Das Haus seiner Eltern hat er abgebrannt. Die Mauern stehen noch, aber es könnte einstürzen. Die Polizei hat das Haus deswegen bisher nicht betreten. Es qualmt, es riecht verbrannt, je näher man kommt, desto beißender wird der Geruch.
Der Schornstein ragt verloren in die Höhe. Das Dach ist völlig zerstört, das Gerippe des Dachstuhls verkohlt. Von der hellen Außenfarbe ist von vorne nicht mehr viel zu sehen, aus den Fenstern müssen die Flammen geschlagen haben, große Rußflecken bedecken die Fassade.
Mitten in einem Wohngebiet im Münchner Norden, in einer Straße mit Ein- und Mehrfamilienhäusern, mit Vorgärten und dem idyllischen Namen Glockenblumenstraße, steht ein Haus, das am Mittwochmorgen zum Tatort wurde. Der Grund: ein Familienstreit, so schätzt die Polizei derzeit das Tatmotiv ein. Die Bilanz, nach derzeitigem Stand: zwei Tote, zwei Verletzte.
Ein 57-Jähriger, ein Deutscher, der in Starnberg wohnte, soll am Mittwochmorgen nicht nur sein Elternhaus in Brand gesteckt, sondern auch Sprengfallen gelegt und auf seine Mutter geschossen haben. Er soll Autos abgebrannt und sich, als die Polizei unter anderem mit einem Hubschrauber nach ihm fahndete, am Lerchenauer See selbst getötet haben. In dem Haus, das vollständig ausgebrannt ist, haben nicht nur seine Eltern, sondern auch seine 21 Jahre alte Tochter gelebt.
Es soll Streit um die Vaterschaft gegeben haben, sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei einer Pressekonferenz am frühen Mittwochabend. Der 57-Jährige soll bezweifelt haben, dass die 21-Jährige seine Tochter ist und ein Gutachten über die Vaterschaft verlangt haben. Als das vorlag und eine Vaterschaft feststellte, soll er das nicht akzeptiert haben. Der Mann habe Petitionen beim Bayerischen Landtag und dem Justizministerium eingereicht, ohne Erfolg. Es sei „unbegreiflich, wie sich jemand vor diesem Hintergrund zu solchen Taten entschließen kann“, so Herrmann.
Für den Vater des Verdächtigen kam jede Hilfe zu spät
Sicher ist: In dem idyllischen Wohngebiet in der Lerchenau spielte sich am Mittwoch in den frühen Morgenstunden ein Drama ab. Was genau wann passierte, wird ermittelt, die Mordkommission wird in den kommenden Tagen das Haus untersuchen. Bisher konnte sie es nicht betreten, die Spurensicherung arbeitete nur außerhalb des Hauses.
Derzeit geht die Polizei davon aus, dass sich die 81-jährige Mutter mit einer Schusswunde im Vorgarten des Hauses vor ihrem Sohn versteckte. Feuerwehr und Polizei waren am Mittwochmorgen wegen lauter Knallgeräusche alarmiert worden. Ob das Explosionen oder Schüsse waren, war am Mittwoch noch unklar.
Der Mann setzte offenbar das Haus in Brand. Als die Polizei morgens um kurz vor fünf Uhr am Tatort ankam, war die 21-jährige Tochter kurz davor, vom Balkon des ersten Stocks zu springen, um sich vor den Flammen zu retten. Polizisten holten sie mithilfe einer Leiter aus dem brennenden Haus. Für den Vater des mutmaßlichen Täters kam wohl jede Hilfe zu spät: Im ersten Stock des Hauses liegt nach Angaben der Polizei eine Leiche, das stellten Beamte mithilfe von Drohnenaufnahmen fest.
Derzeit gehen die Ermittler davon aus, dass es sich dabei um den 90-jährigen Vater des Tatverdächtigen handelt. Bergen und identifizieren konnten sie ihn bisher nicht. Er galt zunächst als vermisst, die Polizei hatte diese Information immer mit dem Hinweis versehen, von der vermissten Person gehe keine Gefahr aus.
Schon die ersten Einsatzkräfte vor Ort bemerkten am Haus gespannte Drahtseile – ein Hinweis auf Sprengfallen. Vorsichtshalber gingen sie deshalb gar nicht erst ins Haus hinein, das Gebiet wurde in einem Umkreis von 200 Metern evakuiert. Um sieben Uhr morgens habe es an seiner Wohnungstür geklingelt, erzählt ein Anwohner aus dem Haus schräg gegenüber. Ein bewaffneter Mann in Uniform sei vor seiner Tür gestanden und habe ihn aufgefordert, seine Wohnung sofort zu verlassen, er habe eine Minute Zeit.
Etwa zwölf Stunden später will der Anwohner zurück in seine Wohnung, steht mit seinem Fahrrad vor dem Absperrband der Polizei. Die prüfen, ob er wirklich dort wohnt. Wenn ja, darf er nach Hause. Die Familie, die in dem zerstörten Haus lebte, kenne er nicht, sagt der Anwohner. Eine Explosion am Morgen habe er auch nicht gehört.
Nach und nach kehren die Menschen am Mittwochabend in ihre Wohnungen um den Tatort herum zurück. Eine Frau, in jeder Hand eine Tragetasche, läuft die Straße entlang, eine Radlerin will zum Rewe hinter der Polizeiabsperrung, zwei Handwerker wollen nach Hause.
Die Feuerwehr beendet ihren Einsatz, die Absperrbänder werden eingeholt. Nur die Polizei bleibt am Mittwochabend vor Ort. Polizisten bewachen über Nacht das Haus in der Lerchenau, das zum Tatort wurde.