Das Bundesverfassungsgericht soll schon bald wieder in kompletter Besetzung mit acht Richtern tagen. Foto: Uli Deck/dpa
Der deutsche Weg zur Richterwahl ist im Kern richtig. Er verlangt den Handelnden aber Einsichten ab, die diese oft vermissen lassen, kommentiert Christian Gottschalk.
Der Bundestag hat nun also drei neue Verfassungsrichter bestellt, die Abgeordneten können sich auf die Schulter klopfen, „siehste mal, geht doch“ sagen, und sich der Tagesordnung zuwenden. Nichts wäre falscher als das. So ein Fiasko, wie es das Land bei der Wahl zum Bundesverfassungsgericht in diesem Jahr erlebt hat, darf sich nicht wiederholen. Das sagt sich leicht, doch die Realität ist eine andere.
In einer zunehmend polarisierten Welt, in der es nur noch schwarz und weiß gibt, und in der die Grautöne verschwinden, ist es sogar wahrscheinlich, dass des Desasters zweiter Teil nicht lange auf sich warten lässt. Weswegen es erst mal eine klare Analyse braucht, um dann die Wiederholungsgefahr zu minimieren. Dass die Wahl des SPD-Vorschlages Frauke Brosius-Gersdorf im Sommer so dermaßen schiefgelaufen ist, war ein Fehler, für den das System einen kleinen Teil der Verantwortung trägt, die handelnden Personen aber umso mehr. Genau genommen hat das Versagen einen Namen: Jens Spahn. Und so wie der Fraktionschef der Union in der Vergangenheit nicht frei von Fehlern gewesen ist, so wird er es wohl auch in Zukunft nicht sein.
Das Versagen hat einen Namen
Dass es nun im zweiten Versuch mit einer anderen Kandidatin geklappt hat, ist kein Beweis für die Lernfähigkeit des ehemaligen Gesundheitsministers. Es ist der Umsicht der SPD geschuldet. Die hat eine Kandidatin nominiert, die keine Angriffsfläche geboten hat. Das war in diesem Moment clever, eine Dauerlösung sollte es nicht sein. Das Gericht lebt davon, dass unterschiedliche Charaktere mit unterschiedlichen Temperamenten und Ansichten aufeinander treffen.
CDU-Fraktionschef Jens Spahn Foto: Heiko Becker/dpa
Egal wer künftig dran sein wird mit dem Vorschlagsrecht, ein wenig pointierte Ansichten dürfen die Richterkandidaten ruhig haben. Das Gericht, das hat die Vergangenheit gezeigt, fängt diese Meinungen ein – und lässt sie befruchtend auf sich wirken. Das Kollektiv entscheidet mit juristischen Argumenten, nicht mit politischen. Das ist der große Unterschied zu den USA, wo die Bestrebungen, Gerichte politisch zu vereinnahmen, weiter zunehmen. Der Auswahlprozess mag dort transparenter sein, mit knallharter, öffentlicher Befragung der Kandidaten. Das Ergebnis ist dadurch aber nicht besser. Am Ende entscheidet eine knappe politische Mehrheit. Das tut weder den Entscheidungen der Gerichte noch deren Akzeptanz auf Dauer gut.
Dem Gericht hat der Hickhack geschadet
Der deutsche Weg, dass eine große Einigkeit von zwei Dritteln gegeben sein muss, ist der klügere. Er setzt allerdings voraus, dass all jene, die ihn beschreiten, auch ein Mindestmaß an Klugheit ihr Eigen nennen. Dass sie auch einmal zustimmen, wenn es ein wenig weh tut, dass nicht der eigene Wille über allem steht. Das setzt auch Voraus, dass parteiübergreifend alle, die es gut meinen mit unserem Rechtsstaat, miteinander im Gespräch bleiben. Mit kindlicher Dickköpfigkeit auf Unvereinbarkeitsbeschlüssen zu bestehen, wird auf Dauer nicht funktionieren – in keinem Politikfeld, bei der Richterwahl ganz besonders nicht.
Das Bundesverfassungsgericht hat Schaden genommen durch all den Hickhack der Vergangenheit. Fälle sind liegen geblieben, weil die Besetzung nicht klar war, und im nicht wohl gesonnenen In-wie Ausland wird die Posse so gewertet, als ob die Politik auch hierzulande Einfluss auf die Arbeit der Richter nimmt. Das ist Quatsch, Noch ist der Schaden behebbar.
Wie kein zweites Gericht im Land lebt das Bundesverfassungsgericht vom Vertrauen, dass ihm Menschen und Institutionen entgegen bringen. Daran müssen vor allem diejenigen bei ihrem Handeln denken, die in ihren Sonntagsreden die Wichtigkeit und Unangreifbarkeit des Gerichts beschwören.