1. Startseite
  2. Kultur
  3. Gesellschaft

DruckenTeilen

Die Autorin sitzt im rot bezogenen Parkett des Urania, lehnt sich ernst auf die Rückenlehne vor ihr und schaut in die Kamera.Sironic beim Shortlist-Abend in Berlin. Am Sonntag ist die Frankfurter Ausgabe. © Annette Riedl/dpa

Fiona Sironics Debütroman trägt den längsten Titel auf der Buchpreis-Shortlist. Und erzählt von einer instabilen Zukunft.

Wie es nach unseren Tagen weitergehen könnte, übernächstes Jahr, in zehn Jahren, wird hier recht plastisch. Fiona Sironics Debütroman „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“ ist ein schmales Buch von hoher Zeitgenossenschaft und mit plausiblen Anteilen von Zukunft. Und mit Kunstwillen. Das fängt beim hinreißenden Titel an, der zugleich der erste Satz der Geschichte ist. Und einen offensichtlich markanten Vorgang schildert.

Die Mädchen, die am Samstag in den Wald gehen und Sachen in die Luft jagen – Explosionen, die sie aufnehmen und posten –, sind selbst Töchter von zwei Müttern der Generation Internet. Man merkt nicht direkt, dass die Geschichte in der (unangenehm nahen) Zukunft spielt, aber tatsächlich sind die Jugendlichen im Roman bereits die, die einst (heute) als Babys von ihren Influencerinnen-Müttern zu unfreiwilligem Ruhm getragen wurden. Jetzt sind Maja und Merle selbst online aktiv, verpixeln aber ihre Gesichter, tragen Kapuzen, konzentrieren sich darauf, mit möglichst viel Aufmerksamkeit in Vergessenheit zu geraten.

Das Buch

Fiona Sironic: Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft. Roman. Ecco 2025. 208 S., 23 Euro.

Ein Kuriosum also, aber das einzige Mittel, das ihnen eingefallen ist. Löschen, löschen, löschen und zwischendurch möglichst viel Hardware sprengen.

Die Menschheit dagegen ist längst damit befasst, dass das Internet zwar theoretisch nicht vergisst, praktisch aber Online-Archive hohe technische Ansprüche stellen und schlechtere Voraussetzungen haben als die herkömmliche British Library und ihre Papierbestände. Nicht nur an dieser Stelle begegnen sich der Wunsch nach dem großen Vergessen und der Wunsch, nicht das Gedächtnis zu verlieren. Eine Art planbares Vergessen also, zweischneidig, aber darüber grübeln die Mädchen im Buch nicht weiter nach.

„Anything not saved will be lost“, was nicht gerettet wird, geht verloren, so die lakonische und doch imposante Devise des Romans. Freilich geht es dabei ursprünglich schlicht um Datensicherung. Nintendo-Konsolen warnen damit Unachtsame beim Verlassen eines Spiels.

Daten und Feuer löschen

Sironic, 1995 in Neuss geboren, hat Kreatives Schreiben in Hildesheim und Sprachkunst in Wien studiert. Sie ist insofern mit allen Wassern gewaschen und ihr Buch sorgsam gebaut. Während Maja und Merle ihr spielerisches, vergebliches, jedoch rebellisches Zerstörungswerk vorantreiben, geht die Welt um sie herum auch ohne ihr Zutun zugrunde.

Der reale und der virtuelle Raum treffen sich dabei in der Ich-Erzählerin. Era ist 15, mit ihrer Mutter – beruflich mit dem „Early Internet“ befasst – lebt sie in einem Häuschen im Wald. Maja und Merle kennt auch sie selbstverständlich aus dem Netz. Nun sieht sie die beiden am Samstag in den Wald gehen und Sachen in die Luft jagen. Obwohl gestreamt wird, als gäbe es kein Morgen, sind das theaterhafte Szenen: Das „Echte“ liegt nicht in der naturalistischen Bebilderung, sondern in der Lebendigkeit der Figuren.

Era beobachtet die Natur und dokumentiert ihr Sterben mit Akribie. Dabei zeigt sich, dass der Generation, die täglich den Momfluencerinnen zugeschaut hat, die Klimakatastrophe aus dem Blick geraten ist. Jetzt stirbt ein Vogel nach dem anderen aus und im Sommer brennen die Wälder.

„Es ist aber Frühling, als wir plötzlich die Sirenen hören: In den Nachrichten, die Mama im Stream laufen lässt, wenn wir frühstücken, und im Nachhall, bzw. in der Außenwelt. Wir schauen uns an und die Dinkelflocken bleiben uns beiden im Hals stecken.“ Mutter und Tochter bleibt nur die Flucht, das Häuschen ist verloren. Die Mutter schnappt sich ihren Laptop. Dinkelflocke und Weltenbrand, da lauert die Ironie, bleibt aber im Versteck.

Während die Turteltauben ausgestorben sind, hat die Liebe ihr Gewicht in diesem Buch über Jugendliche, bei dem sich auch an ein sehr junges Lesepublikum denken lässt. Era und Maja, die nicht ewig nur im Wald die Sprengkraft ihrer Aktionen testen will, werden vorläufig ein Paar. Der Roman indes entwickelt einen Thriller-Strang, findet aber nicht zu einem knalligen Ende.

Es ist sympathisch, aber mit Blick auf die Wucht des Bücherherbstes auch luxuriös, dass „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“ auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis gelangt ist.