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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

„alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, heißt im Grundgesetz, doch wenn es um die Verteilung des Wohlstands geht, gleicht die Bundesrepublik einer Lotterie. Die Gewinne fließen an wenige, deren Vermögen Tag und Nacht arbeiten. Alle anderen Bürger arbeiten ebenfalls, müssen aber zusehen, wie die Preise schneller steigen als der Lohn. Wer nicht das Glück einer dicken Erbschaft hat, guckt in die Röhre. Die Schere zwischen wenigen Superreichen und der Masse der Bevölkerung klafft immer weiter auseinander: Die reichsten 10 Prozent der Haushalte besitzen beinahe 60 Prozent des Gesamthaushaltsvermögens – damit ist der Wohlstand im Vergleich aller OECD-Länder hierzulande besonders ungleich verteilt.

Die Reichen besitzen das eleganteste Perpetuum mobile der Welt: Geld, das Geld verdient. Es braucht keinen Applaus und keine Nachtschicht, nur die richtige Adresse. Unten hingegen wird gerechnet, gestrichen, verzichtet. Der Wocheneinkauf mutiert zur Demütigung, die Nebenkostenabrechnung zum Schock. Und wer als Durchschnittsverdiener in einer Großstadt vom Eigenheim träumt, landet spätestens in der Bankfiliale auf dem harten Boden der Tatsachen. Eigentum, einst das manifestierte bürgerliche Aufstiegsversprechen, ist zum Luxus geworden.

Ungerecht ist das nicht nur in moralischer, sondern auch in logischer Hinsicht: Wer Vermögen hat, kassiert Renditen. Wer keines hat, zahlt sie – in Form von Miete, Zinsen, Gebühren und unfairen Steuersätzen. Leistungsgerechtigkeit ist nur noch ein verstaubtes Wort aus den besseren Tagen der Republik. Gewiss: Chancen gibt es viele, doch sie sind ungleich verteilt.

Diese Entwicklung ist riskant. Gesellschaftlicher Frieden ist kein Naturzustand, sondern ein Vertrag, der seine Gültigkeit verliert, wenn zu viele ihn als Trick verstehen. Wo Fairness fehlt, wächst Ressentiment. Wer das Gefühl hat, der Staat sei nur noch ein Türsteher für Vermögende, wechselt die Loyalität – oder die Partei. Radikale bieten einfache Abrechnungen, und die Verlockung der einfachen Rechnung ist groß, wenn sich der Kühlschrank leert.

Was also tun gegen den Eindruck der grassierenden Ungerechtigkeit? Zunächst braucht es Konsens über das Offensichtliche: Reichtum ohne Gegenleistung sollte nicht auch noch über die Gesetze lachen können, Arbeit darf nicht durch Preise entwertet werden, Wohnen ist kein Luxusgut. Politik, die sich an den Stärksten orientiert, verliert die Mehrheit – erst innerlich, dann an der Urne.

Die Republik braucht keinen Klassenkampf, aber sie braucht Gerechtigkeit, die man im Alltag spürt: einen Boden unter den Füßen, eine Leiter nach oben und eine Decke, die nicht nur die Oberen wärmt. Sonst bleibt die Lotterie die einzige Institution, die zuverlässig liefert – und am Ende genau das produziert, wovor sich alle fürchten: soziale Nieten.

Wie lässt sich konkret mehr Gerechtigkeit schaffen? Darüber diskutieren meine Kollegen Carsten Janz und Christoph Schwennicke im heutigen Tagesanbruch-Podcast mit der Forscherin Martyna Linartas. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Ungleichheit von Vermögen in Deutschland und bringt nicht nur die Probleme auf den Punkt, sondern macht auch Lösungsvorschläge – die auch Widerspruch hervorrufen. Deshalb ist es eine muntere Diskussion geworden, die ich Ihnen gern ans Herz lege (beziehungsweise ans Ohr):

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Martyna Linartas fordert ein gerechteres Steuersystem.Vergrößern des BildesMartyna Linartas fordert ein gerechteres Steuersystem. (Quelle: privat)

Anschließend wünsche ich Ihnen ein famoses Wochenende. Am Montag kommt der Tagesanbruch von meiner Kollegin Anna-Lena Janzen.

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

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