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Stand: 26.09.2025 07:35 Uhr

Grüne und Linke wollen Erben großer Vermögen stärker in die Pflicht nehmen. Das fordert auch die SPD, die Union ist skeptisch. Das Thema könnte zur Belastung für Schwarz-Rot werden – oder Perspektiven eröffnen.


Mario Kubina

Auf den ersten Blick scheinen die Zahlen eine klare Sprache zu sprechen. 13,3 Milliarden Euro hat der Fiskus im vergangenen Jahr an Erbschaft- und Schenkungsteuer festgesetzt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts handelt es sich um einen Höchstwert. Auf die Erbschaftsteuer entfielen 8,5 Milliarden Euro – ein Plus von 9,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Die Steuerstatistik zeigt aber auch: Rund 460-mal haben in den vergangenen zehn Jahren Vermögen den Besitzer gewechselt, die sich auf mindestens 100 Millionen Euro belaufen. Und in mehr als der Hälfte dieser Fälle wurden keine Steuern fällig. Das geht aus Daten der Bundesregierung hervor, die die Linkspartei angefragt hat.

Linke und Grüne fordern Reform der Erbschaftsteuer

„Ich finde, dass diese Zahlen nochmal den Auftrag klarmachen“, sagte der Bundestagsabgeordnete Dietmar Bartsch (Die Linke) dem ARD-Hauptstadtstudio. Nach seinen Worten gibt es viele Fälle, in denen selbst „bei Riesenvermögen“ keine Steuern bezahlt werden. „Diese Schlupflöcher müssen geschlossen werden“, so Bartsch.

Auch die Grünen im Bundestag sehen ein Problem bei der Erbschaftsteuer. Das machte Katharina Beck deutlich, die finanzpolitische Sprecherin der Fraktion: „Wer unfassbar viel erbt, zahlt weniger, als jemand, der mittelviel erbt.“ Sie spricht von einer Gerechtigkeitslücke.

Kritik an Ausnahmen für Erben von Unternehmen

Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sieht Änderungsbedarf. Sein Präsident Marcel Fratzscher begründet das damit, dass bei kleineren Erbschaften ein drei- bis viermal höherer Steuersatz fällig werde als bei sehr großen Erbschaften.

Ein Grund dafür liegt in den Regelungen zum sogenannten Betriebsvermögen, wie der Wirtschaftswissenschaftler ausführte. „Wenn […] Sie von den Eltern ein Unternehmen erben, dann können Sie dieses Unternehmen unter bestimmten Umständen komplett steuerfrei bekommen.“ Das gilt zum Beispiel, wenn man die Steuerschuld nicht begleichen kann, weil das geerbte Vermögen im Betrieb steckt und nicht auf Konten herumliegt.

Und genau das ist auch das zentrale Argument der Befürworter solcher Ausnahmen: In ihren Augen geht es darum, bei einem Generationenwechsel an der Firmenspitze Arbeitsplätze zu sichern.

Spahn zeigt sich bei Reform gesprächsbereit

Ausgelöst hat die aktuelle Erbschaftsteuer-Diskussion jemand, von dem man es nicht unbedingt erwartet hätte. „Es ist ein Problem: die Vermögensverteilung“, sagte Jens Spahn vor Kurzem im ZDF. In der Sendung zeigte sich der Unionsfraktionschef mit Blick auf eine Reform der Erbschaftsteuer grundsätzlich gesprächsbereit. Unter der Bedingung, dass Firmen nicht in ihrem Fortbestand gefährdet werden.

Das wiederum befürchten die Gegner einer Reform. Gerade erst hat Wirtschaftsministerin Katherina Reiche von der CDU vor negativen Folgen für Unternehmen gewarnt.

Und auch die CSU lehnt höhere Steuersätze ab. Parteichef Markus Söder fordert stattdessen, die Erbschaftsteuer zu regionalisieren. „Dann können die SPD-Länder erhöhen und wir Bayern werden die Erbschaftsteuer massiv senken“, sagte Söder unlängst im ARD-Interview. Ein Vorschlag, der bei der Schwesterpartei CDU auf wenig Gegenliebe stößt.

AfD spricht schon von einem „Raubzug“

Die Union dürfte in der Diskussion auch im Blick haben, wie sich die AfD positioniert. Deren Fraktionschefin Alice Weidel formulierte es vergangene Woche im Bundestag so: „Das nächste CDU-Umfallen kündigt sich bei der Erbschaftsteuer an.“ Forderungen nach einer Reform laufen nach ihren Worten auf einen „neuen Raubzug gegen den unternehmerischen Mittelstand“ hinaus.

Die SPD aber bleibt dabei: Sie will Änderungen bei der Erbschaftsteuer – mit dem Ziel, die „breiten Schultern“ und die „großen, großen Vermögen“ mehr als bisher an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen, wie es SPD-Fraktionschef Matthias Miersch vergangene Woche im Bundestag deutlich machte.

Bei Freibeträgen für nahe Verwandte oder Ausnahmen für Erben von selbstgenutztem Wohneigentum soll es aber offenbar bleiben.

ARD-Deutschlandtrend: Knappe Mehrheit für Reform

Sollten die Steuern auf hohe Erbschaften angehoben werden? 51 Prozent der Befragten im aktuellen ARD-Deutschlandtrend sagen, eine solche Maßnahme würde in die richtige Richtung gehen. 42 Prozent hielten dies für falsch.

Besonders groß ist der Rückhalt für eine solche Erbschaftsteuer-Reform unter Anhängern von Grünen, Linken und SPD. Bei Unionsanhängern entspricht die Zustimmung dem Durchschnitt der Befragten, unter AfD-Anhängern ist sie am niedrigsten.

Verfassungsgericht befasst sich mit Erbschaftssteuer

Klar ist: Löcher im Bundeshaushalt ließen sich auf diesem Weg eher nicht stopfen. Denn die Erbschaftsteuer steht den Ländern zu, nicht dem Bund. Dennoch könnte bald Bewegung in die Sache kommen, weil sich mit der Erbschaftsteuer auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt – und eine Entscheidung dazu steht noch aus. Je nach Ausgang könnten die Sozialdemokraten den erwarteten Beschluss aus Karlsruhe nutzen, um den Druck auf die Union zu verstärken.

Aus den Reihen der SPD ist in diesen Tagen immer wieder zu hören, etwaige Sozialkürzungen seien an höhere Abgaben für Vermögende oder Spitzenverdiener geknüpft. Es brauche ein ausgewogenes Gesamtpaket.

Der „Herbst der Reformen“: Eine Ankündigung, die sich aus SPD-Sicht nicht auf den Sozialstaat beschränken sollte.