In vielen Großstädten, so auch München, verdrängen Ketten den Einzelhandel und befeuern damit den Fast-Fashion-Trend. Somit werden Secondhand- und Vintageläden zu Inseln des individuellen Ausdrucks und der persönlichen Kundenberatung. Orte, an denen sowohl stilbewusste Studentinnen als auch Bühnenbildner und Prominente gerne Halt machen. Doch wer verbirgt sich hinter den Läden? Eine Spurensuche in München.

Cat With a HatIm  Cat with a Hat  verkaufen René Maria Lutz (links) und Silvia Schreiber Vintagemode, die sich über die Jahre hinweg in ihrem persönlichen Fundus angesammelt hat.Im Cat with a Hat verkaufen René Maria Lutz (links) und Silvia Schreiber Vintagemode, die sich über die Jahre hinweg in ihrem persönlichen Fundus angesammelt hat. (Foto: Stephan Rumpf)

René Maria Lutz kramt unter dem Ladentisch einen Stoß Magazinartikel hervor. Auf den meisten posieren in extravaganter Kleidung bekannte Models, Schauspielerinnen und Musikerinnen, darunter die britische Band Kitty, Daisy & Lewis. Jedes Mal, wenn er umblättert, deutet er auf eine markierte Textstelle auf den Blättern, dabei verkündet er stolz: „Hier steht Cat with a Hat“, der Name seines Vintageladens, den er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Silvia Schreiber führt.

Bei einem Artikel bleibt er besonders lange hängen: „Vor einigen Jahren hatte die Vogue ein Shooting mit Karl Lagerfeld, dafür haben wir Matrosenkleidung verliehen. Als wir sie zurückbekommen haben, hat eine Jacke gefehlt.“ Lutz macht eine theatralische Pause: „Kann man sich das vorstellen: Dem Karl hat so gefroren, dass sie ihm meine schöne Matrosenjacke geschenkt haben.“ Man fühle sich schon geadelt, betont Lutz: „Trotzdem schade um die Jacke, die mochte ich echt gerne“.

Nach der langen Liste an bekannten Persönlichkeiten, die bereits bei Cat with a Hat in der Baaderstraße shoppten, folgt eine Aufzählung der Filme, die Schreiber und Lutz mit ausgestattet haben. Darunter „Wer früher stirbt, ist länger tot“, für den Lutz eine Auswahl seiner privaten Schmucksammlung zur Verfügung stellte.

Trotz des prominenten Publikums sei das Geschäft mit der Vintagemode über die Jahre nicht leichter geworden. Viel habe sich auf Onlineportale verlagert, sagt Schreiber. Deshalb haben sie sich während der Pandemie entschieden, einen Onlineshop zu eröffnen und auf der Plattform Etsy zu verkaufen. Das lohne sich, betont sie. Man könne zudem ein internationales Publikum erreichen.

Unter ihren Stammkunden seien, sowohl digital als auch lokal, kaum Münchner. „In München wird, anders als in New York oder London, Vintage nicht besonders wertgeschätzt“, sagt Lutz. Die Betreiber des Cat with a Hat gehören dabei zur Ausnahme. Schreiber habe bereits als Jugendliche gemerkt, dass Vintage „ihr Ding“ sei und habe seitdem begonnen zu sammeln. Als sie Lutz kennenlernte, übertrug sich die Vintage-Leidenschaft auf ihn. Über die Jahre sammelte sich eine Vielzahl an Schätzen an. Mit ihrem Fundus könnten sie den Laden noch dreimal füllen. 2011 wurde die Sammlung dann so groß, dass sich Schreiber und Lutz dazu entschieden, Cat with a Hat zu eröffnen – aus reiner „Leidenschaft und Liebe“, wie Lutz betont.

Cat with a Hat; Baaderstraße 53, 80469 München; Öffnungszeiten: Mo., Mi. – Fr. 12 – 18 Uhr, Sa. 11 – 18 Uhr; weitere Informationen: www.catwithahat.de

Alva-MorgaineAlva-Morgaine : Ein Ort,  an dem Geschichte und Persönlichkeit aufeinandertreffen. Dafür steht die Betreiberin.Alva-Morgaine: Ein Ort,  an dem Geschichte und Persönlichkeit aufeinandertreffen. Dafür steht die Betreiberin. (Foto: Stephan Rumpf)

Ein leiser Glockenton kündigt neue Kundschaft an. Empfangen wird sie von einem süßlich-schweren Duft von Räucherstäbchen und altem Leder. „Grüße euch! Willkommen im Chaos. Viel Spaß beim Stöbern!“, begrüßt Alva-Morgaine Pilz das junge Pärchen, das den Laden betritt. Pilz ist die Besitzerin und gleichzeitig Namensgeberin des Alva-Morgaines. Zwischen den voll behangenen Kleiderstangen sitzt sie aufrecht auf einem Sofa. Sie trägt einen leicht oversized Hosenanzug. Sie lächelt herzlich. Bei Nachfragen springt die geborene Münchnerin sofort auf.

Die studierte Kunsthistorikerin, Ethnologin und Soziologin brennt dafür, die Geschichte ihrer Schätze zu ergründen und das Wissen zu teilen. „Meine Familie hat sehr an meiner Studienwahl gezweifelt“, erzählt Pilz: „Sie meinten: Mein Gott, was willst du denn damit anfangen?“  Einen Vintageladen im Glockenbachviertel – natürlich! Pilz selbst hätte schon in ihrer Jugend gewusst, dass sie so etwas in der Art gerne machen würde. Mit einer Tante, die von Flohmärkten und Antiquitäten begeistert ist, und einer Schneiderin und Raumausstatterin als Mutter wurde ihr das schon fast in die Wiege gelegt. Seit neun Jahren betreibt sie nun ihren, wie sie selbst sagt, wahr gewordenen Traum in Form des Alva-Morgaines.

Neben Vintagekleidung stapeln sich auch weitere Antiquitäten im Laden und verleihen dem  Alva-Morgaine  seinen Charme.Neben Vintagekleidung stapeln sich auch weitere Antiquitäten im Laden und verleihen dem Alva-Morgaine seinen Charme. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Ware stammt überwiegend aus den zahlreichen Reisen von Alva-Morgaine Pilz. Unter ihnen finden sich viele seltene Sammlerstücke, darunter ein goldenes Dreißigerjahre-Kleid. Ursprünglich fehlten rund ein Drittel der Pailletten. Vier Jahre benötigte Pilz, um die fehlenden Teile mit authentischen Funden zu ergänzen. Aufgrund ihres großen Repertoires an historischer Kleidung gehören lokale, aber auch nationale Theater- und Opernhäuser zu ihren regelmäßigen Kunden.

Neben den teuren Stücken hängt im Laden auch günstigere Kleidung für den alltäglichen Gebrauch. Das zieht gleichermaßen stilbewusste ältere Damen wie modeaffine Studierende an. In letzter Zeit zählen zudem zahlreiche Bloggerinnen, vorwiegend aus dem asiatischen Raum, zum festen Kundenstamm. Als der Laden in der New York Times als Shoppingtipp für München empfohlen wurde, sei die Kundschaft noch mal internationaler geworden. „Willkommen im Chaos“ sei aber jeder, betont Pilz. Nur graue und langweilige Klamotten haben in ihrer Wunderkammer striktes Hausverbot.

Alva-Morgaine; Hans-Sachs-Straße 9, 80469 München; Öffnungszeiten: Di. – Fr. 11 – 18.30 Uhr, Sa. 11 – 16 Uhr; weitere Informationen: www.alva-morgaine.de

Fashion & FantasyIn der Fürstenstraße befindet sich  Fashion & Fantasy,  ein Tante-Emma-Laden für Mode-Accessiores und Blumen. Liebevoll geführt wird er von Anette Schlagheck.In der Fürstenstraße befindet sich Fashion & Fantasy, ein Tante-Emma-Laden für Mode-Accessiores und Blumen. Liebevoll geführt wird er von Anette Schlagheck. (Foto: Stephan Rumpf)

„Mein Laden ist bunt – so bunt wie die Menschen, die zu mir kommen“, stellt Anette Schlagheck mit einem breiten Grinsen fest. „Ich mag es einfach bunt“, ergänzt sie. Das merkt man schon beim Betreten ihres Ladens Fashion & Fantasy. Akribisch nach Farben sortiert reihen sich die Kleidungsstücke an den Stangen – vom knallroten Abendkleid bis zur pastellfarbenen Bluse. Dazwischen stehen zahllose Vasen mit Blumen. Die Ladentische sind bestückt mit Kerzenständern, Ketten und allerlei dekorativem Krimskrams. „So was wie meinen Laden hat man früher Tante-Emma-Laden genannt. Heute heißt es Concept-Store“, erklärt Schlagheck, lacht und nippt dann an ihrem Cappuccino.

Wer den Laden verlässt, nimmt nicht nur Kleidung oder Accessoires mit nach Hause. Zum Einkauf gehören eine individuelle Stilberatung, ein herzliches Gespräch und mit der Zeit sogar eine gute Bekannte. Ihren liebsten Kundinnen versüßt Schlagheck den Tag schon mal mit einem Gläschen Sekt, einem Stück Kuchen oder Blumen, wie sie selbst verrät. Was heute zum Fashion & Fantasy-Paket gehört, war für Schlagheck einst selbst Realität: Aus ihr wurde von einer Kundin über die Jahre eine enge Freundin der damaligen Besitzerin. Als „Frau Lorenz“ altersbedingt aufhören musste, bat sie Schlagheck darum, den Laden weiterzuführen. 2012 übernahm die gelernte Floristin Fashion & Fantasy. Bis ins hohe Alter schaute Frau Lorenz noch regelmäßig als gute Seele des Ladens vorbei, erinnert sich Schlagheck.

Mit der neuen Besitzerin kamen frischer Wind und viele Blumen in den Laden, doch das Ziel des Geschäfts blieb unverändert: Liebe zu nachhaltiger Mode und zu bewusstem Konsum zu vermitteln, aber auch einen Treffpunkt für alte und neue Bekanntschaften zu bieten.

Fashion & Fantasy; Fürstenstraße 17, 80333 München; Öffnungszeiten: Mo., Di., Do. und Freitag 11:00-18:00 Uhr, Mi. 11 – 20 Uhr, Sa. 11 – 14 Uhr; weitere Informationen: www.secondhand-muenchen-fashionandfantasy.de

HolareidulijöMichaela Klein entdeckte ihre Liebe zu Lederhosen eher durch Zufall. Heute verkauft sie in ihrem Laden  Holareidulijö  überwiegend Secondhand-Lederhosen.Michaela Klein entdeckte ihre Liebe zu Lederhosen eher durch Zufall. Heute verkauft sie in ihrem Laden Holareidulijö überwiegend Secondhand-Lederhosen. (Foto: Stephan Rumpf)

Während viele Secondhand- und Vintageläden auf ein breit gefächertes Sortiment setzen, hat es Michaela Klein ein Kleidungsstück besonders angetan: die Lederhose. Seit 1992 verkauft sie in ihrem Laden Holareidulijö gebrauchte Trachtenmode. Das Klischee, Lederhosen könnten nicht gereinigt werden, hält sich zwar hartnäckig, ist aber falsch. Ganz im Gegenteil, laut Klein stecke in den alten Lederhosen besonders viel Charme: „Ich liebe diese alten Hosen. Sie haben so eine wundervolle Patina und die charakteristischen Tragefalten.“

Um den historischen Stücken neues Leben einzuhauchen, begann sie kurz nach der Eröffnung eine Ausbildung zur Säcklerin. Mit anderen Worten: Sie ist gelernte Lederbekleidungserzeugerin.  Sie selbst trägt fast täglich Lederhosen, mit passendem Hemd, Janka oder Jacke. Doch eine historische Lederhose in Frauengröße zu finden, ist gar nicht so einfach.

Vor mehr als 30 Jahren entstand so, eher durch Zufall, die Idee für ihr Secondhand-Lederhosen-Business. Aufgrund eines schweren Autounfalls hatte Klein ihren Bürojob aufgegeben. Stattdessen begann sie, bayerischen Modeschmuck auf Flohmärkten zu verkaufen. „Irgendwann kam mir der Gedanke, dass es doch schön wäre, wenn ich passend dazu eine Lederhose tragen würde.“

Also stellte Klein ein Schild mit „Lederhose gesucht“ an ihrem Stand auf. Es dauerte nicht lange, da waren einige ältere Damen mit Hosen im Gepäck zu ihr gekommen. „Leider waren die mir alle viel zu groß“, erzählt sie. Also hat Klein ihnen die Hosen zu einem günstigen Preis abgekauft und wieder verkauft. Schon bald hatte sie eine stattliche Sammlung an Lederhosen beisammen. Probeweise eröffnete sie einen Laden, zunächst auf ein Jahr begrenzt. „Von Anfang an lief es wahnsinnig gut“, sagt Klein. Kurze Zeit später zog sie wenige Meter weiter in die Schellingstraße 81 und eröffnete Holareidulijö. Seither ist dieser, vor allem während der Wiesn, bestens besucht.

Holareidulijö; Schellingstraße 81, 80799 München; Öffnungszeiten: Mo. – Fr. 12 Uhr bis 18 Uhr, Sa. 10 – 17 Uhr; weitere Informationen: www.holareidulijoe.com

secondaPelleMit  secondaPelle  am Bahnwärter Thiel bringt Francesca Pellegrini (rechts) ein Stück Italien nach München. Tatkräftig unterstützt wird sie von ihrem Lebensgefährten Alperen Istanbullu (links).Mit secondaPelle am Bahnwärter Thiel bringt Francesca Pellegrini (rechts) ein Stück Italien nach München. Tatkräftig unterstützt wird sie von ihrem Lebensgefährten Alperen Istanbullu (links). (Foto: Stephan Rumpf)

Wenn es eines gibt, was die Münchner mindestens genauso lieben wie ihr Oktoberfest, dann ist es „Bella Italia“. Diese Erkenntnis hatte auch Francesca Pellegrini, als sie von einem kleinen italienischen Dorf nahe Bologna nach München zog. Zudem stellte sie fest, dass es anders als in Italien deutlich weniger Secondhand- und Vintageläden in der Stadt gibt. Während sie am Bahnwärter Thiel jobbte, wurde ein Container frei, und so eröffnete sie secondaPelle. „Ich dachte mir, warum nicht“, sagt Pellegrini, dann gibt sie zu: „Gut, ein bisschen mehr Gedanken gemacht hab’ ich mir dann schon, als warum nicht.“

Zum Beispiel, was der Kundschaft gefallen könnte. Die Erfahrung zeigt: Die Nachfrage ist bunt gemischt, mit einer Ausnahme. Es komme vor, dass Jugendliche den Laden schnell wieder verlassen würden, sobald klar sei, dass heute keine Jeans einer bestimmten Marke auf der Stange hängt. „Echt schade“, sagt Pellegrini und nimmt einen Schluck von ihrer Mate. Das Bedürfnis, ja fast der innere Zwang, ein Teil unbedingt besitzen zu müssen, sei genau das, wofür Secondhand nicht stehe.

Mit secondaPelle wolle Pellegrini ein Zeichen gegen Fast Fashion und für achtsamen Konsum setzen. Sie erzählt: „Viele sagen, Secondhand passt nicht zu meinem Stil, das ist mir zu ausgefallen. Aber Secondhand ist so vielfältig.“

„It’s for Everyone and Everyday“, wirft ihr Lebensgefährte Alperen Istanbullu ein. Die beiden haben sich im Laden kennengelernt. Seitdem unterstützt Istanbullu sie tatkräftig.

Generell sei der secondaPelle ein Ort, um Freunde zu treffen und um neue zu finden. Manche kämen einfach nur in den Laden, um auf der Terrasse zu sitzen und zu quatschen. Diese Nähe zu lieben Menschen macht für Pelligrini den Charme von secondaPelle aus. „Am Ende des Tages ist der Laden nicht nur mein Job, sondern auch mein Leben“, sagt sie. Ein Satz, der wohl allen Secondhand- und Vintageladen-Besitzerinnen und Besitzern in diesem Artikel aus der Seele spricht.

secondaPelle; Tumblingerstraße 45, 80337 München; Öffnungszeiten: Di. – Sa. 13 – 20 Uhr; weitere Informationen auf Instagram: @secondapelle.muc