Eigentlich könnte Manfred Brodt sich zurücklehnen, sich eine Zigarillo anstecken und den Ausblick genießen. Den Job des Lokalreporters hat er schließlich 2018 an den Nagel gehängt. Doch an das süße Rentnerleben zwischen Cappuccino und Butterkuchen will er sich bis heute nicht so recht gewöhnen. Also schreibt und recherchiert der langjährige Redaktionsleiter des Achimer Kreisblatts einfach weiter. In seiner jüngsten Veröffentlichung „Das Ende des Schreckens“ beschreibt er das Ende des Zweiten Weltkrieges im Landkreis Verden.
Die Zeit des Nationalsozialismus, der Weg ins Dunkel und der Weg hinaus beschäftigen den Achimer schon seit Jugendtagen. „Bis zur zehnten Klasse war ich ein fauler Hund“, erinnert er sich. Die im Unterricht behandelten Bücher las er in der Regel nicht. Das änderte sich, als er ein Buch des Schweizer Historikers Walther Hofer in die Finger bekam. Der junge Manfred erfuhr so, wie viele der Gräueltaten Adolf Hitler in seiner Schrift „Mein Kampf“ angekündigt hatte. „Das hat mich überrascht und entsetzt“, sagt Brodt. „Seitdem bewegt mich das Thema geistig und emotional.“ Diese Faszination habe nie nachgelassen.
Im Studium befasste Brodt sich mit der Frage, wie es zur Nazi-Diktatur kommen konnte. Der eine erinnerte an den Frieden von Versailles, der andere an die Weltwirtschaftskrise in den 20er-Jahren. Der nächste Dozent sah die über Zeitung und Rundfunk gesteuerte Massenpsychologie als entscheidenden Faktor, der übernächste verwies auf den tief verwurzelten Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft. „An jeder Theorie ist was dran“, sagt Brodt, doch zufrieden mit diesen Ansätzen war der junge Student damals nicht.
Auch als Journalist lässt ihn die deutsche Geschichte nicht los. Immer durchforstet er die Zeitungsarchive. „Ich habe in alten Ausgaben geblättert und wollte wissen, was die getrieben haben“, erzählt er. „Die“ sind jene, die während des Nationalsozialismus etwas zu sagen hatten, aber nicht in Nürnberg auf der Anklagebank saßen. Der Lokalreporter betrachtet seine historische Aufarbeitung zunehmend durch die lokale Brille. „Grabe, wo du stehst.“ Das Motto der Geschichtswerkstätten wird auch zum Grundsatz von Manfred Brodts Nachforschungen. Die lokalen Bezüge, so seine Hoffnung, machen Geschichte greifbar und somit verständlicher. „Ich glaube, es ist wichtig, dass die Leute erfahren, was bei ihnen vor Ort passiert ist“, sagt Brodt. „Sie merken, dass sie selbst damit etwas zu tun haben.“
Beispiele, die den Schrecken des Krieges und der Nazidiktatur ganz nah an die Menschen bringen, gibt es in Brodts Buch zu Genüge. So erzählt der Autor von zwei jungen Burschen, die kurz vor Kriegsende einen Offizier erschossen, statt seinem Befehl, den Ortseingang Baden „bis zum letzten Blutstropfen“ gegen die vorrückenden britischen Truppen zu verteidigen, zu folgen. Drei verschiedene Leute hätten ihm diese Geschichte erzählt – inklusive des Hinweises, in welchem Garten die Leiche vergraben worden sei. Offenbarend ist auch die Schilderung eines Trecks von KZ-Häftlingen durch Achim. Die Gefangenen sind nach Brodts Recherchen täglich von Uphusen zur Zwangsarbeit nach Uesen geschickt worden.
Besonderes Augenmerk hat Brodt bei seinem jüngsten Werk auf Bilder gelegt. Der Autor hofft, mit den historischen Fotos eine emotionale Reaktion beim Publikum zu erreichen. So zeigt eine Schwarz-Weiß-Aufnahme die vertraute Fassade des Altbaus des heutigen Gymnasiums am Markt. Am Zaun und über dem Eingang hängen Plakate, die Adolf Hitler rühmen. Wo heute Kinder und Jugendliche unterrichtet werden, bildeten die Nazis in den letzten Kriegsmonaten den „Volkssturm“ aus, um jeden irgendwie einsatzfähigen Mann gegen den Vormarsch der Alliierten an der Waffe auszubilden. Nicht minder beeindruckend ist das Bild eines Appells vor der heutigen Paulsbergschule, in der damals ein Arbeitsdienstlager eingerichtet war.
Es ist Manfred Brodt ein Anliegen, die Ereignisse vor 80 Jahren den Menschen näherzubringen. Vor allem die Jugend, die anders als er nie die Chance hatte, mit Zeitzeugen zu sprechen, möchte er aufklären. „Die jungen Leute haben ja keine Ahnung“, sagt er. „Das ist, als ob man mir früher etwas von Napoleon erzählt hätte.“
Das Erinnern ist für den Autor dabei kein Selbstzweck, sondern Ausdruck echter Sorge. Eine Wiederholung der Geschichte möchte Manfred Brodt 2025 nicht ausschließen. Er sieht durchaus Ähnlichkeiten zwischen den Verhältnissen der Weimarer Republik und jetzt – eine zunehmend schwierige Wirtschaftslage und eine aufkommende Fremdenfeindlichkeit. „Wir sind gegen solche Gefahren nicht gefeit“, warnt Brodt.
„Das Ende des Schreckens. Zweiter Weltkrieg und NS-Diktatur im Landkreis Verden“ von Manfred Brodt ist im Buchhandel erhältlich und kostet 19,90 Euro.