Europas Natur steht unter Stress. Der Kontinent erwärmt sich im Zuge des Klimawandels zweimal schneller als der globale Durchschnitt, was einen erheblichen Anpassungsdruck auslöst. Dazu setzt das Wirtschaften des Menschen der Artenvielfalt sowie Böden und Wassersystemen zu. Das sind die Kernbotschaften des Berichts zum Stand von Europas Umwelt, den die Europäische Umweltagentur (EEA) an diesem Montag veröffentlichte. Es gebe zwar einige Fortschritte, erklärt EU-Umweltkommissarin Jessika Roswall, die Analyse ist für sie aber „ein klarer Aufruf zum Handeln, um die Umweltverschmutzung weiter zu reduzieren, die Natur wiederherzustellen und die biologische Vielfalt zu schützen“.

Alle fünf Jahre legt die EEA den Bericht vor, die Umweltagentur gehört zur Europäischen Union, weitere Mitglieder sind Island, Liechtenstein, Norwegen, die Schweiz und die Türkei. Die Länder des westlichen Balkans wie Albanien oder Serbien kooperieren mit ihr. So kann die EEA auf Daten aus 38 Ländern zugreifen.

Auf den insgesamt 232 Seiten des Berichts stehen auch positive Nachrichten. Im Vergleich zu 1990 sei der Ausstoß an Treibhausgasen in der EU um gut ein Drittel zurückgegangen, der Anteil der erneuerbaren Energien habe sich seit 2005 verdoppelt. Im Kampf gegen den Klimawandel sei der Staatenbund weltweit führend, heißt es. Zudem werde die Luft immer besser, durch gesetzliche Maßnahmen habe sich vor allem die Feinstaubbelastung verringert. Die Zahl der so ausgelösten vorzeitigen Todesfälle sei seit 2005 um fast die Hälfte zurückgegangen.

Die Lebensräume für Pflanzen und Tiere werden täglich kleiner

Diese Erfolge stehen für die EEA allerdings im Schatten der Probleme, die sich weiter verschärfen. Vor allem der Rückgang der Biodiversität bereitet den Analysten Sorgen. 81 Prozent der natürlichen Lebensräume seien in einem schlechten oder sehr schlechten Zustand, genauso wie die Population von 39 Prozent der Vogelarten sowie 62 Prozent der restlichen in Europa heimischen Tierarten. Bei den meisten sei der Trend rückläufig. Nur 38 Prozent der Seen, Flüsse und Küstengewässer seien ökologisch in Ordnung, in Deutschland nur neun Prozent. Fischerei, Tourismus und wirtschaftliche Nutzung setzten den Wassersystemen zu.

Als Verursacher der Probleme stehen zwei Bereiche im Zentrum der Kritik: erstens der Flächenfraß durch Neubaugebiete, Verkehr und Ansiedlung von Gewerbe. So wird allein in Bayern nach Angaben des Landesamtes für Statistik täglich eine Fläche von 14 Fußballfeldern neu für Siedlungen und Verkehr genutzt. Dadurch werden die Lebensräume für Pflanzen und Tiere kleiner. Zudem ging die Fähigkeit der Natur, Treibhausgase aufzunehmen, im Vergleich zum vergangenen Jahrzehnt um rund ein Drittel zurück.

Der zweite Problembereich ist die Ernährung, vor allem die industrielle Landwirtschaft. Sie sei „die größte Belastung sowohl für Oberflächen- als auch für Grundwasser“, so die Umweltagentur. Weil die Landwirte zu viel Dünger und Pestizide ausbringen, verursachten sie den Rückgang vieler Tierarten und verschlechterten die Qualität der Böden. In Deutschland etwa seien rund ein Drittel aller Grundwasserkörper nicht mehr als Trinkwasser nutzbar. „Der Bericht macht deutlich, dass Europa seinen Kurs beibehalten und seine Klima- und Umweltziele sogar noch ehrgeiziger gestalten muss“, sagt Teresa Ribera, Vizepräsidentin der EU-Kommission.

Vertreter der Landwirtschaft sehen das größtenteils anders. Schon die Bauernproteste Anfang 2024 in Deutschland und anderen EU-Ländern richteten sich auch gegen Umweltauflagen, die die landwirtschaftliche Arbeit verkomplizieren. Unter diesem Druck drehte die EU-Kommission einige Vorschriften zurück, die neue Bundesregierung aus Union und SPD zeigt sich ebenfalls bauernfreundlich.

Bauernverband befürchtet neue Bürokratie

So hat Landwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU) die sogenannte Stoffstrombilanz gekippt, wonach größere Betriebe ihren Nährstofffluss dokumentieren mussten. Das sollte verhindern, dass Dünger-Überschüsse ins Grundwasser oder Flüsse und Seen sickern. Bei der Agrarministerkonferenz der Länder am vergangenen Freitag klagten Minister von Union und SPD über die neue EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur, diese sei nicht praktikabel und abzulehnen, sagte etwa Sven Schulze (CDU), Sachsen-Anhalts Agrarminister. Eine Forderung der Minister: Die EU müsse neue Pestizide zulassen, damit die Bauern ihre Ernten schützen könnten – etwa vor Schädlingen, die aufgrund des Klimawandels neu eingewandert seien.

Ebenfalls am Freitag forderte der Deutsche Bauernverband zusammen mit weiteren Organisationen die Bundesregierung auf, das auf den Weg gebrachte EU-Gesetz zur Bodenüberwachung zu stoppen. Dieses soll eine nachhaltige Bewirtschaftung bewirken, was für die Betriebe allerdings eine Folge hat, die sie ablehnen: neue Bürokratie.

Auf der anderen Seite leidet die Ernährungswirtschaft mit am meisten unter Naturzerstörung und Erderwärmung. Besonders betroffen ist nach dem Bericht der Umweltagentur Südeuropa, konkret Spanien, Süditalien, Zypern und Rumänien. So hätten Dürren oder Überschwemmungen zuletzt erhebliche Einbußen für Landwirte verursacht, was höhere Preise für Verbraucher zur Folge hatte, etwa beim Olivenöl. Das Weltwirtschaftsforum stuft generell den Zusammenbruch von Ökosystemen als zweitgrößte Gefahr für die Wirtschaft im kommenden Jahrzehnt ein.

Deshalb müsse sich Europa dringend und schnell an die neuen Bedingungen im Klimawandel anpassen, schreibt die Umweltagentur. Das betreffe speziell die Landwirtschaft, um auch künftig genug Lebensmittel produzieren zu können. Aber auch Gesellschaft und Wirtschaft im Allgemeinen: So lebten zwölf Prozent der europäischen Bevölkerung in Gebieten, die von Überschwemmungen bedroht sind. Gleichzeitig seien in vielen Ländern nicht einmal die Hälfte aller Gebäude versichert.

Extremwetter wie Dürren oder Starkregen führen so zu höheren Kosten, wird im Bericht ausgeführt. Am schlimmsten erwischte es zuletzt Slowenien, wo 2023 Überschwemmungen Schäden in Höhe von 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verursachten. Besonders betroffen seien bei den Naturkatastrophen häufig sozial schwache Gruppen wie Ältere, Kinder, einkommensschwache Gruppen und Menschen mit Behinderungen. „Die Kosten der Untätigkeit sind enorm, und der Klimawandel stellt eine direkte Bedrohung für unsere Wettbewerbsfähigkeit dar“, erklärt dazu EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra und betont: „Um unsere Wirtschaft zu schützen, müssen wir unseren Kurs beibehalten.“