Die Stadt München will künftig Veranstaltungen in ihren Räumen verbieten, bei denen sie antisemitische Inhalte erwartet. Dabei spielt die Kommune im engen Doppelpass mit dem Freistaat Bayern. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verkündete am Montag einen Beschluss des Kabinetts, die dafür nötige Änderung eines Landesgesetzes auf den Weg zu bringen. Darin will der Freistaat zudem eine Verherrlichung und Verharmlosung des Nationalsozialismus in kommunalen Räumen unterbinden. Der Freistaat komme damit seiner besonderen Verpflichtung zum Schutz jüdischen Lebens in Bayern nach, begründet der Innenminister den Vorstoß.

Hintergrund der geplanten Gesetzesänderung ist der gescheiterte Versuch der Stadt, Anhängern und Sympathisanten der gegen Israel gerichteten Boykott-Bewegung BDS („Boykott, Desinvestition und Sanktionen“) den Zugang zu ihren Räumen zu verweigern. Selbst eine Debatte über den Umgang mit der BDS-Kampagne wollte sie nicht dulden. Beschlossen hatte der Stadtrat diese restriktive Haltung im Dezember 2017. Auf die Klage eines Veranstalters hin erklärte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig dieses Vorgehen im Januar 2022 für rechtswidrig.

Seither musste die Stadt gegen ihren erklärten Willen ihre Häuser und Säle für Veranstaltungen rund um BDS öffnen. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hat nach eigenen Angaben deshalb bei der Staatsregierung interveniert. Nun freut er sich über die anstehende Gesetzesänderung, die der Landtag nach der Zustimmung des Kabinetts auch beschließen dürfte. „Mit dieser gesetzlichen Neuregelung beweist der Freistaat Mut und setzt ein echtes Zeichen gegen Antisemitismus, was man angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung nicht hoch genug bewerten kann“, erklärte Reiter.

BDS will den Staat Israel mit einer wirtschaftlichen und kulturellen Isolierung seiner Bürger zu einem Umdenken seiner Politik gegenüber dem palästinensischen Volk bewegen. München stuft die Kampagne ebenso wie eine Mehrheit des Deutschen Bundestags als antisemitisch ein. Das reichte dem Bundesverwaltungsgericht nicht als Grund aus, den Zugang zu städtischen Räumen zu verweigern. Wer so weit in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit eingreife, dürfe das nicht auf Basis eines Stadtratsbeschlusses tun, führte es im Urteil aus. Dafür brauche es eine gesetzliche Grundlage.

Diese will der Freistaat mit einer Erweiterung von Artikel 21 der bayerischen Gemeindeordnung schaffen. Die Kommunen müssen dann immer noch in jedem Einzelfall prüfen, ob die jeweilige Veranstaltung unter die neuen Vorgaben fällt. Nach Informationen der SZ soll dafür eine Prognose nach vorgegebenen Anhaltspunkten erfolgen. Dabei könnten Vorfälle bei früheren Veranstaltungen insbesondere bei Ähnlichkeit der Themen oder der Veranstalter als Kriterien dienen. Offen ist, ob das neue Gesetz für eine Verweigerung der Räume ausreicht oder ob die Kommunen noch einen entsprechenden Beschluss fassen müssen.

Matthes Breuer, der als Rechtsanwalt immer wieder propalästinensische Aktivisten vertritt, kritisiert die geplante Gesetzesänderung als „Mogelpackung“. Er vermute, dass die Stadt auf dieser Basis „unliebsame Äußerungen zum Staat Israel“ unterbinden wolle und dabei den Begriff des Antisemitismus übermäßig weit fasse. Von der Stadt erwarte er aber, dass sie sich an die Urteile zum BDS-Beschluss halte. Darin sei klar formuliert, dass die Stadt auch solchen Meinungen Raum geben müsse.

Breuer sagt, er erwarte, dass auch die geplante Änderung der Gemeindeordnung rechtswidrig sei, weil sie gegen die Meinungsfreiheit gerichtet sei. Der Stadt empfiehlt er, sich nicht auf eine der umstrittenen Definitionen von Antisemitismus zu stützen, sondern aufs Strafgesetz: Wenn eine Veranstaltung gegen das Strafgesetz verstoße, solle man sie verbieten. Wenn nicht, sei sie zuzulassen.

Antisemitismus

:„In Deutschland ist man sicher, solange man als Jude unsichtbar bleibt“

Münchner Juden sehen sich im Alltag ständig bedroht. Polizei und Justiz gehen gegen antisemitische Vorfälle vor. Doch Vertreter von Sicherheitsbehörden nehmen auch die Zivilgesellschaft in die Pflicht, sich mehr gegen Judenhass zu stemmen.

Immer wieder aber dreht sich die Diskussion um die Frage, wo Antisemitismus beginnt und wo genau die Grenze verläuft zu legitimer Kritik an der israelischen Regierung und Politik. Fuad Hamdan etwa betont, dass er Antisemitismus vehement ablehne. Die neue Regelung aber werde dazu führen, dass Pro-Palästina-Aktivitäten eingeschränkt würden. „Undemokratisch“ sei dies. Hamdan ist gebürtiger Palästinenser, lebt seit Jahrzehnten in Deutschland und ist einer der bekanntesten Aktivisten in der palästinensischen Community.

„Wohin sollen wir gehen?“, fragt er. Diese Frage stelle sich, wenn kommunale Räume für Palästina-Veranstaltungen wegfielen. Es würde dann „sehr, sehr schwierig“, geeignete Orte zu finden. Zwar gebe es auch private Säle. Allerdings sei zu befürchten, dass die Eigentümer sich nicht trauten, ihre Räume der Palästina-Community zur Verfügung zu stellen, weil sie Ärger mit der Stadt vermeiden wollten. Insbesondere dann, wenn potenzielle Vermieter auf städtische Zuschüsse angewiesen seien.

Hamdan erinnert an den Versuch der Stadt, im November 2023 eine Veranstaltung mit dem israelisch-jüdischen Historiker Ilan Pappé in einem Bürgerhaus zu unterbinden. Die Stadt scheiterte vor Gericht. An die Rückwand der Bühne ließ sie einen Aushang anbringen, auf dem unter anderem stand: „Wir bedauern, dass wir aufgrund der Rechtslage gezwungen sind, die Veranstaltung (…) stattfinden zu lassen.“

Klaus Ried war es, der gegen den ursprünglichen BDS-Beschluss des Stadtrats erfolgreich geklagt hatte. Er wirft Freistaat und Stadt vor, mit ihrem Agieren Proteste gegen Israel niederhalten zu wollen. Dies sei keine Lösung: „Das kann nur zur Konfliktverschärfung führen.“