Stand: 02.10.2025 06:00 Uhr
Leif Randt ist ein Spezialist für unaufdringliche und elegant-utopische Pop-Literatur. Mit feinem Gespür für Atmosphäre reflektiert er in „Let’s Talk About Feelings“ die fragile Leichtigkeit der Gegenwart.
Marian verkauft Designer-Kleidung in seiner Schöneberger Boutique in Berlins Westen. Der 41-Jährige lebt solo, zwischen Hedonismus und gepflegter Langweile, die hier nie so genannt wird, an der Schwelle zur zweiten Lebenshälfte. Ein Ereignis erschüttert ihn: der Tod seiner Mutter. Carolina Flanders war ein ikonisches Fotomodel der 70er- und 80er-Jahre, wie es heißt. Ihre illegale Bestattung auf dem Wannsee wird zu einem artifiziellen Fest des Lebens auf dem Partyboot seines Vaters. Der ist der Ex-Tagesthemen-Moderator Milo Coen.
Oberflächlichkeit als verbindende Kraft
Das Land, in dem Leif Randt seinen Roman ansiedelt, scheint wie leicht aus dem Lot der Wirklichkeit verschoben. Regiert von einer Kanzlerin Brinkmann, einem Vizekanzler Habeck, wirkt es wie ein unscharfes Foto. Die realen Erschütterungen unserer Zeit werden mit keinem Wort erwähnt, Russlands Krieg gegen die Ukraine, Trumps Präsidentschaft, Klimawandel. Als existierten sie nicht.
Im Apolitischen, fand Marian, lag eine besondere, bindende Kraft, die ein friedfertiges Miteinander überhaupt erst möglich machte. Nur wer in der Lage war, nicht in politischen Kategorien zu denken, konnte sich offen unterhalten und andere wirklich kennenlernen.
Seitenweise gleitet „Let’s Talk About Feelings“ über die Oberfläche fiktiver Designerlabels, ein geöffneter Hemdknopf scheint wichtiger als ein echtes Gefühl. Der Roman spricht so gut wie gar nicht von Gefühlen, sondern über Geschmack; er wirkt wie ein leeres, glänzendes Gefäß.
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Künstlichkeit, die neugierig macht
Marians Shop schreibt rote Zahlen, aber richtig besorgt ihn das nicht. Irgendwann betritt eine junge Frau den Laden, die ihn sofort fasziniert: Kuba. Die langsame Annäherung zwischen der Filmregisseurin und dem Modeverkäufer ist ein dünner Handlungsfaden in diesem an Handlung armen Roman.
Dennoch: Die Oberfläche hat ihren Reiz. Die Künstlichkeit wird nie langweilig, sondern offenbart etwas – aus der Distanz. Der Reiz dieses elegant geschriebenen Romans kommt aus seiner Differenz zu unserer Gegenwart. Einmal wird Marian grundlos von einem Heulkrampf überfallen, als ertrüge er die Maskerade nicht mehr:
Auf den letzten Metern vor dem Cinema Luluchi, das er schon nach knapp vier Minuten erreichte, brach er unvermittelt in Tränen aus. Marian ging einige Schritte zurück, kaufte in einem Spätkauf ein Päckchen Taschentücher, reinigte sein Gesicht und atmete mehrere Mal tief durch.
„Let’s Talk About Feelings“: Ein Roman am Abgrund
Der Roman wirkt gepolstert, flauschig wie ein nagelneuer Hoodie aus Marians Sortiment. Das Buch verströmt dieses kaum wahrnehmbare Parfüm einer Dekadenz, die keine Schuld, keine Wunden, kein Gestern und kein Morgen kennt. Eingeschlossen in einer Zeitkapsel des Jetzt.
Marian wird mit seinem besten Freund ins japanische Sapporo reisen, wird seine neue Freundin nach Neu-Delhi begleiten, er nimmt Speed bei einem Partyevent von VW in Wolfsburg. Das sind in etwa die großen Ereignisse. Einmal übergibt sich sein Date in einen Eimer, schmutziger wird es nicht.
Leif Randt ist ein Poet der Oberfläche, seine Figuren wirken keimfrei wie hinter einer Folie. Das macht sie auf seltsame Weise anziehend und erotisch. So ist sein Roman ein Zerrspiegel unserer gegenwärtigen Dunkelheit. Seine Helligkeit und scheinbar ahnungslose Unbeschwertheit erlauben einen anderen Blick auf das, was wir sind: melancholisch, unnahbar, betäubt. So gesehen ist es auch ein Roman am Abgrund.
Let’s Talk About Feelings
von Leif Randt
- Seitenzahl:
- 320 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Rowohlt
- ISBN:
- 978-3-462-00796-1
- Preis:
- 24 €
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