Man merkt, dass Roland Kaehlbrandt das Großherzogtum kennt und erlebt, wie hier über die Sprachensituation geforscht wird. Denn gleich auf Seite 9 seines neuen Buches zitiert er eine Studie von Fernand Fehlen („Une enquête sur la marche linguistique multilingue en profonde mutation. Luxemburgs Sprachmarkt im Wandel von 2009“), in der zu lesen war, dass Deutsch „als die altmodischste, grobschlächtigste und hässlichste der vier Sprachen angesehen“ wird.

Für den vielsprachigen Sprachwissenschaftler Kaehlbrandt basieren solche Einschätzungen auf falschen Klischees. Freilich haben die Deutschen diese auch befeuert, nicht zuletzt durch Parolen und Befehle, die sie als Besatzer im Zweiten Weltkrieg verbreitet hatten. Heutzutage höre man aus Deutschland dagegen Liedzeilen wie diese von Herbert Grönemeyer: „Du hast jeden Raum – Mit Sonne geflutet“. Dazu schreibt Kaehlbrandt: „Kann man berührender das Strahlen beschreiben, das uns erfasst und umfängt, wenn ein geliebter Mensch den Raum betritt? Es ist das Sprachbild ‚mit Sonne geflutet‘, eine ungewöhnliche Metapher, eine Synästhesie, die uns anrührt: die Übertragung eines Bildes vom Wasser auf das Licht. Ein großer sprachlicher Einfall, traurig und schön zugleich.“

Du hast jeden Raum mit Sonne geflutet.

Der zeitgenössische deutsche Schriftsteller Selim Özdoğan schildert in einem Kriminalroman, wie seine Helden die Härte existentieller Entscheidungen spüren: „Die Wahrheit kommt selten serviert auf einem Goldtablett.“, „Wer will, der findet Wege. Wer nicht will, der findet Gründe.“ oder: „Mir war klar, dass der Weg lang gewesen war, ich es aber trotzdem nicht weit gebracht hatte.“

Nach Kaehlbrandt macht die deutsche Sprache Abstriche bei der Schönheit, ermöglicht aber mit den Kombinationsfreiheiten die einfache Schöpfung neuer Wörter. „Wenn romanische Sprachen angenehmer im Klang wahrgenommen werden, so sind sie andererseits gedrängt, komplexe Begriffe aufzuspalten: aus Liebeslabyrinth wird im Französischen ‚le labyrinthe de l’amour‘.“

Indes müsse die Freiheit der Wortbildung nicht durch einen Mangel an klanglicher Schönheit erkauft werden. Denn die ‚schöpferische Schönheit‘ kann überwiegen und, so Kaehlbrandt, zur klanglichen Schönheit werden. Man denke an Wortschöpfungen wie Traumglück, Nebelglanz, Wolkendunst oder Waldesnacht. „Schönheit für den Verstand und schöner Klang verschmelzen hier zu einer Einheit“. Schade indes, dass manche Wörter inzwischen gar nicht mehr verwendet werden, darunter „Abendglanz“. Wir finden den Begriff in der „Italienischen Reise“ von Goethe, an einer Stelle, an der sich ein Schiff einem Felsen näherte, „während über das Wasser hin noch ein leichter Abendglanz verbreitet lag“.

Leinenrhythmen, Lichterkettenlöschen, Perlmuttergebärden

Goethe war ein Meister der Wortbildungen. Auch in den Gedichten der luxemburgischen Poetin Chris Lauer („Gut verräumte Sternschnuppen“) finden wir neue Schöpfungen: Leinenrhythmen, Lichterkettenlöschen, Perlmuttergebärden, Basilienprallheit. Lauer bringt damit ganz neue Begriffe in die deutsche Sprache ein; zugleich fördern sie die besondere Anmutung ihrer Dichtung. Lauer ist ein großes Talent, das in Deutschland leider noch nicht entsprechend wahrgenommen wurde.

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Zurück zu Goethe: Er erfand auch Adjektive, etwa: freundfeierlich, wonneschaurig und wellenschimmernd. „Alle drei erzählen für sich allein je eine besondere Geschichte“, schreibt Kaehlbrandt, „von Freundschaft und Gelübden, vom Reiz des Schaurigen und vom Schimmern des Lichts auf dem Wasser“.

Stefan Zweig führte neue Verben in die deutsche Sprache ein, und zwar gleich über 1.000 Stück (!), darunter: entgegenblauen, aufrauschen, emporzacken, aufsteigern, wegflüchten. Die Direktorin des Freien Deutschen Hochstifts Anne Bohnenkamp-Renken sagt: „Sprache kann Bilder in unserem Kopf erzeugen, die nicht direkt aus der empirischen Wahrnehmung stammen. Das ist der Grund, warum Literatur so wichtig ist.“

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Variabel ist im Deutschen auch der Satzbau. Man denke an Joseph Roth, der im „Radetzkymarsch“ eine nächtliche Szene zeichnet: „Silbern im Mondlicht schimmerte die Straße.“ Genial! In der Alltagssprache würde man sagen: „Die Straße schimmerte im Mondlicht silbern.“ Es sind die beiden Voranstellungen – regulär wäre nur eine einzige –, die der Szene die Farbe geben, sie ausmalen, gestützt durch das schöne Verb „schimmern“. Für Kaehlbrandt ist das „eine nur durch Sprache gestaltete Stimmung“.

Von Mundarten bis zum Vulgären

Auch Reim und Metrik können, klug eingesetzt, die Intensität der Sprachverarbeitung steigern und die Wirkung des Schönen begünstigen. Kaehlbrandt schreibt über und zitiert aus modernen Poetry-Slams, über die er nicht die Nase rümpft, sondern schätzt. Er lobt Julia Engelmann, die von Literaturkritikern gerne links liegen gelassen wird. Engelmann schreibt in einem Gedicht an ihre Eltern: „Ihr seid mein Ursprung, mein Vertrauen / meine Insel und mein Schatz, mein Mund formt euer Lachen, / mein Herz schlägt euren Takt.“

Roland Kaehlbrandt: „Von der Schönheit der deutschen Sprache, eine Wiederentdeckung“, München 2025, 320 Seiten. 

Kaehlbrandt bereitet all das und noch einiges mehr – das deutsche Lied, die Fasslichkeit der Wissenschaftssprache, bewegende Reden, die Mundarten, das Vulgäre – wunderbar auf; er ist ein Sprachkenner und zugleich Sprachvirtuose. Seine empfehlenswerten Bücher (zuvor: „Deutsch – eine Liebeserklärung“) sind in einem Stil geschrieben, der sie nicht nur lesbar, sondern schön macht. Im Jahr 2023 war Kaehlbrandt bei der „Nacht der Sprachen“ in der Abtei Neumünster, das volle Haus bejubelte ihn; das neue Buch bietet dem Institut Pierre Werner die Gelegenheit einer Wiederentdeckung. Das wäre: schön!

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