Anderen helfen, weil das Leben gut zu einem war? Oder weil es selbstverständlich ist, anderen beizustehen? Ihre Motive sind unterschiedlich. Aber alle tun in Stuttgart Gutes.

Die eigene Mitte finden

Margarete Lisek könnte gar nicht mehr ohne ihr Ehrenamt sein. Seit bald 18 Jahren besucht die gebürtige Polin Bewohnerinnen und Bewohner im Haus Adam-Müller-Guttenbrunn in Stuttgart-Rot. Dabei tun sich der 67-Jährigen ständig neue Welten auf. Sie begleitet die Senioren zur Messe und empfindet dabei selbst ein Gefühl tiefer innerer Geborgenheit. „Man findet seine Mitte, wenn man zusammen mit anderen betet“, sagt sie. Als sie begann, füllte sie ihre Arbeit in einem Büro nicht aus. In Polen arbeitete sie als Grundschullehrerin. Sie vermisste den Kontakt zu Menschen. „Und alte Menschen habe ich schon immer gemocht“, sagt sie.

Margarete Lisek Foto: Caritas/Hugh Hinderlider/Caritas

Doch nicht nur zum Beten kommt sie. Denn wenn das Vertrauen erst mal da ist, erzählen viele Menschen aus ihrem Leben. Für Margarete Lisek ist das oft wie eine ganz persönliche Geschichtsstunde. Lisek ist überzeugt: „Hinter jedem Menschen steht eine interessante Lebensgeschichte.“ So hat sie gleich zu Beginn ihres ehrenamtlichen Einsatzes eine Frau kennengelernt, die im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiterin von Polen nach Stuttgart entführt wurde und dort nach ihrer Befreiung durch die Alliierten blieb. Margarete Lisek spricht von ihr voller Wärme und Respekt. Trotz all ihrer schlechten Erfahrungen wollte die alte Dame ein Grab in Stuttgart. Familie hatte sie keine. Lisek, die vor 45 Jahren der Liebe wegen ihre Heimat verlassen hat, konnte ihr diesen Wunsch durch hartnäckiges Nachbohren erfüllen. Die Stadt Stuttgart übernahm die Kosten des Grabes für 20 Jahre.

Helfen trotz vollem Terminkalender

Khadija Moussaoui hätte eigentlich genug zu tun. Sie ist voll berufstätig. Die 32-Jährige arbeitet im Schichtdienst als Heilerziehungspflegerin in einer Pflegeeinrichtung. Helfen und Unterstützen sind ihr tägliches Geschäft. Aber dennoch hilft die Marokkanerin, die vor drei Jahren für ihre Ausbildung nach Deutschland kam, anderen, die sich nicht so gut wie sie auf Deutsch verständigen können. Denn da gibt es viele Situationen. Schließlich weiß sie noch genau, wie das war, als sie mit B2-Sprachkenntnissen frisch angekommen war und merkte, dass Lesen, Verstehen und im geschützten Raum Fragen zu einem Text beantworten etwas ganz anderes ist, als im Alltag zu verstehen, was die Leute sagen. „Da ist man aufgeregt“, sagt sie. Manchmal hätte sie sich jemanden wie sie an der Seite gewünscht.

Khadija Moussaoui Foto: privat

In dem zurückliegenden Jahr, das sie sich jetzt ehrenamtlich engagiert, hat sie schon so einiges erlebt. Denn immer, wenn sie gerufen wird, geht es um Existenzielles – auf der Ausländerbehörde, beim Jugendamt, beim Arzt oder im Krankenhaus. Und manchmal vergessen die Menschen, denen sie dann als Sprachmittlerin zur Seite steht, dass sie nur die Überbringerin unangenehmer Entscheidungen ist. Manchmal findet sie selbst traurig, was sie übersetzt. „Das sind ja immer Menschen“ sagt sie. Auch wenn sie gelernt hat, dass zum Helfen auch das professionelle Abgrenzen gehört, beschäftigt sie manches natürlich sehr. Aber offenbar gehört das Helfen zu ihrem Naturell. Schon immer sei das so gewesen . Zuhause in Marokko oder hier im Alltag. Wenn sie sieht, dass jemand gerade nicht klarkommt, bei einer Fahrkartenkontrolle etwa, kann sie gar nicht anders als zu fragen: „Kann ich Ihnen helfen?“

 Immer die Kinder im Blick

Wenn’s um das Wohl von Kindern geht, muss Muaadh Mohammed einfach eingreifen. Für sie, sagt er, seien furchtbare Situationen zehnmal schlimmer als für Erwachsene. Die Frage, die ihn zeitlebens begleitet: „Wer kümmert sich um die Kinder, wenn etwas Schlimmes geschieht?“. Schon als er selbst in Berlin in einer Flüchtlingsunterkunft lebte und niemand wegen Corona das Gelände verlassen durfte, hat er im dortigen Kindergarten mit den Kindern aus dem Heim gespielt.

Muaadh Mohammed Foto: Caritas/Hugh Hinderlider

Muaadh Mohammed hat 2013 sein Heimat Jemen zum Studium in Richtung Türkei verlassen. Aber schon dort hat er über die Uni in Schulen auf dem Land um Kinder gekümmert. „Das hat mir immer Spaß gemacht“, sagt er. Und so ging es dann eben weiter.

Seinen Bachelor als Bauingenieur hat er in der Türkei in gemacht. Jetzt studiert er an der Universität Stuttgart noch Umweltschutztechnik. Momentan macht er ein Praktikum in einem Ingenieurbüro für Müllverbrennungsanlagen. Von seiner ehrenamtlichen Tätigkeit halten ihn Studium und Job jedoch nicht ab. „Wenn man helfen kann, dann soll man auch helfen“, sagt er. Das sei eine Frage der Verantwortlichkeit füreinander. Er versteht nicht recht, warum das nicht alle so sehen.

Er spricht Arabisch, Türkisch, Englisch und Deutsch. Inzwischen koordiniert er den Einsatz der Ehrenamtlichen in einem Wohnheim in Stuttgart-Vaihingen. Aber schon zuvor hat er in Stuttgart-Bad Cannstatt in einer Unterkunft am Reitstadion den frisch angekommenen Kinder ein paar Stunden zu schenken, „in denen sie Kind sein konnten“. Glückt ihm das, dann macht das auch ihn zufrieden.

Einmal VfB und zurück

Siegfried Bartholomä ist mit seinen 67 Jahren einer, der ins Ehrenamt einstieg, nachdem er in Rente gegangen ist. Bartholomä begleitet die Mitarbeitenden der Neckartalwerkstätten der Caritas, wenn sie ins Stadion zu einem Spiel des VfB Stuttgart gehen. Die zweite Saison macht er das jetzt. Er holte die jungen Männer, die geistig oder körperliche eingeschränkt sind, auf einem vereinbarten Parkplatz vor dem Stadion ab. Dorthin werden sie mit einem Shuttlefahrzeug gebracht. Ab 18.45 Uhr ist der Böblinger bei einem Abendspiel dann im Einsatz. „Dann gehen wir gemeinsam eine Stadionwurst essen“, erklärt er. Danach zieht das Grüppchen weiter zu den Plätzen. Bartholomäs Aufgabe: er gibt den Jungs Orientierung, damit sie im großen Stadionrund zurecht finden. Und er bringt sie am Ende auch wieder zum Shuttlefahrzeug.

Siegfried Bartholomä Foto: Caritas/Hugh Hinderlider

Wenn das dann abgefahren ist, muss er sehen, wie er nach Hause kommt. Mit der S-Bahn sei das nicht immer ein Vergnügen. „Aber es macht Spaß“, sagt er. Außerdem habe er in seinem Leben immer Glück gehabt. Der Vorsatz war schon lange da, in der Rente etwas von diesem Glück zurückzugeben. Jetzt tut er das, wovon er auf seinen Dienstfahrten für ein Versicherungsunternehmen nie gekommen sei. Mittlerweile hat er fünf Ehrenämter. So ist er neben anderen noch in der Grundschule, in die er vor 60 Jahren selbst eingeschult worden ist, als Helfer für die verlässliche Grundschule im Einsatz. Fühlt er sich manchmal etwas gestresst von seinen vielen Aufgaben? „Ich bin sehr, sehr zufrieden. Ich lebe das, das baut mich auf“. Er freut sich richtig, dass die Sommerpause in der Bundesliga jetzt um ist. Am Abend hat er wieder einen Einsatz im Stadium.