Schutz durch Militär und Polizei, zudem Verstärkung aus NATO-Ländern: Wohl selten fand ein Treffen von Staats- und Regierungschefs unter so hohen Sicherheitsmaßnahmen statt wie jetzt in Kopenhagen. Grund waren die tagelangen Sichtungen von unbekannten Drohnen über Dänemark, die teilweise den Flugverkehr in dem nordeuropäischen Land lahmlegten. Russland steht im Verdacht, dahinter zu stecken.
Am Mittwoch fand in der dänischen Hauptstadt zunächst der informelle EU-Gipfel statt, gefolgt von der Konferenz der 47 Staaten der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) am Donnerstag. Eines der Themen des zweitägigen Treffens: eine Verbesserung der Drohnenabwehr in Europa.
„Es gibt nicht nur hybride Angriffe, sondern derzeit findet in Europa ein hybrider Krieg statt“, warnte die Gastgeberin, die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Ihrer Meinung nach habe Europa „die tatsächliche Bedrohung durch Russland unterschätzt“.
Dänemarks Regierungschefin Frederiksen: „Abwehrfähigkeiten verstärken“Bild: Thomas Traasdahl/Ritzau Scanpix/REUTERS
„Wir müssen die Produktion von Drohnen und unsere Abwehrfähigkeiten verstärken“, machte Frederiksen deutlich. Sie fordert deshalb den Aufbau eines europäischen Anti-Drohnen-Netzwerks, das die ferngesteuerten Flugobjekte aufspüren und auch neutralisieren kann. Die Europäische Union müsse spätestens bis zum Jahr 2030 in der Lage sein, sich „vollständig zu verteidigen“.
Das ist auch Zieldatum eines von der EU-Kommission vorgelegten Plans, der laut Ratspräsident Antonio Costa auf dem Gipfel „breite Unterstützung“ fand. Zu den vier „Leitprojekten“, die die Europäische Kommission vorgeschlagen hat, gehören die Überwachung der EU-Ostflanke, eine verbesserte Luftabwehr, ein Schutzschirm im Weltraum und ein „Drohnen-Wall“.
Ukrainischer Drohnenoperator beim Training (am Montag): Expertise im Kampf gegen DrohnenBild: Hanna Sokolova-Stekh/DW
Aufgrund der Vielzahl von Zwischenfällen in einer ganzen Reihe von EU-Staaten steht derzeit die Abwehr von Drohnen im Mittelpunkt der Diskussion. Einige Experten kritisieren jedoch die Verwendung des Ausdrucks „Drohnen-Wall“. Der Begriff könnte den Bürgern den Eindruck vermitteln, es gebe eine Möglichkeit, Europas Luftraum komplett gegen feindliche Drohnen abzuschirmen.
Zu den Skeptikern gehört auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. „Ich bin vorsichtig bei Schnellschüssen“, sagte er. Von einem „Iron Dome“ wie in Israel oder einem „Drohnen-Wall“ sei Europa noch weit entfernt.
Lücke im Wall
Auch Daniel Hegedüs vom German Marshall Fund of the United States (GMF) ist beim Begriff „Drohnen-Wall“ vorsichtig. Er bestreitet nicht, dass die europäischen Länder so schnell wie möglich Fähigkeiten zur Abwehr von Drohnen entwickeln und erwerben müssen.
Aber es sei fraglich, „ob ein riesiges paneuropäisches Programm wirklich der effizienteste Weg ist“, wie es sich die EU-Kommission und einige Mitgliedstaaten möglicherweise vorstellen. Es gebe „keine undurchdringlichen Verteidigungsanlagen“, sagte Hegedüs der Deutschen Welle.
GMF-Experte Hegedüs (Archivbild): „Wirklich der effizienteste Weg?“Bild: DW
Der Experte hat auch die immensen Kosten für einen Drohnen-Wall im Blick, der frühestens in ein bis zwei Jahren einsatzbereit sein würde. Er schlägt vor, der Führung in Moskau klar zu machen, dass sich aus reiner Kosten-Nutzen-Sicht hybride Angriffe für Russland nicht lohnen – und zwar durch „Schritte, die Russland sofort teuer zu stehen kommen“.
Hegedüs fordert, die europäischen Länder sollten auf Russlands hybriden Krieg gegen Europa anders reagieren: Und zwar mit der Lieferung von Langstreckenwaffen an die Ukraine, die dann Russland schwere Schläge auch tief im Landesinneren versetzen könnte.
Nadelöhr Öresund
Der German-Marshall-Fund-Mitarbeiter sieht noch einen weiteren Hebel: Russlands Öl-Exporte über die Ostsee. Dänemark und Schweden könnten mit EU-Hilfe den Öresund und andere Meerengen strikter überwachen, die die östliche Ostsee via Kattegat mit der Nordsee verbinden. Diese Strecke zum Atlantik nutzt Russland derzeit für etwa ein Drittel seiner Rohölexporte auf dem Seeweg.
Geheimdienstchef Ahrenkiel: „Mehrere Vorfälle in den dänischen Meerengen“Bild: Sebastian Elias Uth/Ritzau Scanpix/IMAGO
Auch auf dieser Wasserstraße nehmen die Zwischenfälle offenbar zu. Das zeigt eine aktuelle Bedrohungsbewertung des dänischen Auslandsnachrichtendienstes FE. „Wir haben mehrere Vorfälle in den dänischen Meerengen beobachtet, bei denen dänische Luftwaffenhubschrauber und Marineschiffe von Radargeräten russischer Kriegsschiffe erfasst oder direkt Waffen auf sie gerichtet wurden“, sagte am Freitag Geheimdienstdirektor Thomas Ahrenkiel auf einer Pressekonferenz in Kopenhagen.
Zudem steht ein Tanker unter Verdacht, in die Drohneneinsätze über dänischem Gebiet verwickelt zu sein, der mutmaßlich zur „russischen Schattenflotte“ gehört. Mit solchen Schiffen unter fremder Flagge versucht Russland heimlich Öl über die Ostsee zu exportieren.
Die „Boracay“ war zwischen dem 22. und 25. September vor der Küste Dänemarks unterwegs, als dort der Luftraum aufgrund von Drohnenalarm gesperrt werden musste. Der Tanker wurde diese Woche deshalb an der französischen Atlantikküste zwischenzeitlich von Frankreichs Militär gestoppt und die Besatzung verhört.
Verdächtiger Tanker „Boracay“ (am Mittwoch vor Saint-Nazaire): Teil von Russlands „Schattenflotte“?Bild: Damien Meyer/AFP/Getty Images
Am Freitag schlug Schweden ein Gesetz vor, um die Sicherheit auf der Ostsee zu erhöhen. Das skandinavische Land, EU- und seit kurzem NATO-Mitglied, will damit die Befugnisse der Küstenwache zur Überwachung des Seeverkehrs erweitern.
Ukraine hält den Schlüssel in der Hand
Größte Expertise im Kampf gegen feindliche Drohnen hat derzeit die von Russland seit Jahren angegriffene Ukraine. Nach einem Treffen mit EU-Spitzenpolitikern beim Gipfel in Kopenhagen erklärte der ukrainische Präsident seine Bereitschaft, sich an einem europäischen Schutzschild zu beteiligen. „Die Ukraine kann wirklich helfen“, sagte Wolodymyr Selenskyj. „Kein Land in Europa hat mehr Erfahrung als die Ukraine in der Abwehr von Drohnen und Raketen.“
Gesprächspartner Frederiksen und Selenskyj (am Donnerstag): „Die Ukraine kann wirklich helfen“Bild: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix/AFP/Getty Images
Aus Sicht von Daniel Hegedüs vom German Marshall Fund wäre dies der gangbarste Weg für Europa: „Das beste Szenario wäre, wenn die Ukraine ihre Exportkontrollen aufheben würde – zumindest im Falle der EU-Mitgliedstaaten.“ Damit die ukrainischen Fähigkeiten so schnell wie möglich gekauft, übernommen und umgesetzt werden können.
Allerdings fürchtet Hegedüs, dass sich die EU-Mitgliedsstaaten in dieser Sache in ewigen Diskussionen verlieren, „ohne die Initiative tatsächlich zu starten, an der Umsetzung zu arbeiten und ihre Kapazitäten auszubauen“. Auf die Frage, was die Europäer in dieser Hinsicht von der Ukraine lernen können, antwortete Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen mit einem Wort: „alles“.
Adaptiert aus dem Englischen von Arnd Riekmann