Friedrich Merz kam in bester Laune ins Düsseldorfer Ständehaus. Erst hatte er mit den Spitzen der NRW-CDU den Erfolg seiner Partei bei der Kommunalwahl gefeiert und Wissenschaftsministerin Ina Brandes zum 48. Geburtstag gratuliert. Dann schlenderte er von der CDU-Zentrale durch den lauen Spätsommerabend zum Talk in das Ständehaus. Seine Lehre aus der Wahl: „Die CDU ist nicht nur auf dem Land stark, die CDU kann auch Großstadt.“ Mit Blick auf die Erfolge der AfD sagte er: „Das ist nicht nur ein Phänomen des Ostens, sondern ein Problem für das ganze Land.“ Zugleich betonte er: „Für die AfD wachsen die Bäume nicht in den Himmel.“ Mit großer Sympathie blickt er auf die SPD: „Ich hätte keine Freude daran, wenn es der SPD schlecht geht. Auch aus staatspolitischen Gründen ist es wichtig, dass es der SPD gut geht.“
Im Gespräch mit Moritz Döbler, Chefredakteur der Rheinischen Post, bot Merz den Gästen tiefe Einblicke in Kanzler-Alltag und Geopolitik.
Über den Krieg mit der Ukraine
Das Publikum hielt den Atem an, als Döbler ihn nach der Kriegsgefahr fragte: „Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden. Wir müssen viel mehr für unsere eigene Sicherheit tun.“ Der Kanzler betonte: „Wir sehen die Luftraum-Verletzungen seit Wochen, es wird immer schlimmer.“ Die Drohnen-Überflüge, die in Dänemark und Schleswig-Holstein stattgefunden hätten, seien wohl unbewaffnet. „Die Vermutung liegt nahe, dass die Drohnen von Russland kommen.“ Darauf bereite man sich vor. Merz warnte aber auch: „Einfach mal acht Meter breite Drohne vom Himmel zu holen, ist in einem dicht besiedelten Land nicht einfach.“ Immerhin: 30 Jahre habe man über den Nationalen Sicherheitsrat diskutiert, nun habe man diesen in wenigen Monaten installiert.
Die Ukraine wird Geduld brauchen, erwartet Merz. „Kriege enden mit einer militärischen Niederlage oder einer wirtschaftlichen Erschöpfung – von beiden sind wir weit entfernt, auf beiden Seiten.“ Er sagte: „Die Nervosität nimmt in Russland zu, daher auch die Aggressivität.“ Und Merz betonte: „Es ist ein Krieg gegen unsere Freiheit und den europäischen Zusammenhalt.“ Wenn man das mit den eingefrorenen russischen Vermögen hinbekomme, könne man die Ukraine weitere Jahre gut unterstützen.
„Ich trinke praktisch keinen Alkohol mehr“
Seit 147 Tagen ist Merz im Amt. „Ich bin immer erreichbar, aber ich versuche am Wochenende auch, auszuschlafen und Zeit mit der Familie zu haben.“ Und: „Ich trinke praktisch keinen Alkohol mehr.“ Der 69-Jährige scherzte: „Das sind die Begleiterscheinungen des Amtes – ganz viel Alkohol oder gar keinen.“ Das gab großes Gelächter im Saal. Das Bild von ihm sei früher oft verzerrt worden: „Man muss in einer Demokratie leidenschaftlich ringen und reden dürfen.“
Die Union hat zur Wahl eine Wirtschaftswende versprochen, doch in der Wirtschaft wächst die Ungeduld. Merz verwies auf die angeschobenen Reformen. Man habe die Migrationszahlen binnen eines Jahres um 60 Prozent herunter gesenkt, seit Juli können die Unternehmen mehr abschreiben, die Körperschaftssteuer werde ab 2028 gesenkt. „Das ist alles nicht genug, das weiß ich“, sagte Merz. „Wir wollen eine Kraftwerksstrategie verabschieden und wir wollen einen Industriestrompreis in Kraft setzen.“ Das gab Applaus im Publikum, in dem viele Unternehmer saßen.
Hart ringt die Union mit der SPD über die Bürgergeld-Reform. Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hatte gar von Bullshit gesprochen. Darauf hatte Merz entspannt reagiert. „Da hätte ich vor zehn Jahren anders reagiert“, räumte er ein. „Wir haben viele im System, die seit Jahren nicht rauskommen und im Teufelskreis sind.“ Der Plan: „Es muss mehr Anreize geben, dass es sich lohnt zu arbeiten.“ Der Kanzler zeigte sich sicher, dass die Koalition eine Lösung finden werde: „Wir kommen von der wirtschaftlichen Seite, die SPD von der sozialen. Ich bin überzeugt, dass wir das zusammenbringen.“ Er verwies auf Missstände: Im Ruhrgebiet sei es manchmal mehr wie im Libanon als in Deutschland – es gebe Clankriminalität aus Rumänien und dem Libanon sowie Sozialbetrug. „Das ist ein komplexes Thema, das packen wir an.“ Teil 1 der Bürgergeld-Reform werde es noch in diesem Jahr geben.
Zum Thema Migration fand der Kanzler klare Worte: „Wer nicht arbeiten will, denen müssen wir eine Perspektive geben, das Land zu verlassen“, sagte Merz und kündigte zugleich eine radikale Reform der Arbeitsgenehmigungen an. Hier solle ein One-Stop-Shop kommen – eine Stelle für alles. „Die Ausländer-Ämter sind völlig überlastet.“ Nun diskutiere man mit den Ländern, wie man die Anerkennung anders organisieren könne. „Das wollen wir digitalisieren.“ Das soll bundesweit einheitlich geregelt werden.
Merz wäre für Jüngeren beiseitegetreten
Spannend war ein Blick zurück: Ohne vorgezogene Bundestagswahl hätte sich Merz auch vorstellen können, für einen jüngeren Unionskandidaten beiseitezutreten: „Ich hatte im Sommer letzten Jahres schon ernsthaft darüber nachgedacht, ob ich das Ende 2025 machen soll.“ Er ergänzte: „Wenn es in der CDU oder CSU jemanden gegeben hätte, der 20 Jahre jünger wäre als ich und der völlig unumstritten in beiden Parteien auch ein Kandidat hätte sein können, dann hätte ich gesagt, dann macht es der, der jünger ist.“ Im letzten Jahr habe man allerdings nicht gewusst, dass es vorgezogene Bundestagswahlen geben würde. Als dann die Wahl gekommen sei, „dann musste das auch zügig gehen“, erklärte Merz. Er habe sich daraufhin der Verantwortung gestellt. Er habe aber nicht das Ziel gehabt, dass auf seinem Grabstein „Bundeskanzler a.D.“ stehe. „Ich sehe das eh nicht“, so Merz.
Zum Tag der Einheit wird Merz in Saarbrücken und Halle sprechen. Er werde nicht viel zurückblicken, kündigte er an. Es soll eine Art Ruckrede werden, wie sie einst Roman Herzog hielt. „Im Osten ist die Infrastruktur manchmal besser als im Westen, daran kann es nicht liegen“, sagte Merz. Dennoch gebe es dort oft ein Gefühl des Abgehängt-Seins. Dass das Intel-Werk in Magdeburg nicht gebaut werde, sei ein Desaster.
Was kann der Bund von NRW lernen? „Es gibt hier ein geräuschloses Arbeiten der Koalition“, sagte Merz mit Blick auf Schwarz-Grün. Allerdings sei der Bund auch eine andere Dimension als die Landespolitik. Merz beteuert: „Wir haben eine ausgesprochen konstruktive und gute Arbeit“, sagte er über die eigene Koalition. Im Vorfeld und im Koalitionsausschuss gebe es schon mal Differenzen. „Aber über den Stil bin ich angenehm überrascht.“
Friedrich Merz war zum fünften Mal beim Ständehaus-Treff – in den verschiedenen Funktionen. Zu dem Talk mit dem Kanzler waren besonders viele Politiker, Unternehmens- und Verbandschef gekommen darunter: Landtags-Präsident André Kuper, Wissenschaftsministerin Ina Brandes, Henkel-Chef Carsten Knobel, Flughafen-Chef Pradeep Pinakatt, Evonik-Vorständin Claudine Mollenkopf, Andreas Gassen (Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung), Amprion-Chef Christoph Müller, Dennis Grimm (Chef von Thyssenkrupp Steel), Markus Bangen (Chef des Duisburger Hafens), Düsseldorfs Oberbürgermeister Stephan Keller, Thomas Jarzombek (Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesdigitalministerium). In zwei Jahren, versprach Merz, werde er wieder kommen.