Stand: 26.09.2025 16:46 Uhr
Der britische Bestsellerautor Robert Macfarlane sieht Flüsse nicht als Ressource, sondern als lebendige Wesen mit Rechten. Sein neues Buch „Sind Flüsse Lebewesen?“ ist ein poetisches, politisches Plädoyer für Naturrechte.
So einen Tag an der Elbe möchte man einfach nur genießen. Aber da kommt dieser Robert Macfarlane, Bestseller-Autor aus Cambridge, und konfrontiert uns mit der unschönen Wahrheit. „Alle unsere Flüsse sind gefährdet. Nur 0,0002 Prozent des Wassers auf der Erde fließt in Flüssen. Ein Fluss ist also eine bedrohte Spezies. Wenn sie auf die Elbe schauen, sehen sie also quasi einen Schneeleoparden. Nur, damit man mal begreift, wie fragil und vital Flüsse sind. Betrachten wir Flüsse und Wasser nur als Ressource zum Verbrauchen, vergessen wir, was sie den Menschen von jeher an Leben gebracht haben und für alle Zukunft bringen werden.“
Macfarlane stellt die kühne Frage: Sind Flüsse Lebewesen? Und sollten wir sie deshalb nicht länger als Dinge betrachten, sondern als Rechtspersonen? Um eine Antwort darauf zu bekommen, ist der renommierte Natur-Schriftsteller nach Ecuador gereist, hat Flusslandschaften und ihre Ureinwohner und Aktivisten in Kanada und in Indien befragt. Dabei hätte er eigentlich nur seinen Sohn in Cambridge fragen müssen. „Ich holte meinen Sohn Will, von der Schule ab. Er war neun und wollte wissen, wie denn das neue Buch heißen soll, an dem ich arbeite. Und ich sagte: Sind Flüsse Lebewesen? Und er meinte: Oh, Dad, das wird aber ein kurzes Buch: ist doch klar: Ja!
Fasziniert von der Kraft der Flüsse
Kinder haben ein intuitives Gespür für die Dinge, was wir Erwachsenen verlernen, sagt Macfarlane. Sie begreifen sofort, um was es geht: Flüsse wollen ungehindert fließen, sie wollen nicht verschmutzt werden, und so sollte es bleiben. Genau das haben indigene Völker schon immer begriffen. Und Ecuador war 2008 das erste Land, das zumindest einen Fluss als Rechtsperson anerkannt hat. Anwälte können in seinem Namen Konzerne verklagen, die ihn schädigen. Immer mehr Länder verschaffen der Natur Grundrechte.
Macfarlane beobachtet auch, wie der Raubbau zunimmt. So sieht er in Ecuador, wie andere Flüsse vom Goldabbau der Minenindustrie zerstört werden. Im indischen Chennai sind die einst fischreichen Flüsse, an denen die Stadt liegt, so gut wie tot – durch Umweltverschmutzung. Und deshalb sollte man auch Flüsse als Lebewesen mit Grundrechten betrachten. „Wir statten viele andere Dinge mit Rechten aus, die nicht empfindungsfähig sind“, findet der Autor. Ein eigenes Bewusstsein ist keine Voraussetzung dafür, Rechte zu bekommen. Mich fasziniert einfach die Kraft von Flüssen, mit denen sie Leben in unsere Gesellschaft bringen. Sie haben eine enorme soziale Fähigkeit. Denken Sie an München, wo die Renaturierung der Isar der Stadt einen erstaunlichen Gewinn beschert hat.
Nach einem Jahr Pause ist das Festival in Hamburg wieder zurück – mit viel Prominenz.
„Kratzer auf dem Wellblechdach der Welt“
Ein Werbevideo, das die Staudammprojekte der kanadischen Wasserbau-Unternehmen „Hydro-Québec“ feiert. Das Ausmaß der Umweltzerstörung dabei ist kaum vorstellbar, aber das Video preist sie als technische Errungenschaft. Indigene Aktivisten der Innu, die Macfarlane in Kanada kennenlernt, stellen sich mit Gesang dagegen.
Wir sind wütend, dass man keinerlei Respekt vor unserem Volk hat. Dauernd bombardiert man uns mit Projekten, die unser Land zerstören, unsere Flüsse mit Dämmen stoppen. Eine Bereicherung von Regierungen, die nichts mit uns Ureinwohnern zu tun haben.
Liedausschnitt der indigene Aktivisten der Innu
Welche Erkenntnis hat Macfarlane von seinen Reisen mitgebracht? „Ich habe gelernt, die Flüsse und Gewässer bei mir zu Hause jetzt als Freunde zu betrachten“, sagt er. „Wir besuchen uns als Freunde. Ich erzähle ihnen von mir und sie von sich.“ Auf dem Harbour Front Literatur Festival in Hamburg zeigt Robert Macfarlane auch, wie poetisch er in seinem Buch die Natur beschreibt: „Glühwürmchen schweifen in mittlerer Entfernung. (Die Nacht ist glasklar.) Im Süden flackert ein Wetterleuchten. Ich sehe eine Sternschnuppe, dann zwei weitere. Drei Kratzer auf dem Wellblechdach der Welt.“ Sind Flüsse Lebewesen? Entscheiden sie selbst beim nächsten Uferspaziergang.
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