Die Dokumentation «Downhill Skiers» feierte am Zurich Film Festival Premiere. Neben spektakulären Action-Bildern zeigt sie auch die verletzliche Seite der Draufgänger.
02.10.2025, 14.05 UhrAktualisiertSzene aus dem Dokumentarfilm «Downhill Skiers». Dieser begleitet Marco Odermatt und andere Abfahrer auch in der Rennvorbereitung.
PD
Marco Odermatt sagt: «Wir Abfahrer sind wie zwei verschiedene Menschen. Der eine ist entspannt, der andere ein Tier.»
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Aleksander Kilde sagt: «Wir sehen uns als eine Art Superhelden. Die Leute denken, wir seien unzerstörbar. Aber das sind wir nicht. Wir sind nur etwas verrückt.»
Dominik Paris sagt: «Wir sind süchtig nach Risiko. Wir wollen testen: Wie weit können wir gehen? Wo geht es nicht mehr weiter? Das ist die Seele des Abfahrers.»
Die Seele des Abfahrers: Sie will der neue Dokumentarfilm «Downhill Skiers» ergründen. Für mehr als zwei Stunden rasen die besten Abfahrer der Gegenwart über die Kinoleinwand: Marco Odermatt, Cyprien Sarrazin, Franjo von Allmen. Der österreichische Regisseur Gerald Salmina begleitete die Athleten im Winter 2024/25 während der neun Weltcup-Abfahrten und an den Weltmeisterschaften, aber auch im Sommer im Kraftraum, beim Wakesurfen – und im Spital.
Denn der gewählte Winter zählte zu den turbulentesten der Weltcup-Geschichte – im negativen Sinn. Zahlreiche schwere Stürze, gravierende Verletzungen, gegenseitige Schuldzuweisungen und die Suche nach Lösungen für Sicherheitsprobleme prägten die Saison. Mittendrin die Athleten, die alles drum herum im entscheidenden Moment ausblenden mussten. Sie bewegen sich auf einem schmalen Grat: Sie müssen genug Risiko für den Sieg eingehen, aber nicht so viel, dass ein Sturz droht.
Der Dokumentarfilm zeigt auch Szenen abseits der Piste, etwa Odermatt und seine Teamkollegen im Konditionstraining.
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Diesen Balanceakt zu zeigen, der Blick hinter die Fassade der Abfahrer – das gelingt dem Film gut. Die Abfahrer werden nicht glorifiziert und als Helden dargestellt, die sich furcht- und kopflos den Berg hinunterstürzen. Stattdessen zeigt die Dokumentation auch die verletzlichen Seiten, die Zweifel, den Schmerz der Athleten. Natürlich eignet sich das Spektakel einer Weltcup-Abfahrt hervorragend für die Kinoleinwand: Die Bilder aus der Fahrerperspektive sind atemberaubend, es gibt überraschende Blickwinkel auf längst vertraute Rennpassagen oder Zeitlupenaufnahmen von Ski, die in den Kurven flattern.
Das fatale Wochenende in Bormio als Kernstück
Am stärksten aber berührt der Film in den intimen Momenten. Wenn er etwa die Stille und die Beklemmung einfängt, die in den Sekunden nach einem schweren Sturz den Zielraum erfüllen. Wenn Aleksander Kilde in einer tristen Skihalle selig lächelt, als er Monate nach seinem Sturz in Wengen und nach vielen Komplikationen die ersten Schwünge im Schnee wagt und sagt: «Zum Glück habe ich nicht aufgehört.» Oder wenn sich Marco Odermatts Vater Walter fragt: «Was habe ich gemacht?», weil er fürchtet, die immensen Auswirkungen des Erfolgs könnten seinem Sohn die Leichtigkeit rauben. Der Abfahrtssport sei weit weg gewesen, als es früher darum gegangen sei, mit den Kindern draussen im Schnee zu sein.
Einmal rinnt Sarrazin im Kraftraum während der Saisonvorbereitung vor Anstrengung der Speichel aus dem Mund. Später im Film zoomt die Kamera auf den Kopf des Franzosen, auf die Narbe, die in einem grossen Bogen auf der linken Kopfhälfte prangt. Am Monitor erklärt ihm die Ärztin anhand von Scans, weshalb man wegen einer Blutung nahe dem Gehirn seine Schädeldecke öffnen musste.
Der Trailer zum Film «Downhill Skiers», der ab dem 23. Oktober in den Schweizer Kinos läuft.
Sowieso, Sarrazin. Das Rennwochenende in Bormio Ende Dezember 2024, bei dem er ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten hat, nimmt in der Doku viel Platz ein. Zu Recht: Während die Rückblicke auf andere Rennen manchmal wie langatmige Zusammenfassungen wirken, steht Bormio für die ganze Komplexität der Abfahrtsdisziplin. Kein anderes Rennen des vergangenen Winters hinterliess so viele Spuren – wegen der Diskussionen um die fragwürdig präparierte Piste und der schweren Folgen für Sarrazin, der in der kommenden Saison (noch) nicht in den Weltcup zurückkehrt.
Der Zuschauer weiss, dass der brutale Sturz bevorsteht. Der Film baut die Spannung bis zum Moment des Abflugs etwas gar dramatisch auf. Doch es ist interessant, die Beteiligten während der drei Tage in Bormio zu begleiten. Man spürt die Ratlosigkeit, als Paris dem Servicemann am Abend vor dem Rennen im Keller zu erklären versucht, wie er auf den ersten eisigen Abschnitten der Piste einen anders präparierten Ski brauchen würde als in den aggressiven Passagen weiter unten. Es fährt ein, wenn Odermatt bei der Streckenbesichtigung mit einem Trainer sagt: «Das ist gefährlich, Mann.»
Dominik Paris erklärt seinem Servicemann im Skikeller, wie die Unterlage der Abfahrtsstrecke in Bormio oben eisig und unten aggressiv ist.
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Dann der FIS-Renndirektor Markus Waldner: Er schwitzt vor Kameras und Mikrofonen, verteidigt die Piste, schiebt die Schuld auf das aggressive Material und mahnt die Fahrer zur Eigenverantwortung. Der Schweizer Josua Mettler, der an der gleichen Stelle stürzte und sich die Kreuzbänder in beiden Knien riss, sagt: «Vielleicht sollte man auch einmal nicht ans Geld denken und auf etwas verzichten, wenn die Verhältnisse nicht gut sind.»
Und schliesslich steht da Justin Murisier im Zielraum, als sein Freund Sarrazin mit dem Helikopter abtransportiert wird, noch bevor das Ausmass von dessen Verletzungen klar ist. Er schickt ihm gute Besserung hinterher und sagt dann: «Morgen am Start werde ich keine Sekunde dran denken.»
Denn das ist eben auch Teil der Abfahrerseele: Die Rennfahrer sind sich des Risikos bewusst – und machen trotzdem weiter. Weil diese Suche nach dem Limit ihr Job ist. Es kann immer etwas passieren; das gehöre dazu, sagt einer im Film. Ein anderer, dass man damit in Ordnung sein müsse. Und Vincent Kriechmayr erklärt: «Das macht den Nervenkitzel aus, wenn du am Start stehst.»
Marco Odermatt (l.) und Cyprien Sarrazin auf der Besichtigung in Bormio. In jenem Rennen stürzte der Franzose schwer.
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Beim Skifilm «Streif» von 2014 flogen noch mehr Fahrer in die Netze
2014 drehte derselbe Regisseur schon einmal einen Skifilm. «Streif» spürte dem Mythos der Hahnenkammrennen in Kitzbühel nach. Ein kraftvoller Film, der die Speed-Spezialisten von damals allerdings mit einem mulmigen Gefühl aus dem Kinosaal entliess: zu viele Stürze, und das in Grossaufnahme – besonders Daniel Albrechts Aufprall hätte man nicht mehrfach sehen müssen.
«Downhill Skiers» verzichtet weitgehend auf Wiederholungen von Stürzen, doch in den 130 Minuten fliegen genug Fahrer ins Netz. Die Wucht der Szenen trifft einen – besonders vor dem Hintergrund, dass der Italiener Matteo Franzoso erst Mitte September beim Abfahrtstraining tödlich verunglückt ist. Wer das Risiko des Sports über den Sommer vergessen hat, wird jetzt wieder daran erinnert: Diese Disziplin ist eine Gratwanderung. Und steht vor grossen Herausforderungen, zuallererst, was die Sicherheit betrifft. Ab der kommenden Saison sind schnittfeste Unterwäsche und Airbags Pflicht. Zudem verbietet der Weltverband FIS Schienbeineinlagen aus Carbon, die die Kraftübertragung verbessern. Sarrazin trug sie, als er stürzte.
Am Ende des Films badet Cyprien Sarrazin mit Justin Murisier im Lac d’Annecy. Er blickt noch einmal zurück auf den Moment, der fast sein Leben beendet hätte. Und sagt: «Und dennoch bereue ich nichts. Das ist verrückt. Es ist mein Leben, meine Story.» Das ist die Seele eines Abfahrers.
Marco Odermatt gewann auch in der Saison 2025 mehrere Kristallkugeln für die Disziplinenwertungen.
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Downhill Skiers: Die Schweizer Premiere fand am 1. Oktober am Zurich Film Festival statt, Kinostart in der Deutschschweiz ist am 23. Oktober.