
AUDIO: Wirtschaft: Wie groß ist die Kluft zwischen Ost und West? (6 Min)
Stand: 02.10.2025 08:41 Uhr
Eine höhere Arbeitslosenquote und mehr AfD-Wähler – das sind nur zwei Themen, bei denen Ost und West sich 35 Jahre nach der Wiedervereinigung unterscheiden. Das NDR Datenteam zeigt, woran man noch heute die frühere innerdeutsche Grenze erkennt.
An einem Unterschied zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland kann auch sieben Monate nach der Bundestagswahl niemand vorbeischauen: an den Wählerstimmen für die AfD. Die nahmen zwar auch in den westlichen Bundesländern stark zu, aber die Zahlen aus Ostdeutschland liegen noch mal etwa 20 Prozentpunkte höher.
Was gibt es noch, neben dem „blauen“ Osten?
Wenn man jetzt auf einer Karte jeden Wahlkreis passend zur Gewinner-Partei einfärbt, dann tritt – bis auf sehr wenige Großstadtbezirke – exakt das Gebiet der ehemaligen DDR in AfD-Blau hervor.
Doch dieses Bild unterschlägt, dass der Osten gar nicht so homogen AfD-blau ist, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Deshalb zeigen wir hier zusätzlich, wie die anderen Parteien in Ostdeutschland abgeschnitten haben, für die ja insgesamt in jedem Wahlkreis mehr als die Hälfte der Wählenden gestimmt hat, oft sogar zwei Drittel.
Raj Kollmorgen, Professor für Sozialwissenschaften an der Hochschule Zittau/Görlitz, geht davon aus, dass die AfD im Osten mit 35 oder 40 Prozent ihr Wählerpotential vermutlich weitgehend ausgeschöpft hat, also nicht noch weiter wird zulegen können. Und Daniel Kubiak, Sozialwissenschaftler von der Humboldt-Universität Berlin, zitiert Umfragen wie den Anfang dieses Jahres veröffentlichten Deutschland-Monitor 2024. Danach ist bei Menschen aus Ost und West die Zustimmung zur Idee der Demokratie immer noch sehr hoch.
Auch wenn rund um die Wahlen schon häufiger über die Situation Ostdeutschlands geredet wurde – wir veranschaulichen einige dieser Themen hier mit Grafiken – und versuchen, nicht nur den Unterschied zwischen Ost und West zu zeigen, sondern auch die Annäherung, die bereits stattgefunden hat – zum Beispiel bei der Arbeitslosenquote:
Und obwohl Menschen ohne Arbeit dastehen, fehlen an anderer Stelle Betrieben im Osten die Fachkräfte. Denn viele Menschen sind nach der Wende weggezogen, und es sind deutlich weniger Migranten in die östlichen Bundesländer gezogen als in den Westen. Die Bevölkerung ist also geschrumpft, bei steigendem Durchschnittsalter.
Wenn Menschen in den ersten 20 Jahren nach der Wende innerhalb von Deutschland umzogen, dann fast nie von West nach Ost. Doch mittlerweile hat sich das ein Stück weit geändert. Zwischen 2017 und 2024 siedelten sogar erstmals mehr Menschen von West nach Ost um als umgekehrt. Auch wenn das noch keine große Trendwende einläutet, so zeigt es doch immerhin, dass sich Menschen offenbar wieder bewusst für den Osten entscheiden. Aber obwohl Ostdeutsche im Schnitt mehr Stunden pro Woche arbeiten als Westdeutsche, entsteht nicht der Eindruck von einem generellen wirtschaftlichen Aufschwung:
„Nach der zügigen ökonomischen Entwicklung Anfang der 90er Jahre erscheinen die derzeitigen kleinen Trippelschritte langsam“, sagt Transformations-Forscher Raj Kollmorgen. „Aber strukturelle Umwälzungen benötigen 30, 50 oder sogar 100 Jahre.“ Er geht deshalb nicht davon aus, dass der Osten in den nächsten zehn Jahren vollständig das West-Niveau erreichen wird.
Unterschiede wird es immer geben
Aber: „Muss der Osten denn überhaupt in allen Bereichen bei 100 Prozent ankommen?“, stellt Daniel Kubiak von der HU Berlin infrage. „Nein“, meint auch Raj Kollmorgen. Zwischen Nord- und Süddeutschland gebe es schließlich ebenfalls teilweise erhebliche Unterschiede. Und der Osten habe ganz andere strukturelle Voraussetzungen als der Westen: Er sei deutlich ländlicher geprägt und auch von der Altersstruktur her und dem Anteil an Migranten ganz anders als der Westen. „Wenn man sich diese strukturellen Indikatoren anschaut, wird klar, dass man ganz sicher nicht nur das Erbe der DDR für die aktuellen Probleme im Osten verantwortlich machen kann“, so Kollmorgen.
Soziologe wirbt für Ansiedlung von Forschungseinrichtungen
Und wenn die Einwanderung weiterhin von vielen Menschen in Ostdeutschland so kritisch gesehen werde, „dann wird man mit dem Mangel an Fachkräften in der Industrie und in der Pflege leben müssen“. Wichtig für eine positive wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland ist es aus Kollmorgens Sicht, mehr Forschungseinrichtungen dort anzusiedeln und mehr in Innovation zu investieren. Außerdem verspricht er sich positive Effekte für beide Seiten, wenn mehr Ostdeutsche in Spitzenpositionen großer Firmen kämen, die ihren Sitz bisher fast alle im Westen haben.

Geringere Löhne, die Rentenfrage oder ungleiche Vermögen seien im Osten nach wie vor große Themen, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin auf NDR Info.

Wir sollten uns auf die Kraft der Pluralität in Deutschland besinnen und nicht immer alles schlechter reden, als es ist, sagte Ilko-Sascha Kowalczuk auf NDR Info.

Der Soziologe Steffen Mau plädiert dafür, dass Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland respektiert werden.

Rund 300 Gäste haben am Mittwochvormittag an einem Festakt und einem Empfang im Schweriner Theaterzelt teilgenommen.

Am 3. Oktober 1990 tritt die DDR der Bundesrepublik bei, die Wiedervereinigung ist vollendet. Um das Datum gab es viel Streit.