Kinder werden an diesem Abend nicht nur auf der Leinwand eine Hauptrolle spielen. Bei der Premiere der Neuverfilmung von „Momo“ nach dem Weltbestseller von Michael Ende kommen die treffenden Aussagen nicht nur aus den Kino-Lautsprechern und von den Darstellern auf dem roten Teppich. Am schönsten entfaltet sich die Botschaft dieser mehr als 50 Jahre alten Geschichte und der Premiere, wenn man den jungen Zuschauern zuhört und sie beobachtet.
Normalerweise herrscht rund um einen roten Teppich immer große Aufregung. Fotografen streiten um den besten Platz, die Angst geht um, wichtige Menschen nicht zu erkennen, wenn sie über den Teppich laufen, Reporterinnen und Reporter sehnen sich nach guten Antworten und langen Gesprächen mit den wichtigsten Darstellern. Auch am Sonntagabend im Mathäser-Kino ist das so. Der Teppich und die Fotowand mit dem Momo-Schriftzug und einem riesigen Bild der 13-jährigen Hauptdarstellerin Alexa Goodall samt ihrer feuerroten Locken liegen im grellen Licht von eigens aufgestellten Scheinwerfern.
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Zwei Jungs etwa im Alter von Goodall schauen sich das an und gähnen. Eine sehr ehrliche Reaktion, denn im Grunde muss man sagen: Viel passiert dann doch immer nicht. Schauspieler, Regisseure und Produzenten preisen ihr Werk, Fans posten ihre Selfie-mit-Darsteller-Bilder und dann schauen alle den Film. So ist das mit einer kleinen Ausnahme auch an diesem Abend. Christian Tramitz, der gerade in „Das Kanu des Manitu“ zu sehen ist, sagt so bedeutungsschwere Sätze wie: „Ich glaube, dass der Film super wird.“
Martin Freeman, als Bilbo Beutlin zu weltweiter Bekanntheit gekommen, ist gleich als Meister Hora zu sehen, dem Zeithüter. Er formuliert einen schönen Satz, der im Grunde ein Hauptthema der Geschichte ganz aktuell zusammenfasst: „Man muss sich nur vor Augen führen, wann das Buch geschrieben wurde, in den Siebzigern. Und da war Zeit schon ein Thema.“ Heute sei es aktueller denn je. Die Zeitdiebe, die Momo aufhalten muss, gibt es heute noch manifestierter. Es sind die Programmierer der sozialen Netzwerke, die versuchen, den Menschen süchtig zu machen nach immer mehr Posts, Reels und Content.
Martin Freeman im Interview. (Foto: Robert Haas)
Dann plaudert die junge Hauptdarstellerin noch etwas atemlos davon, dass sie ihren zweiten roten Teppich – die Weltpremiere war einen Tag vorher auf dem Filmfest in Zürich – auch genießt. Und dann kommt noch Michael „Bully“ Herbig auf den Teppich, was nur im ersten Moment überrascht. Eigentlich meidet Herbig Premieren und Galas, aber da er aktuell sein „Kanu des Manitu“ bewirbt, spricht er doch gerne ein wenig über den ebenfalls bei der Constantin Film produzierten „Momo“ und stellt ebenso wie Freeman fest, Zeit sei ein „sehr aktuelles Thema“. Die gähnenden Jungs sitzen da schon im Kino und dürfen gleich Momo in einem Amphitheater dabei zusehen, wie sie Gigi und Beppo kennenlernt.
Dann kommen die Zeitdiebe, die an Inhalatoren hängen und alle mit Fitnessbändern ausstatten, die eigentlich eher Handschellen sind. Momo hat die Gabe zuzuhören, wobei sie einer der Grauen auch deren Geheimnis entlockt. Daraufhin beginnt der Wettlauf, Momo versucht, die „Grey Company“ aufzuhalten, die wiederum will an die Zeitquelle und Meister Hora. Kommentiert wird das Ganze auch im Kinosaal und das klingt dann so: „Momo, ich habe keine Zeit“, sagt Gigis Mutter auf der Leinwand, die längst vom Handschellen-Armband geknechtet wird und glaubt, Zeit zu sparen. In Reihe F flüstert ein junger Zuschauer: „Doch, hat sie.“
Christian Ditter, Regisseur von „Momo“ (links), und Michael „Bully“ Herbig, Regisseur und Hauptdarsteller von „Das Kanu des Manitu“. (Foto: Robert Haas)
Nachdem Momo die geraubten Stundenblumenblüten befreit und die Welt gerettet hat, erfüllen ein mächtiger Applaus und Jubelrufe das Hauptkino, in dem die meisten der 1500 Premierengäste sitzen. Da wird Regisseur Christian Ditter auch seine etwas atemlose und dadurch unfreiwillig komische weil nicht zum Thema passende Bühnenpräsentation verziehen. Kurz vor dem Jubel für Momo-Darstellerin Goodall kommt Freeman auf die Bühne und Ditter erzählt, dass der Darsteller zunächst Zweifel hatte, den immer wieder alternden und verjüngenden Meister Hora zu spielen und sagte: „Ich bin noch nicht wirklich bereit für meinen Gandalf-Moment.“
Meister Hora ändert sein Alter in dieser Filmversion übrigens nicht. Und man altert ja ohnehin nur, wenn man übermäßig Zeit spart. Das ist höchstens in Ausnahmen erlaubt, etwa um die 84 Minuten und 41 Sekunden rauszuholen, um diesen Film sehen zu können, in dem Momo im letzten Satz und im letzten Wort die ganze Geschichte – das ganze Leben? – auf fünf Buchstaben verdichtet: „Wir haben nur … jetzt!“