Ratlose, irritierte, sogar verängstigte Menschen: Der Warnhinweis, mit dem am Mittwochvormittag über die Medienkanäle des amtlichen Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes auf die Sperrung des Oktoberfestgeländes aufmerksam gemacht wurde, hat offensichtlich mehr zur Verunsicherung beigetragen als zur Beruhigung. Die Frage, was da womöglich schiefgelaufen ist oder nur suboptimal funktioniert hat, dürfte die zuständigen Behörden noch einige Tage beschäftigen. Zuständig für den Zivilschutz ist in München die Branddirektion und ihre Integrierte Leitstelle: Von dort aus werden alle Einsätze und Maßnahmen von Feuerwehr und Rettungsdiensten gesteuert.

Die Integrierte Leitstelle hatte auch die Mitteilung herausgegeben, die am Mittwoch um 11.04 Uhr gleichzeitig mit einem Sirenenton auf Tausende Smartphones in der Stadt ausgespielt wurde. Je nachdem, über was für ein Handy die Leute verfügen und welche Warn-App sie dort installiert haben, erhielten sie offensichtlich unterschiedlich formulierte und dargestellte Mitteilungen: Mal war auf einer Karte die gesamte Stadt München als Gefahrengebiet rot markiert, obwohl im darunter stehenden Text nur das Festgelände auf der Theresienwiese als gefährdeter Bereich genannt wurde.

Mal hieß es unter der Überschrift „Extreme Gefahr“ nur lapidar „für München“, ohne nähere Ortsangaben; im weiteren Verlauf wurde auch bloß darauf verwiesen: „Informieren Sie sich in bekannten Warnmedien.“ Auf einigen Mobiltelefonen ging auch überhaupt keine Nachricht ein.

Wo mehrere Menschen zusammen waren, die unterschiedliche Warnhinweise bekommen hatten, schauten sie sich zumindest ratlos an – in Büros, in Schulen, selbst im Stadtrat. Dort hatte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) das Gremium bei dessen turnusgemäßer Vollversammlung bereits um 9.30 Uhr über die Sprengstoffdrohung gegen das Oktoberfest und die daraufhin veranlasste Sperrung des Geländes informiert. Warum die Allgemeinheit erst anderthalb Stunden später gewarnt wurde, ist eine der Fragen, die sich im Nachhinein stellten.

Zum besseren Verständnis gehört aber zunächst die Erklärung, wie das Warnsystem generell funktioniert: „Cell Broadcast“ nennt sich die Technologie, die bei der drastischen Münchner Warnung zum Einsatz kam. Hoheitliche Stellen können damit dringende Nachrichten an Bürger in ziemlich genau festgelegten Gebieten verteilen. Dazu wird einfach bestimmt, welche Funkzellen die Botschaft „broadcasten“, also verbreiten, und welche nicht.

Voraussetzung ist nur ein Handy mit 4G- oder 5G-Empfang. Ältere Modelle bekommen die Warnung nicht. Anders als bei Apps wie Katwarn oder Nina wird die Information nicht per Pushmitteilung aus der App verbreitet, sondern direkt über das Betriebssystem des Handys. Zumindest in der höchsten Warnstufe 1 lassen sich die Warnungen durch die Nutzer auch nicht abschalten. Es gilt einfach: Wer sich in einer der relevanten Funkzellen befindet, dessen Handy wird ein Sirenengeräusch machen und die Warnbotschaft anzeigen.

Die Technik ist sehr nützlich, zum Beispiel bei Katastrophen oder Terrorwarnungen. In Japan, den USA und den Niederlanden ist das System schon seit mehr als zehn Jahren im Einsatz, in Deutschland erst seit 2023.

Ganz ausgereift scheint die Synchronisation der jeweiligen Programme nicht zu sein, wie sich an den unterschiedlichen Mitteilungen ablesen lässt. Wie die Münchner Feuerwehr auf Anfrage mitteilte, pflegt sie in solchen Fällen die Informationen zunächst zentral ins sogenannte Modulare Warnsystem (MoWaS) ein: „Dann wird die Information automatisiert je nach Verbreitungskanal – also Cell Broadcast, Katwarn, NINA und weitere – an die jeweiligen Systeme weitergeleitet.“

Dass dort dann uneinheitliche Warnstufen herauskamen wie beispielsweise einfach „Gefahr“ in einem Fall und „extreme Gefahr“ in einem anderen, konnte die Branddirektion nicht erklären: „Hier kann nur das Bundesamt für Bevölkerungsschutz Antworten liefern, da es sich um einen bundeseinheitlichen Warnprozess handelt.“ Von der Feuerwehr sei jedenfalls „die mittlere von den drei für uns zur Verfügung stehenden Warnstufen gewählt“ worden.

Warum der Alarm erst um 11.04 Uhr ertönte

Weil wegen des Großeinsatzes in der Lerchenau die Gesamtsituation unklar gewesen sei, habe man die Warnhinweise eben in der ganzen Stadt verschickt, um alle Einwohner und Touristen, die aufs Oktoberfest wollten, „frühzeitig“ zu warnen, dass sie das Gebiet besser meiden sollten. Dass die Warnung erst um 11.04 Uhr gesendet wurde, erklärte eine Feuerwehr-Sprecherin zum einen damit, dass das auf den offiziellen Öffnungstermin der Wiesn abgestimmt gewesen sei.

Zum anderen hieß es: „Die Meldung kam zu dem Zeitpunkt, als die Ermittlungsergebnisse der Polizei die Dringlichkeit hierzu mit Fakten untermauern konnten.“ Auf den Aspekt, dass der OB schon anderthalb Stunden vorher wegen einer „verifizierten Sprengstoffdrohung“ die Sperrung des Geländes angekündigt hatte, ging die Feuerwehr nicht ein.

Es lief jedenfalls nicht alles glatt beim Gefahrenhinweis. Vor allem in Schulen sorgte es zunächst für Verunsicherung, als während des Unterrichts unvermittelt die Handys schrillten. „Die größte Herausforderung an den Schulen war, mit der Unruhe nach dem Auslösen der Warn-App umzugehen“, erklärte eine Sprecherin des Referats für Bildung und Sport (RBS) auf SZ-Anfrage: „Dafür wurde in der Regel über die Funktion und Zielsetzung der Warn-App aufgeklärt.“

Für Krisensituationen gebe es auch eine Koordinierungsgruppe unter Leitung des staatlichen Schulamts; aus diesem Gremium werden die Schulleitungen direkt über notwendige Maßnahmen instruiert, wie zum Beispiel über Schulschließungen. Das sei auch am Mittwoch der Fall gewesen, teilte das RBS mit. Tatsächlich war eine Grund- und Mittelschule in der Nähe des Lerchenauer Tatorts am Morgen gar nicht erst aufgeschlossen worden. Bei Gefahrenlagen sei es das Ziel, „ausschließlich belastbare Informationen weiterzugeben, transparent zu kommunizieren und Beunruhigungen zu vermeiden“.

Es gebe auch ein Handbuch für alle städtischen Schulen, wie mit Gefahrensituationen und -meldungen umzugehen ist; darin seien auch Leitfäden für Durchsagen enthalten. Zumindest in einem Gymnasium habe die Ansage des Direktors indes eher für weitere Verwirrung und Verstörung  gesorgt, erzählten Schüler später daheim. Insgesamt, so bilanzierte das RBS, seien die Rückmeldungen der Schulen hinsichtlich Kommunikation und Information aber „sehr positiv“ gewesen.

Eltern von Kindergartenkindern berichteten noch, dass nach dem Auslösen des Warnhinweises erst einmal hektische Betriebsamkeit in Chatgruppen herrschte, weil niemand so recht wusste, was jetzt zu tun sei. Wie das RBS mitteilte, habe es die Kitas noch am Mittwoch mit Leitfäden versorgt zur kindgerechten Kommunikation der Vorkommnisse in der Lerchenau und der Sperrung des Oktoberfestes.

Grundsätzlich hätten sich aber wohl die Erwachsenen gewünscht, dass mit ihnen besser kommuniziert worden wäre.