Das Gespräch soll nur wenige Sekunden gedauert haben. Mit dürren Worten teilte ein Staatssekretär des Verkehrsministeriums am vergangenen Samstag Philipp Nagl mit, dass er seinen Job als Chef der Infrastruktursparte der Deutschen Bahn bald los ist.
Für Nagl war es der Beginn einer Achterbahn-Woche. Nachdem die „Bild“-Zeitung wenig später verkündete, dass Verkehrsminister Patrick Schnieder den früheren Bahnmanager Dirk Rompf zum Vorstandsvorsitzenden der DB InfraGO machen will, kündigte die Bahngewerkschaft EVG sofort Widerstand an. Nagl wurde danach von den Bahnmitarbeitern in den internen Kommunikationskanälen mit Zuneigung überhäuft.
Umso größer war die Erleichterung bei den Beschäftigten, als Schnieder am Donnerstag eine Kehrtwende vollzog. Nach Rompfs Verzicht verkündete er, dass Nagl nun dauerhaft Infrastrukturchef der Bahn bleibt. Zusammen mit Bahnchefin Evelyn Palla wird Nagl damit die Zukunft der DB entscheidend prägen, darf er doch in den kommenden vier Jahren über 100 Milliarden Euro Steuergeld für die Sanierung des Schienennetzes ausgeben.
Super Entscheidung, das ist ein guter Tag heute.
Ein Bahnmitarbeiter
„Super Entscheidung, das ist ein guter Tag heute“, schreibt ein Mitarbeiter im DB-Planet, der internen Kommunikationsplattform der Bahn-Beschäftigten. „Philipp Nagl ist absolut einer der richtigsten (sic) und wichtigen Menschen bei der Bahn. Danke, dass Sie für uns geblieben sind“, schreibt eine andere Eisenbahnerin. Ein Dritter meint: „Hut ab Herr Nagl, ich denke, ich hätte das Spielchen nicht mitgemacht und wäre gegangen.“
Worte, aus denen große Zuneigung für den 43-Jährigen sprechen. Gilt Nagl bei der Bahn doch seit Jahren als Hoffnungsträger. Denn der Österreicher ist ein Eisenbahn-Nerd, der vermutlich jede Weiche in Deutschland kennt und sich gerne auch mal persönlich einmischt, wenn bei der Reparatur einer dieser Weichen etwas schiefläuft.
Kritiker werfen ihm Mikromanagement vor
Kritiker werfen Nagl deshalb Mikromanagement vor. Doch diese kommen vor allem aus dem mittleren Management, das Nagl bei seinen Interventionen gerne einmal übergeht. Nagl zeigt damit auch auf, dass es die Vielzahl an Management-Ebenen womöglich gar nicht braucht. Bei den Beschäftigten auf der Arbeitsebene kommt Nagls Aufmerksamkeit für ihre Probleme sehr gut an.
Sie betrachten Nagl als einen der ihren. „Mein Herz gehört seit Kindertagen der Eisenbahn, und ich habe mich schon früh für jedes Detail interessiert – egal, ob es um Spezifikationen von Stellwerken oder komplizierte Fahrplankonstrukte ging“, hat Nagl mal der „FAZ“ erzählt. Später promovierte er am Institut für Transportwirtschaft und Logistik an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Seine Stationen im Überblick
Philipp Nagl promovierte am Institut für Transportwirtschaft und Logistik der Wirtschaftsuniversität Wien. Er begann seine Karriere bei der Deutschen Bahn. Von 2011 bis 2014 kümmerte er sich beim Fernverkehr der Österreichischen Bundesbahnen um die Geschäftsentwicklung. Anschließend wechselte er zur Bahntochter DB Fernverkehr. 2022 wurde er Vorstandsvorsitzender der DB Netz AG, diese Rolle übernahm er auch bei der neugegründeten DB InfraGO.
Bei seinem Einstiegsjob bei der Deutschen Bahn erregte er gleich Aufsehen. Nagl sollte in einer Studie aufzeigen, wie der ICE nach London fahren kann. Er plante eine Demonstrationsfahrt. Doch die Behörden sahen Brandschutzprobleme im Ärmelkanal. Nagl ließ den Zug daraufhin kurzerhand ohne Fahrgäste von einer französischen Lok durch den Tunnel schleppen.
Kurz darauf ging Nagl zu den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), wo er sich um die Geschäftsentwicklung im Fernverkehr kümmerte. In dieser Rolle modernisierte er unter anderem das Nachtzuggeschäft. Zur Deutschen Bahn kehrte er 2014 zurück, 2022 wurde er Chef der DB Netz, aus der die InfraGO hervorging.
Bahnchefin Palla wollte ihn halten
Nagl entwickelte das Konzept der Generalsanierung mit. Über 40 Hauptkorridore sollen dabei während monatelanger Vollsperrungen von Grund auf saniert werden. Er zeigte damit einen Weg auf, wie das marode deutsche Schienennetz mit einem Sanierungstau von rund 90 Milliarden Euro in einem überschaubaren Zeitraum saniert werden kann.
Es sei eine Trendwende zu erkennen, lobt ihn Kristian Loroch, Vize-Chef der EVG und Vize-Chef des InfraGO-Aufsichtsrats. „Deshalb wäre es auch ein unverzeihlicher Fehler, die Architekten dieser Trendwende abzusetzen.“
Evelyn Palla und Philipp Nagl leben beide in Wien. Sie gelten als Vertraute.
© dpa/Andreas Gora
In seiner Bahnstrategie hat Verkehrsminister Schnieder festgehalten, dass er an Nagls Konzept der Korridorsanierungen festhalten wird. Dennoch wollte er mit dessen Absetzung ein Signal für den Neuanfang bei der Bahn setzen.
„Herr Schnieder hat sich mit der Personalie Rompf komplett blamiert und Herrn Nagl unnötig infrage gestellt“, urteilt Matthias Gastel, Bahnexperte der Grünen. Er erwarte jetzt ein klares Bekenntnis zum neu strukturierten Vorstand der Deutschen Bahn.
Unumstritten ist Nagl allerdings nicht. Denn der Sanierung des Bestandsnetzes ordnet Nagl alles unter. So bremste er bei der Digitalisierung des Bahnverkehrs. Beim wichtigsten Pilotprojekt – dem digitalen Knoten Stuttgart – verhinderte ein Gremienvorbehalt der Bahn lange die dritte Ausbaustufe. Erst diese Woche hob der Bahnaufsichtsrat den Vorbehalt auf. Bei der Digitalisierung wünsche er sich eine schnellere Umsetzung, betont auch Matthias Gastel.
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Die neue Bahnchefin Evelyn Palla ist froh, dass sie mit Nagl weiterarbeiten kann. Sie hatte bereits bei ihrer Vorstellung am Montag demonstrativ betont, dass sie Nagl in herausgehobener Position im Bahnkonzern halten will. Beide leben in Wien und gelten als Vertraute. Verkehrsminister Schnieder quittierte Pallas Wortmeldung mit Schweigen.