Ein Forschungsteam der Dresdner Hochschule für Technik und Wissenschaft (HTW) ist auf Vermessungs-Tour in Peru in der Wüste von Nasca. Die Steinwüste ist bekannt für sogenannte Geoglyphen, Zeichnungen von Tieren und Pflanzen, die vor 800 bis 2000 Jahren von einer früheren Kultur in den Boden gescharrt worden waren. Eine Dresdner Archäologin, Maria Reiche, hatte diese Figuren ab 1941 vermessen und kartiert. Der Zweck der Zeichnungen ist bis heute ein Rätsel. Zum heutigen Forschungsteam aus Dresden gehört die Vermessungstechnikerin Christiane Richter, die sich schon lange mit den Geheimnisse der Wüste von Nasca befasst.
Woran forscht das Team aus Dresden derzeit in der Wüste von Nasca?
Wir haben mit unseren Arbeiten die Linien und Figuren der Pampa von Nasca und Palpa nahezu komplett vermessen. Aktuell erforschen wir die Aquädukte der Nasca. Das Hauptproblem der Menschen hier in der Wüste vor 2000 Jahren war das Wasser. Die Bewässerungsanlagen, die sie vor 2000 Jahren gebaut haben, gibt es noch. 40 davon werden noch heute für die Landwirtschaft genutzt. Wir vermessen diese Aquädukte seit 2016, bewerten ihren Zustand und erstellen für die Beantragung der Aquädukte als Kulturerbe beziehungsweise auch als Weltkulturerbe Planungsunterlagen. Das Projekt wird dieses Jahr fertiggestellt.
Sie waren schon oft vor Ort. Was ist so faszinierend an uralten Linien und Aquädukten in einer Steinwüste?
Das Faszinierendste ist, dass, wenn man über die Linien fliegt und diese gigantischen Zeichnungen sieht und dann in der Pampa merkt, dass man dort gar nichts sieht. Dann fragt man sich: Wie waren die Menschen vor 2000 Jahren in der Lage, solche gigantischen und fantastischen Zeichnungen anzufertigen? Und was mich immer wieder fasziniert, ist, wie Maria Reiche über 40 Jahre hinweg mehr oder weniger allein in der Pampa dieses riesige Areal durchstreift, vermessen, dokumentiert hat und am Ende als Lebensziel quasi die Ernennung zum Weltkulturerbe der UNESCO erreicht hat.
Zurück zu den Bodenzeichnungen. Hunderte Tierfiguren, aber auch Pflanzendarstellungen, beispielsweise die Figur eines Affen oder eines Kolibris, einer Spinne, sind geometrisch akkurat in den Boden gekratzt worden. Wie kann man sich die vorstellen?
Da gibt es zunächst mal Linien, und diese Linien können mehrere Kilometer bis zu 17 Kilometer lang schnurgerade durch die Pampa verlaufen. Das Besondere ist, dass diese Figuren in der Regel zumindest aus einer durchgängigen Linie geschaffen sind. Das heißt, sie haben einen Eingang, und wenn man durch die Figur durchläuft, kommt man an einem anderen Punkt an einem Ausgang wieder raus.
Von welchen Größenordnungen reden wir bei den Zeichnungen?
Nehmen wir mal den Affen. Der hat eine Ausdehnung, etwa so groß wie ein Fußballfeld. Und wenn man den Affen durchläuft, dann muss man eine Strecke von etwa zwei Kilometern zurücklegen. Aber das Laufen in der Pampa, insbesondere in diesen Figuren, ist nicht so einfach, weil die Linien meist nur zehn bis 15 Zentimeter breit sind. Das heißt, man muss einen Fuß vor den anderen setzen, um nichts zu zerstören. Die meisten Figuren sind etwas kleiner, fünf bis 800 Meter, wenn man sie durchläuft.
Wie groß ist das Gebiet, in dem Maria Reiche diese Linien kartiert hat?
Insgesamt sprechen wir von einem geschützten Gebiet von ungefähr 3.200 Quadratkilometern. Die wichtigsten und interessantesten Figuren sind auf einem Gebiet von etwa 500 Quadratkilometern enthalten. Das ist noch deutlich größer als das gesamte Stadtgebiet von Dresden, inklusive der Dresdener Heide. Ein riesiges Territorium!
Das Sie aber nicht zu Fuß erschlossen haben?
Zu Beginn unserer Arbeiten haben wir das mit ganz klassischen Vermessungsinstrumenten gemacht. Das heißt, man hat ein Instrument in der Pampa aufgebaut, und eine Person musste die Linien ablaufen mit einem sogenannten Reflektor. Wenn man so eine Linie oder eine Figur durchläuft, muss man also alle paar Meter an einem Punkt anhalten, und der wurde gemessen.
Inzwischen gibt es modernere Messmethoden wie zum Beispiel GPS, also Satelliten-Positionierung. Damit ist die Vermessung deutlich einfacher geworden. Hinzu kommt, dass wir heute sehr hochauflösende Satellitendaten haben. Wir haben ausgewählte Regionen der Pampa auch mit Drohnen überflogen. Das erleichtert die Vermessungsarbeiten heutzutage sehr deutlich.
Und diese Vermessungsarten sind weniger gefährlich! Im Juni 1955 flog Maria Reiche, festgebunden am Querbalken eines Helikopterschlittens in die Luft, um die Scharrbilder aus 200 Metern Höhe abzulichten. Obwohl die Figuren heute kartiert und vermessen sind, mit neuester Technik – alle Rätsel sind offenbar immer noch nicht gelöst.
Zum einen ist bis heute nicht geklärt, wie die Nasca diese riesigen Zeichnungen angelegt haben, wenn sie denn nicht fliegen konnten, wovon man ausgehen muss. Zum anderen: Warum haben sie das getan? Warum hat man solche riesigen Zeichnungen in die Wüste gescharrt, bei Temperaturen im Sommer von durchaus 40, 50 Grad? Das wird wohl immer ein Rätsel bleiben.
Maria Reiche hatte festgestellt, das über vielen langen Linien die Sonne auf- oder untergeht oder auch der Mond. Sie vermutete, dass es sich um eine astronomische Kalender-Anlage handelt. Dass beispielsweise der Schamane der Nasca, wenn die Sonne über einer bestimmten Linie auf- oder unterging, den Bürgern seiner Gemeinde sagen konnte, ‚jetzt ist es Zeit für die Aussaat oder Ernte‘.
Welche anderen Vermutungen gibt es?
Gleichzeitig wurden in der Pampa Rituale abgehalten. Man findet auch heute noch kleine Opferaltäre, wo beispielsweise Keramiken oder Lebensmittel abgelegt wurden. Also fanden dort Zeremonien statt. Zu welchem Zweck, wissen wir nicht. In unserem Forschungsprojekt haben wir inzwischen alle geraden Linien und Flächen untersucht hinsichtlich ihrer Ausrichtung auf Sonne, Mond oder sehr helle Sterne. Tatsächlich weisen 70 Prozent all dieser Linien und Flächen auf Himmels-Ereignisse, also aufgehende Sonne, Mond oder Sterne. Ob es sich dabei tatsächlich um einen Kalender handelt, können wir nicht sagen.
Mit welchen Problemen haben die Nasca-Linien und Bewässerungsanlagen heute zu kämpfen?
Die Pampa von Nasca ist seit 1994 geschütztes Gebiet, UNESCO-Weltkulturerbe, das ist der Verdienst von Maria Reiche. Es ist verboten, die Pampa zu betreten. Im Schutzgebiet liegen aber auch die Städte Nasca und Palpa und viele kleine Ortschaften. Deshalb ist es schwierig zu überwachen, dass wirklich nichts zerstört wird.
Ein riesiges Problem sind die großen Vorkommen an Gold und Kupfer in der Region. Arbeiter siedeln sich an und große Minen werden erschlossen. Ursprünglich war das Schutzgebiet etwa 5.200 Quadratkilometer groß, inzwischen sind es nur noch 3.200 Quadratkilometer. Auch der Klimandel hinterlässt Spuren, Starkregenereignisse verursachen Zerstörungen. Aber auch der Massentourismus.
Die Zeichnungen und Aquädukte der Nasca haben etwa 2000 Jahre überlebt. Schaffen die noch mal 2000?
Wir haben inzwischen eine Internet-Applikation, wo jeder im Internet schauen kann, welche Linien und Figuren es in der Pampa von Nasca gibt und in dieser Form sind die Linien zumindest digital für die Nachwelt erhalten. Die Linien als Gesamtes zu schützen ist angesichts der Größe ein schwieriges Unterfangen und wahrscheinlich auf lange Zeit gesehen nicht möglich.