Es ist das erste Heimspiel der Münchner Philharmoniker, seit sie vor einigen Wochen vom „Flanders Festival Gent“ ausgeladen worden waren. Grund war, dass die Festivalleitung Lahav Shani, dem aus Israel stammenden designierten Chefdirigenten, eine unzureichende Distanzierung von der israelischen Regierung und dem Gazakrieg attestierte. Die Solidarität mit den Philharmonikern reichte daraufhin in Belgien und Deutschland bis in die politische Spitze. Was die Münchnerinnen und Münchner von ihren Philharmonikern halten, zeigt sich nun in der Isarphilharmonie. Ein volles Haus, ein Applaus, der stets bereit ist, zum Jubel zu werden.

Eigentlich braucht dieses Konzert die Genter Geschichte nicht, um seinerseits Geschichten zu erzählen. Gleich zwei Debüts werden gefeiert, und beide haben mit starken Künstlerinnenpersönlichkeiten zu tun. Am Dirigentinnenpult gastiert Dalia Stasevska. Die ukrainisch-finnische Dirigentin sammelt seit 2022 Hilfsgüter-Spenden für die Ukraine. Sie bei ihrer energetischen Leitung der Philharmoniker zu sehen, ist ein Erlebnis, dazu gleich mehr. Und als Pianistin ist Gabriela Montero zu Gast. Sie musizierte schon 2009 bei der Amtseinführung von Barack Obama, das waren Zeiten. Jetzt spielt sie „Ein Prosit der Gemütlichkeit“, auch dazu gleich mehr.

Der „Morgenstimmung“ aus Griegs „Peer Gynt“-Suite Nr. 1 eine neue Lesart abzuringen, muss man erst einmal zustande bringen. Stasevska versucht es. Sie gibt erstaunliche agogische Dehnungen vor. Die Musik klingt dadurch sehr elastisch und federnd. Da die Dirigentin im selben Atemzug auf der dynamischen Seite des Ausdrucks kleine und kleinste Schweller einstreuen lässt, führt das gleichzeitig zu eigentümlich prägnanten Betonungen.

In Summe ergibt das für die berühmte Melodielinie einen etwas kuriosen Schlingerkurs – und es durchzuckt einen der Gedanke, dass man „Morgenstimmung“ zur Wiesnzeit eigentlich kaum besser einfangen kann. Wirklich zauberhaft ist, wie feinsinnig die Musik im zweiten Satz verlischt und wie anmutig das Mazurka-Tempo des dritten Satzes gelingt. „In der Halle des Bergkönigs“ tritt dann Stasevskas überragende Qualität zu Tage, das Orchester mit entfesselt animierendem Dirigat anzutreiben. Nach der Pause wird sie damit auch Dvořáks Achte befeuern – mit dem virtuosen Flötensolo des Finalsatzes an der Spitze.

Zuvor aber Prokofjews Drittes Klavierkonzert. Wenn Gabriela Montero sagt, dieses Werk sei „absolutely crazy“, dann beschreibt das ziemlich treffend, mit welcher Geschwindigkeit es am Ende über die Ziellinie brettert. Montero sitzt dazu gelassen auf ihrem Lehnstuhl. Anfangs war die Koordination mit dem Orchester noch nicht ideal. Als man sich auf ein gemeinsames Schrittmaß geeinigt hat, verleihen Montero und Stasevska der kernigen Musik mit rhythmischem Esprit viel Charme. Absolut hinreißend ist – denn keineswegs ist dieses Klavierkonzert bloßes Krafttraining–, wie Montero andernorts den lyrischen Klavierdiskant mit dem Orchester verwebt.

Bekannt ist die Pianistin hauptsächlich für ihre Improvisationen. Und dass sie dieses Können als Zugabe zeigt, hebt den Abend von anderen Klassikkonzerten deutlich ab. Welche Melodie sie als Grundlage nehmen solle, fragt sie ins Publikum, und ein Herr lässt den Finger in die Höhe schnellen. Er darf – und präsentiert eine jahreszeitlich kreative Idee: ein Prosit der Gemütlichkeit.

Montero bittet das gesamte Publikum zur Gesangseinlage. Und wirklich: Noch schneller als zuvor Montero und die Philharmoniker auf ein gemeinsames Prokofjew-Tempo einigen sich alle wundersam auf eine Tonart. Seltsam, dass Montero diesem schönen Unisono die zweite Hälfte der Melodie nicht entnehmen kann. Letztlich bleiben als Thema für ihre Improvisation die drei quartsextakkordischen Anfangstöne übrig. Aber das ist nicht tragisch, denn wie Montero daraus live auf der Bühne mit grandiosem Musikhandwerk, enormem Repertoire an musikalischen Bausteinen und natürlich („I feel it happen“) ganz viel Einfühlungsvermögen eine Art opulente Bach-Invention zusammenbaut, ist mitreißend.