonja Anders am Thalia Theater. Gelungen ist die Inszenierung nicht so recht.

von Peter Helling

Es beginnt alles ganz kuschelig und idyllisch. „Diese Felder, diese Weite“, schwärmt Britta. „Herzlich willkommen in den Vier- und Marschlanden, dem Gemüsegarten Hamburgs!“, schallt es ihr entgegen. Britta, gespielt von Cathérine Seifert, zieht mit Mann und Tochter aus der Stadt in ein Häuschen in den Vier- und Marschlanden. „Es ist schön!!“, rufen sie gemeinsam aus. Doch der Schein trügt.

Frauenschicksale auf zwei Zeitebenen

Für Brittas überarbeiteten Ehemann ist es ein erfüllter Traum, für sie bedeutet der Umzug Einsamkeit. Dann stößt sie auf einen Namen, der sie neugierig macht, den der Abelke Bleken. „Abelke, eine alleinstehende Bäuerin, wusstest du das? Das war zu dieser Zeit echt selten“, sagt Britta. Die historische Figur hat hier vor 450 Jahren als Großbäuerin gelebt. Und damit betritt die zweite Hauptfigur die Bühne in Gestalt von Nellie Fischer-Benson, in historisch anmutenden Gewändern.

Zwei Frauen in historischen Kostümen laufen Hand in Hand über eine Bühne.

Abelke (l., Nellie Fischer Benson) und Leneke (Maike Knirsch) sind die Figuren aus der zweiten Zeitebene.

Zwei Zeitebenen laufen von jetzt an parallel. Die Vier- und Marschlande werden zum Schauplatz für eine dramatische Geschichte – zumindest wird das behauptet. 1570 tobt hier an der Elbe die Allerheiligen-Flut. Zuckendes Licht, die Deiche brechen, über eine durchsichtige Stoffbahn flackern Schwarzweißbilder. Als Abelke versucht, trotzdem ein selbstbestimmtes Leben zu führen, wird sie als Hexe angeklagt, nur weil sie eine Frau ist und weil sie nach dem Sturm offenbar klüger wirtschaftet als ihre männlichen Nachbarn. Das weckt Neid.

Britta ist 2025 in ihrer Ehe einklemmt mit einem Mann, der recht traditionell von ihr verlangt, sie möge doch den Haushalt machen. „Aber ich wollte nie ein Haus, das wir uns gar nicht leisten können“, sagt Britta aufgebracht. Ihr Mann schreit zurück: „Wir können es uns leisten. Ich verdiene genug!!“ Zusammengehalten werden die beiden Zeitebenen durch eine Frauenfigur, die höchst symbolträchtig als „das Land“ (gespielt von Florence Adjidome) in glitzerndem Hosenanzug über die Bühne schreitet und geheimnisvoll gurrt und spricht: „Bin See, bin uralt …“

Florence Adjidome als Das Land und Cathérine Seifert als Britta Stoever sitzen auf der Bühne

Das Land (Florence Adjidome) hält die Zeitebenen zusammen – hier sucht sie Halt bei Britta (Cathérine Seifert)

Unangenehme didaktische Note

Nur leider gibt das dem Abend auch nicht mehr Tiefgang. Beide Zeitebenen verbinden sich nicht. Regisseurin Jorinde Dröse zeichnet holzschnittartige Charaktere aus der gleichnamigen Romanvorlage von Jarka Kubsova. Früh versteht man, dass es um die Unterdrückung der Frau geht, damals wie heute: damals der Scheiterhaufen, heute der Herd im Einfamilienhaus? Doch damit bekommt der Theaterabend eine unangenehm didaktische Note. Vereinfacht wird gesagt: Frauen sind Opfer, Männer sind Täter. Hämische und völlig überzeichnete Figuren.

Leider entsteht aus der Suche Brittas nach Abelkes Schicksal kein Sog, keine Spannung. Die Eheprobleme von Britta haben die Doppelbödigkeit einer Vorabendserie. Und als Tochter Mascha auch noch in der Schule gemobbt wird, schlägt die Inszenierung schnell den Bogen zur Hexenverfolgung von 1570.

Sonja Anders vor Open-Air-Bühne am Thalia Theater in Hamburg.

Eine Woche Programm, draußen und bei freiem Eintritt: So startet die neue Intendantin in ihre erste Spielzeit.

Gemischte Publikumsreaktionen

Die Reaktionen im Publikum sind gemischt. „Der Text hatte ja die Tiefe, aber das Spiel, die Dialoge, die Lautstärke haben ihm die Tiefe etwas genommen“, sagt ein Frau. Eine andere Besucherin meint: „Es ist ja auch ein schweres Thema, man geht nicht raus und sagt: Hu! Wir fanden aber, das war sehr komprimiert und das Wichtigste gut zusammengefasst, auf die heutige Zeit übertragen.“ Und ein Paar ist geradezu euphorisch: „Wir waren begeistert von der Regie, von den Darstellern, auch von dem schönen Bühnenbild.“

An einer Stelle flimmern Bilder verfolgter Frauen über die Bühne, als wolle das Stück sagen: Die Hexenverfolgung hört nicht auf. Das sind ohne Frage Schicksale, die erzählt werden sollen, ja müssen. Aber hier wird daraus Lehr- und Zeigetheater, ohne Geheimnis, ohne Abgründe. Dieser zweite Theaterabend zum Auftakt der neuen Intendanz im Thalia Theater ist leider im Schlick versandet.

Marschlande ist bis zum 28. Dezember am Thalia Theater in Hamburg zu sehen.

Frau legt ihren Kopf auf einen riesigen Pfirsich

Die Inszenierung ist gut und zeitgemäß. Dennoch, der gut zweieinhalbstündige Abend findet schwer zu einem Rhythmus.

Eine Frau mit Brille, kurzen Haaren und dunkler Jacke schaut freundlich

Die 60-Jährige ist die neue Chefin am Thalia Theater Hamburg. Begegnungen liegen ihr am Herzen – und feministische Themen. Ein Porträt.