Inhalt

Auf einer Seite lesen

Inhalt

  1. Seite 1Europa soll den Krieg spüren


  2. Seite 2Der Westen ist an allem Schuld

Es ist ein Satz, der in Moskau gesessen hat, und zwar richtig. Anfang dieser Woche traf Donald Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in New York. Kurz danach schrieb Trump auf Truth Social diese Gehässigkeit: Russland sei „nur ein Papiertiger“. Eine echte Militärmacht hätte den Krieg in der Ukraine längst für sich entschieden. 

In den vergangenen Monaten hatte Russlands Präsident Wladimir Putin immer wieder Trumps Sticheleien, etwa den Vorwurf, er rede „viel Bullshit“, einfach abperlen lassen. Sie enthielten nichts Neues, seien nicht substanziell und letztlich bedeutungslos. Diesmal jedoch schickte er seinen Sprecher Peskow mit einer peinlichen Rechtfertigung vor die Presse: Russland sei gar kein Tiger, sondern ein echter Bär, sagte der. Und Bären gebe es nun mal nicht in Papierform.

Bemerkenswert ist dieser verbale Schlagabtausch auch, weil Putin in den vergangenen Monaten und vor allem Wochen einiges in Bewegung setzt, um eben nicht als zahnloser Papiertiger zu wirken, sondern als echte Bedrohung für Europa.  

Seit Tagen suchen dänische Militärs und Sicherheitsbehörden nach Drohnen unbekannter Herkunft im eigenen Luftraum, Flughäfen mussten vorübergehend schließen. Im Verdacht: Russland. Wenige Tage zuvor flogen drei russische MiG-31 zwölf Minuten lang unerlaubterweise in estnischem Luftraum, sodass sich die Nato zu Konsultationen gemäß Artikel 4 zusammengefunden hat. Ende vergangener Woche rasten gleich zwei russische Flugzeuge in einer Höhe von knapp 100 Metern über der deutschen Fregatte Hamburg hinweg – ein riskantes und sinnloses Manöver. Der bislang schwerwiegendste Zwischenfall: 19 russische Drohnen flogen teils Hunderte Kilometer nach Polen hinein, sodass F-16-Jets aufstiegen, um einen Teil davon abzufangen.

Diese Art von Eskalation sei ein Test der Nato, der Einheit und der militärischen Möglichkeiten des Bündnisses. So zumindest lautet eine gängige Erklärung dieser Provokationen. Die tatsächlichen Motive Putins könnten allerdings konkreter sein als ein bloßes Ausloten des Möglichen. 

Atomdrohungen wirken nicht mehr

Um die Beweggründe des russischen Präsidenten zu verstehen, hilft ein Blick auf die jüngsten Ereignisse im Ukrainekrieg. In den vergangenen Wochen hat die Ukraine ihre Schläge tief nach Russland hinein intensiviert. Fast täglich brennen russische Ölraffinerien, Pumpstationen, Umspannwerke. Flughäfen in Moskau und anderen Metropolen müssen immer wieder ihre Arbeit einstellen. Auf der besetzten Krim etwa ist Treibstoff an Tankstellen wegen der Angriffe gegen Raffinerien bereits Mangelware.

© Lea Dohle

Newsletter
Neu: Nur eine Frage

Vielen Dank! Wir haben Ihnen eine E-Mail geschickt.

Prüfen Sie Ihr Postfach und bestätigen Sie das Newsletter-Abonnement.

Die Ukraine setzt für diese Attacken Drohnen ein, die mit Geld aus Europa, auch aus Deutschland, gefertigt werden. Vor einigen Wochen kündigte die Ukraine den Bau von Raketen mit bis zu 3.000 Kilometern Reichweite an. Der notwendige Treibstoff soll unter anderem in einer Fabrik in Dänemark hergestellt werden.

„Die russische Führung scheint überzeugt, dass Nato-Staaten für diese Angriffe tief nach Russland maßgeblich verantwortlich sind“, sagt Russlandexperte Alexander Gabujew, Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center, eines in Berlin ansässigen Thinktanks. Zugleich gelten westliche Rüstungsbetriebe, die für die Ukraine arbeiten, bisher als sicher vor russischen Angriffen. Genau hier wolle Putin mit seinen Provokationen, etwa den Drohnenflügen, ansetzen. „Putin will signalisieren, dass diese Art von Unterstützung für die Ukraine nicht ohne Schäden und Kosten für die Europäer bleibt“, erklärt Gabujew. Europa soll den Krieg spüren, wenn Flughäfen schließen müssen oder Jets Drohnen jagen. Die jüngste Eskalation sei in diesem Sinne eine Weiterentwicklung des mittlerweile gewohnten atomaren Säbelrasselns Putins der vergangenen Jahre. 

Russische Provokationen

Mehr zum Thema

Z+ (abopflichtiger Inhalt);

Nato:
Einfach abschießen?

Z+ (abopflichtiger Inhalt);

Kampfjets in Estland:
Putin dreht die Eskalationsspirale weiter

Diese Drohungen sollten Angst vor Russland erzeugen und Waffenlieferungen an die Ukraine schmälern. Doch irgendwann verpuffte die Wirkung dieser Rhetorik. Einflussreiche Stimmen in Russland, wie der Außenpolitikexperte Sergej Karaganow und auch Putin-Berater Dmitrij Trenin, haben die nukleare Abschreckung in ihrer bisherigen Form längst für gescheitert erklärt. Zu riskant und deshalb zu unglaubwürdig.

Vor gut einem Jahr fasste Trenin deshalb seine alternativen Vorschläge für Wladimir Putin in einem Artikel für die Fachzeitschrift Russia in Global Affairs zusammen. Die wichtigste Aufgabe sei es, eine weitere Involvierung von Nato-Staaten in den Ukrainekrieg zu verhindern. Den Regierenden im Westen müsse „klargemacht werden“, dass sie im Falle eines „Konflikts mit Russland“ nicht in „komfortablen und geschützten Umständen“ verweilen können, schreibt Trenin weiter. Im gleichen Text empfiehlt Trenin deshalb Angriffe mit nicht nuklearen Waffen gegen westliche Drohnen im Schwarzen Meer, gegen logistische Knotenpunkte in Europa, die für die Versorgung der Ukraine wichtig sind, sowie Cyberangriffe gegen „kritische Infrastruktur in Europa und Nordamerika“. 

Lange galten solche Texte selbst als Akt hybrider Kriegsführung im Propagandabereich. Sie sollten im Westen Angst schüren. Putin wiederum profitierte, weil er sich besonnener geben konnte als sein Umfeld. Dennoch scheinen die Machthaber in Moskau zumindest einen Teil der radikalen Ideen aufzugreifen.