
AUDIO: Umfrage zur Deutschen Einheit: Ost-West-Debatten kontraproduktiv (3 Min)
Stand: 03.10.2025 06:00 Uhr
Seit 35 Jahren ist Deutschland wiedervereint. Doch die Mehrheit der Norddeutschen sieht keine Einheit, sondern Stillstand und ein Auseinanderdriften. Das zeigt eine neue #NDRfragt-Umfrage mit 21.000 Teilnehmenden. MDRfragt liefert dazu ein Vergleichsbild aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
„Noch nie war der Unterschied zwischen Ost und West so groß wie heute“, sagt Heidi (65) aus Hamburg. Ganz anders sieht es Wenke (22) aus Kiel: „Ich fühle keinen Unterschied. Für mich ist Deutschland ein Land. Ich bin 22 Jahre alt und in meiner Generation spielt das Ost-West-Denken keine Rolle.“ Heidi und Wenke gehören beide zur #NDRfragt-Community, und ihre Meinungen zeigen, wie unterschiedlich die Norddeutschen über die Wiedervereinigung denken. Der Frage, ob die Deutschen zu einer Nation zusammengewachsen sind, stimmen 45 Prozent der Teilnehmenden zu, 54 Prozent verneinen. Alle Ergebnisse der nicht repräsentativen, aber gewichteten #NDRfragt-Umfrage, können Sie hier nachlesen.
Gemeinsame Umfrage von MDR und NDR
Für die aktuelle Befragung hat das Team von #NDRfragt zum ersten Mal mit MDRfragt, dem Meinungsbarometer des Mitteldeutschen Rundfunks, zusammengearbeitet. Beide Redaktionen wollten wissen, ob die Menschen in ihrem jeweiligen Sendegebiet anders auf den Stand der Deutschen Einheit blicken. Und das tun sie. In der MDRfragt-Community mit Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen stimmen sogar nur 24 Prozent der Aussage zu, dass die Deutschen zu einer Nation zusammengewachsen seien. 74 Prozent sehen keine Einheit – und damit 20 Prozentpunkte mehr als in der #NDRfragt-Community. Alle Ergebnisse der MDRfragt-Befragung lassen sich hier nachlesen.
Im Norden ist die Zustimmungsrate bei den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern deutlich niedriger als in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg: Hier finden nur 32 Prozent der Teilnehmenden, dass die Deutschen zu einem Land zusammengewachsen sind.
Pessimistisch in die Zukunft
Viele Menschen haben uns zwar geschrieben, dass sie dankbar sind für die Wiedervereinigung. „Ohne den Mauerfall könnte ich mein heutiges Leben als freier und vor allem frei denkender Mensch nicht leben“, sagt zum Beispiel Matthias (47) aus dem Kreis Stormarn, der in der DDR aufgewachsen ist. Aber die große Mehrheit der #NDRfragt-Community meint auch, dass Ost und West sich im Moment weiter voneinander entfernen oder zumindest Stillstand herrscht beim Aufeinander-Zubewegen. Insgesamt 85 Prozent empfinden das so. „Ich bin mir nicht sicher, ob sich Deutschland überhaupt total vereinen lässt. Wenn man auf die kleinstaatliche Vergangenheit zurückblickt, liegt uns das vielleicht einfach nicht im Blut“, sagt Annika (26) aus Rostock. Die MDRfragt-Gemeinschaft sieht es ähnlich – dort wird ein Auseinanderdriften etwas seltener, Stillstand etwas häufiger genannt.
Migration, soziale Ungleichheit, Politik: Gründe für die Spaltung
„Welche Themen spalten die Gesellschaft am meisten?“ haben wir die Community gefragt. Die Antwort „Migration und Integration“ fiel unter allen Teilnehmenden besonders oft – mit 61 Prozent. Auf Platz zwei folgt die soziale Ungleichheit mit 56 Prozent vor „Parteien und politische Entscheidungen“ mit 55 Prozent. Ein Blick in die einzelnen Bundesländer zeigt auch hier Unterschiede zwischen Ost und West: Bei den Teilnehmenden aus Mecklenburg-Vorpommern war die soziale Ungleichheit mit 64 Prozent Grund Nummer eins für die Spaltung der Gesellschaft – mit Abstand.
„Der Unterschied besteht immer noch in den Gehältern“, schreibt uns etwa Markus (57) aus dem Landkreis Nordwestmecklenburg. „Mecklenburg-Vorpommern ist und bleibt ein Billiglohnland, obwohl beispielsweise der Tourismus immer höhere Zahlen verbuchen kann.“ Und Anke (63) aus dem Kreis Stormarn schreibt: „Politisch haben wir uns sehr voneinander entfernt. Die Politik muss dringend schauen, dass die gefühlten Probleme der Menschen ernst genommen werden.“
Jana (34) aus Hamburg hat neun Jahre in Dresden gelebt und Unterschiede gerade beim Thema soziale Ungleichheit wahrgenommen: „Die Realität dort war einfach eine andere, die Ansprüche geringer, das Geld nicht selbstverständlich“, erzählt sie. Die Menschen hätten nach der Wende vieles verloren und seien damit hängen gelassen worden. „Leider fehlt da nun noch immer das Vertrauen in den Staat. Andererseits wird der Osten aber auch gern ignoriert und sich nur auf Symptome und nicht auf Problemlösung konzentriert.“
Karriere-Nachteil ostdeutsche Herkunft?
Auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung sehen viele Menschen im Osten einen Einfluss ihrer Herkunft auf ihren beruflichen Werdegang – zu ihrem Nachteil. In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise geben 44 Prozent an, dass die ostdeutsche Herkunft Nachteile bietet, in Sachsen sind es 46 Prozent. In den westlichen Bundesländern liegen die Werte zwischen 20 und 30 Prozent. Die Befragten verweisen dabei auch auf bestehende Lohnunterschiede zwischen Ost und West: „Wichtig wäre ein Ost-West-Angleich der Gehälter, denn Lebensmittel kosten überall das Gleiche“, schreibt Lisa (35) aus Nordwestmecklenburg.
Wünsche für die Zukunft
Die Spaltung wird deutlich wahrgenommen – und zugleich sehr bedauert. Viele Menschen haben uns geschrieben, was ihrer Meinung nach passieren müsste, damit Deutschland in Zukunft vereinter wird. „Dass der Westen endlich die Lebensleistungen der Ostdeutschen anerkennt“, sagt Yvonne (39) aus Rostock. „Viel mehr Austausch, gegenseitiger Respekt und Rücksichtnahme“, sagt Christina (53) aus Bremen. „Wir müssten aufhören, immer von Ost- und Westdeutschland zu reden. Aus meiner Sicht kann man sich nicht als ‚eins‘ fühlen, wenn immer wieder thematisiert, dass man eben doch nicht ‚eins‘ ist“, sagt Yvonne (45) aus dem Kreis Dithmarschen.
Und Angela (52) aus dem Kreis Pinneberg schreibt: „Es müssten alle mal wieder von ihrer persönlichen Palme herunterkommen. Herr Merz müsste aufhören, demonstrierende Menschen zu verunglimpfen und stattdessen die Sorgen der Mehrheit ernst nehmen. Und zwar die Sorge um die Demokratie und das solidarische Miteinander. Im Grunde können wir aber alle im Kleinen unseren Teil dazu beitragen, dass wir aufeinander zugehen und auf Gemeinsamkeiten gucken, statt auf Trennendes.“
In der Umfrage haben Sie uns unzählige Tipps für ein vereinteres Deutschland geschickt – vielen Dank dafür! In dieser Anwendung bereiten wir einige für Sie auf. Um den ganzen Beitrag zu sehen, tippen Sie auf die jeweilige Kachel. Sie können die Tipps nach Ratschlägen von Menschen über und unter 35 Jahren filtern.
Mitarbeit
Umfrageerstellung: Vivien Graf, Nora Köhler
Datenanalyse: Lisa Richter
Über diese Befragung
Die Antworten stammen aus der Umfrage „Deutsche Einheit – Wunsch oder Wirklichkeit?“, an der sich 21.093 Norddeutsche beteiligt haben.
Für die Ergebnisse wurden Antworten ausgewertet, die von 24. bis 29. September 2025 bis 6 Uhr abgegeben wurden. An den Umfragen von #NDRfragt nehmen Menschen aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen teil. Die Umfragen werden online ausgefüllt.
Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings nach den statistischen Merkmalen Alter, Geschlecht, Bundesland, Schulabschluss und Familienstand gewichtet. Das heißt: Antworten von Bevölkerungsgruppen, die unter den Befragten seltener vertreten sind als in der norddeutschen Bevölkerung, fließen stärker gewichtet in die Umfrage-Ergebnisse ein. Und die Antworten von in der Befragung überrepräsentierten Gruppen werden schwächer gewichtet. Insgesamt verteilen sich die Antworten dann am Ende eher so, wie es der tatsächlichen Verteilung der Bevölkerungsgruppen in Norddeutschland entspricht.
#NDRfragt ist das Meinungsbarometer für den Norden. Mittlerweile haben sich mehr als 60.000 Menschen für die Community angemeldet. Wer noch nicht dabei ist, aber mitmachen will, kann sich hier registrieren und wird zu den Umfragen per E-Mail eingeladen. Mitglied kann werden, wer in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg oder Bremen wohnt und mindestens 16 Jahre alt ist.

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