Wie könnte ein Haus der Kulturen in Stuttgart aussehen, wenn es eines Tages denn Wirklichkeit wird? Einen Vorgeschmack boten die Unterstützer eines solchen „Begegnungsortes für alle“ jetzt mit einer Veranstaltung im Alten Schloss, die viele Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenbrachte. „Stadtgesichter – wir alle sind Stuttgart“, lautete der Titel des neuen Veranstaltungsformats, einer Mischung aus künstlerischen Beiträgen, sogenannten „Flashes“, Diskussionsrunden und internationalem Buffet. Rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer fühlten sich am Montagabend davon angesprochen. Bei vielen von ihnen mündete dieser Vorgeschmack direkt in Vorfreude. Diese wird allerdings noch einige Zeit anhalten müssen. Wenn alles glatt läuft, eröffnet das Haus der Kulturen in fünf Jahren. Die favorisierte Adresse der Befürworter ist das ehemalige Kaufhofgebäude, wo im Rahmen einer gemischten Nutzung auch die freie Tanz- und Theaterszene hofft unterzukommen. In einem ersten Schritt wird Ende des Jahres ein „Projektlabor“ Räume gegenüber in der Eberhardstraße 63 beziehen. Zuletzt war auch der Treffpunkt Rotebühlplatz als zukünftiger Standort für das Haus der Kulturen diskutiert worden.

Das Haus der Kulturen ist längst kein Luftschloss mehr

Die Unsicherheit und die lange Wartezeit beeinträchtigt den Elan der Befürworter nicht. Sie sind gewohnt, sich in Geduld zu üben. Schon seit 2002 wird in Stuttgart über ein Haus der Kulturen diskutiert, wie Gari Pavkovic, langjähriger Integrationsbeauftragter der Stadt, und Rolf Graser, Geschäftsführer des Forums der Kulturen, der Dachorganisation Stuttgarter Migrationsvereine, ausführen. Zumindest ist das Haus der Kulturen längst kein Luftschloss mehr. Neben einem positiven Grundsatzbeschluss des Gemeinderats existiert bereits auch ein Nutzungskonzept. Angesichts der schwierigen Haushaltslage sehen es die Befürworter jedoch als geboten an, öffentlich für das Projekt zu trommeln. Das taten sie mit einem kreativen Mix aus Musik, Tanz und Wort.

Ziel des Abends: Werben für ein Haus der Kulturen in Stuttgart Foto: Jan Sellner

Der Ort des vierstündigen Werbeblocks, die Dürnitz, war bewusst gewählt, denn der große Gemeinschaftsraum des Württembergischen Landesmuseums hat sich seit der Umgestaltung und Neueröffnung vor vier Jahren zu einem zentralen öffentlichen Treffpunkt in der City entwickelt. Exakt dieses schwebt den Kooperationspartnern für das Haus der Kulturen, dem Verein Internationale Jugendarbeit, dem Forum der Kulturen und dem Städtebau-Institut der Uni Stuttgart, auch für ihr Projekt vor. „Um die Stadtgesellschaft zu erhalten und weiter zu entwickeln, braucht es öffentliche Räume“, sagte Ayse Özbabacan, die Integrationsbeauftragte der Stadt. Dort sollten sich Alteingesessene und Zugewanderte auf Augenhöhe begegnen können. Franziska Fleckenstein vom Landesmuseum bekräftigte dies: „Physische Orte sind unverzichtbar für den Austausch in der Stadtgesellschaft.“ Daran herrsche in Stuttgart Mangel: „Als Landesmuseum wünschen wir dem Haus der Kulturen einen festen Ort.“

Städteplaner Vogl: „Die Stadtgesellschaft muss ihres Reichtums an Talenten bewusst machen“

Begegnung, Austausch, Gemeinschaft, das waren die Stichworte, um die der Abend kreiste. Dazu kamen die Themen Wertschätzung und Empowerment. Ganz verschiedene Stimmen meldeten sich dazu zu Wort. Etwa der Städteplaner Markus Vogl, der dafür warb, dass sich die Stadtgesellschaft ihres Reichtums an Talenten bewusst machen und „Anderssein als Kraft begreifen sollte. Oder der Tänzer und Schauspieler Yahi Nestor Gahe. Er sieht im Haus der Kulturen eine Basis für Kulturschaffende. Oder Mehmet Ildes, Gründer des Vereins Local Diversity,und Grünen-Stadtrat. Er erinnerte daran, dass Stuttgart längst schon eine Stadt der vielen Kulturen ist. Dies müsste sich auch in einem solchen Haus spiegeln. Sein Wunsch: Stuttgart soll nicht nur für seinen Bahnhof bundesweit bekannt werden, sondern auch für ein vorbildliches Haus der Kulturen. Die Moderatoren Sara Alterio und Brian Lauer ist ein solches Haus auch „ein Ort der Demokratie“ und ein „Fundament, auf dem wir unserer von Spaltung bedrohten Gesellschaft wieder zusammenkommen“.

Die Stuttgarter Autorin Lior Smith bei ihrem Vortrag Foto: red

Das spiegelte sich auch in den Auftritten der kulturschaffenden „Stadtgesichter“ an diesem Abend wider: Emisa, einer syrisch-deutschen Sängerin, Nour Darwish, einem Meister der Oud, des orientalischen Saiteninstruments, Mirojan, einem aus dem Irak geflüchteten Rapper, Pitso Zanethemba, der zu Afro-Beats tanzt, dem Drag-Trio Ariana Gandhi, Elektra Heart und Holy Father, sowie Abdual Rahman, jenem jungen Syrer, der durch sein autodidaktisches Klavierspiel am Open Piano am Charlottenplatz stadtbekannt geworden ist.

Eindrucksvoll auch der lyrische Beitrag der Stuttgarter Autorin Lior Smith. Über den Höhenpark Killesberg, einst Schauplatz der Deportation württembergischer Juden, dichtet sie: „Was wäre, wenn Gedenken hier duftete – nach Fragen, nach Wissen, nach Widerstand? Was wäre, wenn Du nicht nur Blüten und Treppenstufen zähltest, sondern Biografien. Nicht als Ballast, sondern als Wurzeln?“ Von Lior Smith stammt auch ein erster Vorschlag, wie das Stuttgarter Haus der Kulturen heißen könnte: „AMBA“ – das Akronym für Austausch, Miteinander, Brückenbau und Aufbruch. Ein Wort, das auch in mehren Sprachwelten verankert ist, wie sie betonte. Auch in der Namensfrage nahm das Haus der Kulturen an diesem Abend Konturen an. Die Diskussion darüber ist eröffnet.