Die Stellenausschreibung für den sogenannten Bayernjäger mag für Medien und Zuschauer viel beachtet sein, aber als am Samstagnachmittag die Trainer der beiden aktuellsten Bewerber, Niko Kovac und Ole Werner, zur Pressekonferenz zusammensaßen, gab es nichts als unaufgeregten Realismus. „Wenn du nicht gewinnen kannst“, zitierte Kovac den berühmten früheren Kollegen Giovanni Trapattoni, „dann darfst du nicht verlieren.“ Und so ging das Duell der vermeintlichen Verfolger Borussia Dortmund und RB Leipzig wenig überraschend 1:1 aus.

Das Spiel hatte schnell einen Akzent bekommen, denn schon nach sieben Minuten enttarnte Leipzigs Christoph Baumgartner nach einer Freistoßvariante die zuletzt viel besungene neue Stabilität der Dortmunder Defensive. Aber es entwickelte sich kein druckvolles Spiel der Borussen, und kein entschiedenes Konterspiel der Leipziger Gäste. Mit viel Kraftaufwand belauerten sich anschließend zwei weitgehend disziplinierte Teams. „Leipzig ist eine starke Mannschaft“, fasste Kovac zusammen, „wir haben eine gewisse Müdigkeit aus dem kräfteraubenden Champions League-Spiel gegen Bilbao gespürt. Da willst du nicht zu viele Risiken gehen.“ So blieb es bei Yan Coutos noch stark abgefälschtem Ausgleichstreffer nach 23 Minuten.

Beide Trainer hatten vorher alles darangesetzt, die Risiken zu minimieren. Und so wechselten sich kurze Spielabschnitte mit Torchancen und langen Phasen des gegenseitigen Blockierens ab. „Abnutzungskampf“ nannte Kovac das, und RB-Kollege Werner stimmte zu: „Irgendwie ist das Ergebnis gerecht, wenn wir auch lieber zwei Punkte mehr mitgenommen hätten.“

Die Sorge der Dosierung nach Champions-League-Wochen hat Werner derzeit zwar nicht, und vielleicht wirkte seine Mannschaft auch deshalb robuster und frischer als die des BVB. Erst in der Schlussphase wollten beide Trainer und beide Teams noch einmal etwas intensiver probieren, ob nicht doch ein zweites Tor möglich wäre. Aber es fehlte Baumgartner, Ramy Bensebaini, und den beiden spät eingewechselten Julian Brandt und Fabio Silva die Präzision, um noch einen späten Glückstreffer zu setzen.

Schlotterbeck ist nach seiner Verletzung schon wieder bester Borusse

Nico Schlotterbeck, der nach monatelanger Verletzungspause gerade erst seit drei Wochen wieder einsatzfähig ist, steigerte sich im Spiel zum besten Borussen und nahm Leipzigs Brasilianer Romulo weitgehend aus der Partie. Er war nachher zugleich so zufrieden und unzufrieden wie beide Trainer: „Wir sind immer noch ungeschlagen, und ein Punkt gegen Leipzig ist nicht schlecht. Aber es ist nicht das, was wir uns vorgenommen hatten.“ Schlotterbeck ließ erkennen, dass man sehr wohl auf den FC Bayern schielt: „Wir hätten zwischendurch Tabellenführer werden können. Das wäre eine schöne Belohnung gewesen.“ Torschütze Baumgartner schloss sich an: „Mein Gefühl sagt, dass wir dem Sieg ein Quäntchen näher waren, aber am Ende ist es okay, in Dortmund einen Punkt zu machen.“

Dortmund muss direkt nach der Länderspielpause bei den Münchnern antreten. Spätestens dann wird sich entscheiden, was von der langen Serie ohne Niederlagen zu halten ist, die saisonübergreifend schon 19 Spiele andauert, vom 2:3 bei der Klub-WM gegen Real Madrid einmal abgesehen. Leipzig hatte in München vor einigen Wochen eine 0:6-Abreibung bekommen, hat sich aber seither enorm verbessert.

BVB-Stürmer Guirassy zeigt schon Anzeichen von Überspieltheit – am sechsten Spieltag

Die Dortmunder Offensive tat sich jedenfalls bis auf wenige, kurze Spielabschnitte schwer. Kovac rotierte erneut stark wie schon gegen Bilbao, und beim Startelfpuzzle legte er dieses Mal eher Wert auf die Vorsicht. Seine spielerisch ideenreichsten Akteure, Julian Brandt und Pascal Groß, ließ er lang draußen. Und so fiel auf, dass Felix Nmecha, Marcel Sabitzer oder auch Maximilian Beier selten Akzente setzen konnten, die den flexibel gleitenden Abwehrverband von Werners Mannschaft in Verlegenheit gebracht hätten. Die Balance will Kovac augenscheinlich nicht zugunsten der Offensive verlagern.

Der sonst oft als Alleinunterhalter fungierende Serhou Guirassy fiel erneut kaum auf. Kovac entschuldigte seinen offenbar überlasteten Torjäger mit dessen Überspieltheit beim BVB, in der Nationalmannschaft und dessen nicht auskurierten Oberschenkel-Blessur. Aber etwas Besseres als den sichtlich stumpfen Guirassy konnte er nicht aufbieten. „Ich bin mit Serhou immer zufrieden“, sagte Kovac schmunzelnd. Wenn Guirassy allerdings im Zentrum keine besonderen Knalleffekte entwickeln kann, erweist sich der Rest der Offensive schnell als zu wenig zwingend. Jedenfalls gegen das Niveau von Leipzig.

Beiden Stellenbewerbern um die Bayernjägerschaft waren Disziplin, Kampfkraft, Organisation nicht abzusprechen. Aber beide offenbarten auch, dass sie derzeit nicht die Strahlkraft haben, wirklich jedes Spiel zu gewinnen – wie es bei den Münchnern mit großer Selbstverständlichkeit der Fall ist. Kovac gab seiner Mannschaft erst einmal frei, und auch für das kommende Wochenende wird der bei Dortmund verbliebene Rest eine Art Kurzurlaub einlegen. 13 Spieler sind mit ihren Nationalmannschaften unterwegs, drei Profis sind körperlich zu angeschlagen, um ernsthaft zu trainieren (Emre Can, Julien Duranville, Aarón Anselmino). „Am liebsten wäre mir“, scherzte Kovac nachher, „wenn alle mal eine Pause hätten und den Kopf frei bekämen.“ Dabei sind gerade einmal sechs Bundesliga-Spieltage passé.