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Ex-Kanzlerin Merkel spricht über das Scheitern der Diplomatie mit Putin und wen sie dafür verantwortlich macht. Ein Interview mit Sprengkraft.
Budapest – In einem kontroversen Interview hat Angela Merkel (CDU) Polen und den baltischen Staaten eine Mitverantwortung für den Ukraine-Krieg zugeschrieben. Die ehemalige Bundeskanzlerin behauptet, diese Länder hätten 2021 eine direkte Diplomatie zwischen der Europäischen Union (EU) und Russlands Präsidenten Wladimir Putin verhindert. Das sagte die Altkanzlerin in einem Interview mit dem ungarischen Online Medium Partizan.
Altkanzlerin Angela Merkel, hier bei einer Veranstaltung in Augsburg im August 2025, hat in Ungarn ein brisantes Interview gegeben. © dpa
In dem Gespräch, das als Video auf Youtube veröffentlicht wurde, entwickelt Merkel eine eigenwillige Interpretation der Ereignisse, die im Februar 2022 zum Ausbruch des Ukraine-Kriegs geführt haben sollen. Die Altkanzlerin erzählt, wie sie 2021 ein neues diplomatisches Format angestrebt habe, um „mit Putin direkt als Europäische Union“ zu sprechen. Doch dieser Plan sei gescheitert: „Das wurde von einigen nicht unterstützt. Das waren vor allem die baltischen Staaten, aber auch Polen war dagegen“, so die Ex-Kanzlerin.
Angela Merkel begründet Ukraine-Krieg mit Polens Angst vor Putin
Die betroffenen Länder hätten „Angst“ gehabt, dass man innerhalb des Staatenbündnis „keine gemeinsame Politik gegenüber Russland“ habe. Im Anschluss zieht Merkel selbst eine direkte Linie vom Scheitern der Initiative hin zu Putins Angriff auf die Ukraine. „Auf jeden Fall ist es nicht zustande gekommen. Dann bin ich aus dem Amt geschieden, und dann hat die Aggression Putins begonnen“, so Merkel.
Gleichzeitig verteidigte sich Merkel im Interview mit dem ungarischen Format gegen Kritik, ihre Politik in den Jahren vor 2015 habe Putins Position gefestigt. Das von ihr ausgehandelte Minsker Abkommen, das 2015 unterzeichnet worden war, habe eine „Beruhigung herbeigeführt“ und der Ukraine eine Chance geboten. Erst im Juni 2021 habe sie gespürt, „dass das Minsk-Abkommen von Putin nicht mehr ernst genommen wird“.
Merkel stellt Verbindung zwischen Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg her
Besonders überraschend ist aber eine andere Theorie, die Merkel zum Beginn des Ukraine-Kriegs zum Besten gibt. Laut der langjährigen Kanzlerin und CDU-Chefin war es die Corona-Pandemie, die entscheidenden Anteil an der russischen Invasion in der Ukraine gehabt habe. Putin habe aus Angst vor dem Virus keine Gespräche mehr führen wollen. „Wir konnten uns nicht mehr treffen“, zitiert die Bild-Zeitung aus dem Interview mit Merkel. Ihre Schlussfolgerung: „Wenn man sich nicht treffen kann, wenn man nicht Auge in Auge die Meinungsverschiedenheiten austauschen kann, dann findet man auch keine neuen Kompromisse.“ Videokonferenzen hätten da nicht ausgereicht. Corona sei deshalb der „Hauptgrund“ für den Ausbruch des Ukraine-Kriegs.
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Wie auch die Bild in ihrem Bericht bemerkt, geht Merkel in ihrer Erklärung über einen gewichtigen Aspekt in der Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs hinweg. Trotz Minsker Abkommen und entgegen Merkels Behauptung der Entspannung zwischen 2015 und 2022 starben bei Kämpfen mit von Russland unterstützten Partisanen, getarnten Soldaten oder vom Kreml bezahlten Söldnern in diesem Zeitraum mutmaßlich mehr als 5.000 ukrainische Soldaten im Osten des Landes. Bereits im Februar 2014 hatte Putin zudem die Krim-Halbinsel besetzen lassen. Ab Frühjahr 2021 bereitete Russlands Machthaber die Vollinvasion gegen die Ukraine vor.
Die brisanten Aussagen der Ex-Kanzlerin dürften besonders in Polen und den baltischen Staaten für Empörung sorgen. Diese Länder, die jahrzehntelang unter sowjetischer Herrschaft standen, hatten stets vor einer zu nachgiebigen Haltung gegenüber Putin gewarnt. Genau dafür aber stand aus Sicht der Länder an der Ostgrenze der EU Jahre lang Merkel und ihre Koalitionen. (Verwendete Quellen: Partizan, Bild, Tass) (dil)