Stäffele in Stuttgart sind eine Art Kulturgut, auf die die Mobilitätskampagne einen besonderen Fokus legt. Wer Stäffele läuft bleibt fit und entdeckt die Stadt immer wieder neu.

„Hallo, die Herrschaften, geh’n Sie auch mit?“, fragt OB Frank Nopper auf dem Eugensplatz zwei Damen und einen Herrn. Und holt sich einen Korb: „Noi, Herr Nopper“, lacht Gerda Renz und gesteht, „da machet unsere Fiaß nimmer mit.“ Aber dabei sein wollte sie und ihre Freunde schon, als die Stadt am Samstag zum ersten Stäffeles-Tag auf den Platz eingeladen hat, der gleich mehrere reizvolle Aussichten zu bieten hat: Auf die Stadt und auf die nackte Brunnenfigur Galathea.

„Wie soll denn eine Meeresnymphe anders dargestellt werden als nackt“, kommentiert Stadtführerin Silke Amos ironisch die moralisch-pietistische Empörung der Bürger bei der Einweihung des von Königin Olga gestifteten Brunnens anno 1890. Und erzählt, dass die Stifterin gedroht habe, die Figur um 180 Grad drehen zu lassen, wenn nicht bald Ruhe herrsche: „Dann kehrt sie der Stadt den beanstandeten Körperteil zu.“

Galathea-Brunnen am Eugensplatz Foto: Lichtgut

Tut sie bis heute nicht, und zu ihren Füßen, begleitet vom Rauschen des Wassers aus Brunnen und Kaskaden, betont Nopper, dass Stuttgart die oder zumindest eine der Hauptstädte der Stäffele weltweit sei und damit ein Alleinstellungsmerkmal besitze. Ein Kulturgut, auf das sich nun im Aktionsplan „Nachhaltig mobil in Stuttgart“ das besondere Augenmerk richtet: „Stäffele sind oft die kürzeste Verbindung zu Bus oder Bahn“, appelliert Nopper an die Bürger, das Treppensteigen nicht zu scheuen. Nach dem Motto, mit dem für den körperlichen Einsatz zugunsten von Gesundheit und Umwelt geworben wird: „Du bist Stuttgart. Du gehst Stäffele.“

Thomas Moser geht Stäffele. Der Technische Vorstand der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) nimmt die Oskar-Schindler-Staffel, wenn er zu einem bestimmten Lädchen in der Mozartstraße will. Nopper wiederum kann gar nicht zählen, wie oft er in seinem Leben die Eugenstaffel gegangen ist, die vom Eugensplatz bis zur Konrad-Adenauer-Straße führt und für ihn die schnellste Verbindung zu seinem Zuhause auf der Gänsheide war und ist. Zwei von mehr als 400 Stäffele, die eine Strecke von 30 Kilometern ausmachen und zu denen jüngst noch im Süden die Wolf-Dieter-Wieland-Staffel kam, benannt nach einem verdienstvollen Lokalpolitiker.

OB Frank Nopper erklimmt auch regelmäßig Stäffele. Foto: Lichtgut

1304 wurde die erste Staffel urkundlich erwähnt. Ihre genaue Gesamtzahl weiß keiner und wie viele Treppen zu steigen, pardon, zu gehen sind, das ist sogar für Eberhard Rapp, den Autor eines Buches über Stäffele, unergründlich, „weil Stäffele nicht genau definiert sind und weil sie aus den Weinbergstaffeln hervorgegangen sind“. Wie die Sünderstaffel, auf die jetzt die Stadtführerin Silke Amos über die Diemershalde zusteuert. Vorbei an herrlichen Villen, zu deren Erbauern und Bewohnern Silke Amos hochinteressante Geschichten von Aufstieg und Fall, Reichtum und Verlust, erzählen kann. Diese Villa muss abgerissen werden“, deutet sie auf ein besonders eindrucksvolles Gebäude. „Der Boden gibt nach, unrettbar verloren. „Die Stäffele und die Stuttgarter Straßenbahnen AG – damals natürlich mit Pferdewagen – haben erst die Besiedlung der Halbhöhenlagen von Stuttgart möglich gemacht“, stellt Thomas Moser ausdrücklich fest.

Dann an der Stafflenbergstraße der Einstieg in die Sünderstaffel mit genau 259 Stufen, wie ein Teilnehmer gezählt hat. Früher ein Naherholungsgebiet für die Stuttgarter, so Amos, die alte Fotografien von verlockenden und längst verschwundenen Gasthäusern wie „Heidehof“, „Bubenbad“ oder „Im Sünder“ zeigt. Woher kommt dieser Name? Wurden hier arme Sünder vom Leben zum Tode befördert? Kann sein, meint Amos, und erzählt von einem Duell, in dem es natürlich um eine Frau gegangen sei und der Überlebende vielleicht hier, wo es heute so idyllisch grünt, hingerichtet worden sei. Könne aber auch sein, dass eine Familie Sünder hier einen Weinberg bewirtschaftet habe. Wie auch immer. Viel wichtiger ist ihr, dass diese Staffel beispielhaft saniert worden sei, wie sie ausdrücklich lobt. „Die Sanierungen müssen intensiviert werden“, reagiert Nopper sofort. „Wir sind dran“, bestätigt Jürgen Mutz, der Leiter des Tiefbauamtes. Die Meistersingerstaffel am Haigst sei die letzte gewesen, die für fast eine halbe Million Euro generalsaniert wurde, finanziert aus dem 20-Millionen-Euro-Topf für die Erhaltung von 1400 Kilometern Straßen.

Brunnenspiel am Galathea-Brunnen. Foto: Lichtgut

Über die Pfizerstraße mit der ehemaligen Franck’schen Verlagshandlung und die Olgastraße landet die Tour dann wieder an der Eugenstaffel und dem letzten, leicht zu bewältigenden Aufstieg. „Geschafft“, strahlt Petra Bisswang, die mit ihrem Mann aus dem Remstal gekommen ist und ein besonderes Verhältnis zu den Stäffelen hat: „Sie machen mich wieder gesund.“ Denn nach einem Schlaganfall im Mai hat sich die 57-Jährige aus dem Rollstuhl herausgearbeitet und sich seither Stäffeles-Touren an jedem Wochenende als Reha- und Fitness-Programm verschrieben. „Ich liebe die Stäffele“, schwärmt sie, „es gibt für mich nicht Schöneres mehr.“ Petra Bisswang braucht für diese Liebeserklärung keine Kampagne.