Stand: 01.10.2025 06:00 Uhr
Ein Mädchen, das den eigenen Vater des sexuellen Missbrauchs beschuldigt? Das war in den 1960er-Jahren ein absoluter Tabu-Bruch in Deutschland. Darum geht es in dem Drama „Karla“, das absolut unter die Haut geht.
Auf der Münchner Polizeistation kommt es 1962 nicht alle Tage vor, dass ein Mädchen den eigenen Vater beschuldigt – und dann auch noch vehement verlangt, einen Richter zu sprechen. Der Wunsch wird ihr erfüllt, Richter Lamy, gespielt von Rainer Bock, nimmt sich Karlas Sache an.
Der Schauspieler Rainer Bock hat beim Festival des deutschen Films 2025 in Ludwigshafen den Preis für Schauspielkunst erhalten.
Mutiger Hilferuf stößt auf rechtliche Hürden
Karla ist ein außergewöhnlich intelligentes Mädchen, belesen und willensstark. Den Eltern ist sie bei einer Auto-Rast quer über die Felder davongelaufen, entschlossen, sich Hilfe zu holen. Aber nun, da sie dem Richter gegenübersitzt, scheint das gar nicht so einfach zu sein.
„Damit ein Beschuldigter bestraft werden kann, müssen Tat und Tathergang vollumfänglich und zutreffend geschildert werden.“
„Das kann ich und will ich aber nicht.“Filmszene
Rein juristisch ist der Fall damit für den Richter erledigt. Er bringt Karla bei Nonnen im Mädchenheim unter – mehr könne er nicht für sie tun. Seine Sekretärin sieht das anders:
„Die Kleine braucht ihre Hilfe.“
„Ach, Sie wissen doch, wie das läuft! Solche Fälle, die fallen doch schon vor dem Prozess in sich zusammen.“
„Solche Fälle? Wann gab es je ein Kind, das alleine gekommen ist?“
„Aussage gegen Aussage! Mehr wird das nicht!“Filmszene
Die Suche nach einer Sprache für das Unsagbare
Es gibt ein reales Vorbild für „Karla“ – aus dem familiären Umfeld der Drehbuchautorin Yvonne Görlach. Im Film der deutsch-griechischen Regisseurin Christina Tournatzés aber geht es um mehr als ein Einzelschicksal: „Der unglaubliche Mut und die innere Stärke, die in Karla stecken, können vielen Menschen Hoffnung geben“, glaubt sie. Eine „Kämpferin und ein Vorbild“ sei das Mädchen. Und sie trifft glücklicherweise auch auf einen empathischen und kampfbereiten Juristen.
„Karla, vor Gericht wird geprüft, ob jemand gegen ein Gesetz verstoßen hat. Aber dazu brauchen wir die Wahrheit. Und wie finden wir die?“
„Ich muss sie erzählen.“
„Richtig.“
„Können Sie mir helfen, damit ich mich dabei nicht so schlecht fühle?“
Der Richter muss eine Sprache für das Unsagbare finden, um dem Mädchen helfen zu können – und zeigt sich dabei einfallsreich:
„Weißt Du, was das ist?“
„Eine Stimmgabel.“
„Das wird ab jetzt unser Geheimzeichen. Wann immer Du etwas nicht aussprechen kannst, was Dein Vater Dir…, dann bedeutet das (Stimmgabel-Anschlag) unzüchtige Handlung. Ich verstehe dann, was Du nicht sagen kannst.“
Ein Kammerspiel voller Intensität
„Karla“ ist weitgehend ein Kammerspiel, das von der Präsenz und der Glaubwürdigkeit des Hauptdarsteller-Paars lebt. Rainer Bock füllt die Rolle wunderbar mit der ihm eigenen Mischung aus Kantigkeit und Sensibilität. Die junge Elise Krieps, Tochter der herausragenden Schauspielerin Vicky Krieps, erweist sich als Naturtalent. Unbefangen kindlich und wissend ernst zugleich ist ihre „Karla“ – zutiefst berührend in ihrem Kampf um Würde.
Die behutsame Kommunikation zwischen Richter und Mädchen und die zurückhaltende Art, in der sich die Regisseurin dem schwierigen Thema nähert, machen diesen Film zu einem Ereignis. Vom sexuellen Missbrauch selbst sieht man gar nichts in „Karla“ – nur kurze Erinnerungsfetzen, die etwas andeuten, Geräusche, die sie damit verbindet. Was man sehr deutlich sieht, ist ein Kind, das die Kraft und den Mut aufbringt, sich gegen den Täter zur Wehr zu setzen und schließlich auch den Gerichtsprozess mit allen Schikanen zu überstehen. Das geht absolut unter die Haut.
Karla
- Genre:
- Drama
- Produktionsjahr:
- 2025
- Produktionsland:
- Deutschland
- Zusatzinfo:
- mit Elise Krieps, Rainer Bock, Imogen Kogge und anderen
- Regie:
- Christina Tournatzés
- Länge:
- 104 Minuten
- Altersempfehlung:
- ab 12 Jahren
- Kinostart:
- 2. Oktober 2025