Der stämmige Mann im Polizeigewahrsam hinter der Wiesnwache ist sichtlich unter Druck. Seine Augen wandern ruhelos hin und her, er weiß nicht, wohin mit den Händen. Mit deutlichen Worten werden ihm gerade die Leviten gelesen – auf Italienisch, von einer Beamtin der Polizia di Stato aus Bozen. Damit hat der Oktoberfestbesucher aus Italien erkennbar nicht gerechnet.

Sechs italienische Polizisten tun an diesem mittleren Wiesn-Wochenende Dienst auf dem Oktoberfest. Das heißt: Sie begleiten ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen auf Streife und bei Einsätzen, dolmetschen, schaffen so Vertrauen bei ihren Landsleuten. Und sie greifen, zumindest verbal, auch schon mal ein. Das zweite Wochenende gilt als „Italiener-Wochenende“. Bis zu 150 000 Menschen machen sich von jenseits des Brenner  jedes Jahr auf zur Festa della Birra.

Nein, Vergleichbares gebe es bei ihm zu Hause nicht, sagt Commissario Capo Michele Mazzei, 58, von der Polizia di Stato, die dem italienischen Innenministerium unterstellt ist. Für Besucher wie Ordnungshüter ist das Getümmel auf der Theresienwiese Neuland. Zumal an einem Tag wie dem Samstag, an dem unmittelbar nach Gespräch und Rundgang mit den italienischen Einsatzkräften das Festgelände wegen Überfüllung geschlossen werden muss. Ein Novum. 300 000 Menschen drängen sich an diesem Tag gegen 17 Uhr zwischen und in den Festzelten, viele von ihnen Italienerinnen und Italiener.

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:Halbzeitbilanz: 3,5 Millionen Gäste waren bisher auf der Wiesn

Weniger Gäste, mehr Straftaten und mehr Wasser – so lässt sich die erste Hälfte des Oktoberfests zusammenfassen. Weil am Samstagnachmittag trotzdem zu viele Leute auf die Theresienwiese drängten, musste die Polizei das Gelände vorübergehend sperren.

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„Anche voi?!“ Erstaunen, Freude, Begeisterung, jedes mal, wenn eine italienische Gruppe eine andere zu erkennen glaubt. Oft am plüschigen Grillhendlhut, für den die Oktoberfest-Tifosi augenscheinlich ein Faible haben. Die inneritalienische Freude an landsmannschaftlicher Nähe bezieht auch die Ordnungshüter mit ein.

Etwa, als einer von ihnen zusammen mit seinen deutschen Streifenpartnern schützend vor einem schwer vom Alkohol lädierten Mann steht, der auf dem Boden liegend von Sanitätern versorgt wird, als plötzlich ein Italiener dazu kommt. Nur, um seiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen. „Bravo! Bravo!“ ruft er dem Carabiniere aus Bruneck zu. Am vertraulichen Schulterklopfen hindert ihn nur die schiere Größe des Beamten.

Michele Mazzei im Rang eines deutschen Polizeioberrats führt zum dritten Mal die Abordnung der Polizia di Stato an, am kommenden Wochenende ist er mit neuer Mannschaft wieder da. Sein Vorgänger brachte es sogar auf 15 Wiesn-Einsätze. Von der Organisation der deutschen Kollegen auf der Wiesnwache ist er regelrecht begeistert. Neben italienischen Polizisten sind auch drei Einsatzkräfte der Berufsfeuerwehr Bozen auf dem Oktoberfest präsent. In der Integrierten Leitstelle helfen sie als Dolmetscher bei Notrufen.

Die Carabinieri, eine Polizeitruppe des italienischen Verteidigungsministeriums, sind ebenfalls mit drei Mann auf der Wiesn vertreten an diesem Wochenende. Mario Andreas Roscio, 55, führt sie an. Der Mann mit dem italienisch-tirolerischen Namen kommt aus Sterzing und ist „Brigadiere Capo Qualifica Speciale“, was in Deutschland in etwa ein Polizeihauptmeister wäre. Auch er sagt, seine Landsleute fühlten sich „geborgener“, wenn ein italienischer Polizist anwesend sei.

Brigadiere Capo Qualifica Speciale Mario Andreas Roscio (links) und Commissario Capo Michele Mazzei und ihre beiden Teams beobachten, dolmetschen und verhören am „Italiener-Wochenende“.Brigadiere Capo Qualifica Speciale Mario Andreas Roscio (links) und Commissario Capo Michele Mazzei und ihre beiden Teams beobachten, dolmetschen und verhören am „Italiener-Wochenende“. (Foto: Robert Haas)

Vor allem dann, wenn es um Vorgänge geht, die sie aus der Heimat nicht kennen. Dass man bei Verstößen auf die Wiesnwache mitgenommen wird und erst wieder gehen darf, wenn man eine Sicherheitsleistung geleistet hat. Das finden viele „molto straordinario“, sehr ungewöhnlich. Und schon gar, wenn die deutschen Polizisten das Mobiltelefon einbehalten…

In Italien gilt das Handy als eine Art Körperteil. Ein Mann irrt mit sperrangelweit offenem Hosentürchen hinter dem Hackerzelt herum. Er hat zweimal im Zelt randaliert, wurde rausgeworfen, tauchte wieder auf… Jetzt reicht es der Security. Die Ordner bitten die Polizisten um Hilfe. Während diese versuchen, mit dem Mann zu kommunizieren, palavert der, Mobiltelefon am Ohr, ungerührt weiter. Es ist der Carabiniere aus Bruneck, der schließlich herausfindet: Aha, ein Landsmann.

Der Oktoberfestbesuch soll für den Dauertelefonierer vom Gardasee für diesen Tag beendet sein. Doch gegen den Zustrom der Feierwilligen an diesem Nachmittag ist es für die Beamten gar nicht so einfach, den Störer bis zum Eingangsportal der Theresienwiese zu expedieren. Es gelingt schließlich, während der groß gewachsene Carabiniere seine Hand auf die Schulter des Mannes legt und beruhigend auf ihn einredet. Sanft, aber bestimmt wird der Norditaliener nach draußen geführt.

So wenig Bürokratie in Deutschland, wundert sich der Chef der Carabinieri. Und denkt dabei offenbar an den Papierkrieg, der in Italien jeden noch so kleinen Verwaltungsakt üblicherweise begleitet. So etwas gibt es in Deutschland natürlich auch. Das wird dann auf der Wache erledigt. Etwa am Freitagvormittag, nachdem eine Wiesngruppe der Polizei im Hofbräuzelt einen 29-jährigen Lombarden aus Bergamo eingesammelt hat. Der Mann hat seiner US-amerikanischen Banknachbarin mit dem Handy unter den Rock gefilmt.

„Upskirting“ heißt der Straftatbestand. Geldstrafe oder bis zu zwei Jahre Gefängnis warten auf den Täter. Das wird ihm auf der Wiesnwache von der italienischen Staatspolizistin klargemacht. Erst als er 2000 Euro Sicherheitsleistung bezahlt hat, darf der Bergamaske gehen. Sehr, sehr unangenehm sei es dem Mann gewesen, von einer Landsfrau vernommen zu werden, berichten die deutschen Polizisten. Die Freude italienischer Wiesnbesucher darüber, auf dem Oktoberfest heimische Ordnungshüter zu treffen, hat offenkundig auch Grenzen.