Fallwickl
Wir stecken unsere Energie nicht in ein vermeintliches Gegeneinander unter Frauen. Unser Feind ist das Patriarchat.
Reisinger
Und wir kämpfen gegen das Patriarchat.
Fallwickl
Und nehmen wir bitte die Energie und die Kraft dafür her und lassen die nicht irgendwo versickern. Aber ab heute gehört die Bühne uns, wir präsentierten unser Buch im Wiener Schauspielhaus, und ich hoffe, dass alle merken: Wir hatten einfach richtig Spaß am Schreiben. Wir wollten einfach mit lustigen Geschichten zum Umdenken und zum Nachdenken anregen. Entstanden ist die Idee bei einem feministischen Brunch.
Reisinger
Zu dem hat mich Mareike nach einer Lesung eingeladen. Ich war anfangs komplett starstruckt. Es war ein bisschen wie nach einem ersten Date: Ich hoffte, dass sie sich melden wird und den ersten Schritt macht.
Wie funktioniert ein feministischer Brunch?
Fallwickl
Ich wollte einfach ein bisschen was zum Netzwerken etablieren. Ich war in so vielen Städten, wo mir andere Frauen von ihrem Buchclub oder Hexenzirkel erzählt haben. Und ich hab mir gedacht: Das will ich in Salzburg auch. Eva und ich sind bei dem Brunch nebeneinandergesessen, und eine Freundin von mir hat zu diesem Zeitpunkt eine Kiefer-OP gehabt und sich sechs Wochen lang nur flüssig ernähren dürfen.
Jetzt kommt der flüssige Leberkäse ins Spiel!
Fallwickl
Genau. Das Personal hat ihr im Krankenhaus einen Leberkäse püriert und auf den Teller gespritzt. Wir haben drüber geredet, dass das ja eigentlich schon ein solcher Akt der Fürsorge ist. Gleichzeitig aber auch grauslich irgendwie. Und dann haben wir uns gedacht: Da stecken richtig Geschichten drin.
Reisinger
Ja, weil da ja diese Grauslichkeit und trotzdem diese Liebe war. Und wir wollen auch diesen Provokationsmoment, dass man sich bei unseren Frauenfiguren denkt: Dürfen die das? Und dann kommt der Punkt, in dem man sich selbst bei der Feststellung ertappt: Boah, das ist ja schon arg, dass die das jetzt macht.
Wie zum Beispiel sich hochschwanger ein Online-Date zum Sex zu checken, weil der Kindsvater sich verweigert. Oder die Antileihmutter, die polnischen Frauen als Strohfrau bei Abtreibungen dient.
Reisinger
Ja, der stramme Max, eine Figur, erschaffen von Mareike, der der Lust der Schwangeren dient, ist eine meiner Lieblingsfiguren. Den lese ich so gerne auf der Bühne.
Fallwickl
Eine Leserin hat uns geschrieben, dass sie ihren Partner genötigt hat, das Theaterstück über ein Dinner-Date eines Paares (ein Text in „Pen!smuseum“, Anm.) mit verteilten Rollen zu spielen, weil ihr das so gefallen hat. Das ist doch herrlich. Wenn du es schaffst, dass Leute wegen deiner Texte sagen: Hey, komm, lass uns das ausagieren.
Reisinger
Wir werden immer für einen Feminismus stehen, der alle Menschen miteinbezieht und niemanden ausschließt.
Hatten Sie eigentlich feministische Mütter?
Fallwickl
Überhaupt nicht. Nicht mal ansatzweise.
Reisinger
Ich habe eine sehr feministische Mutter, aber das System ist ja trotzdem das Patriarchat. Ich bin aufgewachsen mit Lehrern, die regelmäßig unser Aussehen kommentiert haben. Wo nach den Klischees gelebt wurde, dass die Frauen ein bisschen zeichnen und basteln sollen und die Männer besser rechnen und sich handwerklich betätigen.
Fallwickl
Ich bin aus einem kleinen Bergdorf. Da sind die Väter jeden Tag in die Stadt gefahren, um Karriere und Erfolg einzuheimsen, und die Mütter haben um zwölf Uhr pünktlich das Schnitzel auf den Tisch gestellt. Das hat ja auch niemand hinterfragt.
Und haben Sie sich als junge Mädchen gedacht: Nichts wie raus hier, das darf nicht mein Leben sein?
Fallwickl
Nein, das war ja voll das Paradies, warum? Also wir waren nur draußen, wir Kinder, umgeben von Wald, Wiese, Bach. Kommt’s heim, wenn es finster ist, hieß es. Das war großartig.
Reisinger
Das war bei mir auch so. Diese Freiheiten gerade im Sommer, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Wenn es finster war, haben wir gewusst: Okay, jetzt sollten wir dann vielleicht mal wieder heimgehen.
Fallwickl
Ich würde gerne noch einmal darauf zurückkommen, dass jede Form von Widerstand gegen das Patriarchat so viele Ressourcen kostet. Es ist unglaublich schmerzhaft, da hinzuschauen. Das wissen wir alle. Sich als Frau damit auseinanderzusetzen und zu erkennen: So geht es mir in dieser Welt, so werde ich behandelt, weil ich eine Frau bin, tut unfassbar weh. Ich kann jede Frau verstehen, die sich diesem Schmerz nicht aussetzen will. Und einfach wegschaut, weil sie sich denkt: Hey, mir geht es doch gut. Ich habe es in diesen vollen Räumen, vor allem bei Lesungen von „Die Wut, die bleibt“, richtig gespürt, welche Welle da zurückgekommen ist und wie viel Schmerz in diesen Räumen war. So viele tränenüberströmte Frauen, verbunden durch dieses kollektive Wissen: Ich bin nicht allein damit.
Reisinger
Das Bittere ist auch: Wenn man einmal anfängt, sich mit den Ungerechtigkeiten zu konfrontieren, gibt es kein Zurück mehr. Da kommen immer mehr dazu. Du kannst es nie wieder schaffen, durch die Welt zu gehen und dir zu sagen: Ja, passt eh alles.
Jetzt ist es aber doch so, dass Sie beide wirklich sehr erfolgreich sind mit dem, was Sie machen, und eigentlich die gläserne Decke durchbrochen haben. Sie werden in angesehenen Verlagen publiziert, bekommen enthusiastische Kritiken, touren mit Ihren Texten. Frau Fallwickl, Sie bekamen mit „Elisabeth!“ einen Burg-Stückauftrag .
Reisinger
Ich weiß, dass ich extrem privilegiert bin. Darum sehe ich es als meine Verantwortung, über die Themen zu reden, die mir wichtig sind. Weil viele, viele Frauen da draußen niemanden haben, der es für sie ausspricht. Es wird ihnen einfach nicht zugehört.
Fallwickl
Ich werde oft gefragt: Warum gehst du überhaupt auf die Bühne und kämpfst so sehr für diese Dinge, wenn du doch selber davon gar nicht so betroffen bist? Dann sage ich: Genau deswegen. Weil ich die Kraft und das Privileg habe. Diese Privilegien geben mir überhaupt die Möglichkeit, auf Bühnen zu gehen. Also zum Beispiel bei meinem Roman „Und alle so still“, in dem es um Pflege geht und Care-Arbeit für Personen mit Behinderung, denke ich mir: Wenn dieses Spotlight auf mich fällt, will ich es unbedingt nutzen und für die sprechen, denen sonst einfach nicht zugehört wird.
Reisinger
Für mich ist es genauso. Ich selbst bin nicht von häuslicher Gewalt betroffen, aber für mich war es trotzdem wichtig, dass mein Roman „Männer töten“ sich um das Thema Femizide dreht. Bei Lesungen war es ganz oft so, dass Frauen mir danach von ihren Erfahrungen oder jenen ihrer Freundinnen, Schwestern, Verwandten erzählt haben.
Wie geht man damit um?
Reisinger
Ich sitze dann da und kann nur sagen: Danke, dass du das mit mir teilst. Ich sehe deinen Schmerz, aber ich bin dafür nicht ausgebildet . Ich bin keine Sozialarbeiterin, keine Therapeutin. Ich kann euch nur raten: Holt euch Hilfe. Schließt euch zusammen.
Fallwickl
Ich werde oft gefragt: Warum schreibst du politische Literatur? Du machst es dir selber und den Lesenden doch nur schwer damit. Aber es stimmt nicht, dass die Menschen dafür keine Kapazitäten haben. Sie sind durchaus in der Lage, gesellschaftskritisch zu denken. Die Räume, in denen wir auftreten, sind voll. Ich finde es auch abwertend, so über Lesende zu sprechen. Das sind mündige Bürger:innen, die genau wissen, dass wir Veränderung brauchen.