Der tschechische Wahlsieger versprach mehr Geld für die Tschechen statt für Kiew. Er will auch die für die Ukraine bedeutende Munitionsinitiative beenden, die Prag internationales Prestige verliehen hat. Allerdings profitiert Tschechien davon auch finanziell.

Babis verlässt die Prager Burg, wo er mit Präsident Pavel zusammentraf. Pavels Munitionsinitiative ist ein Pfeiler der tschechischen Ukraine-Politik. Babis verlässt die Prager Burg, wo er mit Präsident Pavel zusammentraf. Pavels Munitionsinitiative ist ein Pfeiler der tschechischen Ukraine-Politik.

Martin Divisek / EPA

Der scheidende Regierungschef Petr Fiala hat die Wahl in Tschechien stets als Entscheidung darüber dargestellt, ob das Land im Westen verankert bleibe oder sich stärker dem Osten zuwenden werde. Gemeint war damit vor allem die Ukraine-Politik, in der die EU mit Fiala einen verlässlichen Partner hatte. Nun hat die Bevölkerung entschieden, und die explizit kremlfreundlichen Kräfte schnitten schlecht ab: Die rechtsextreme SPD blieb mit knapp 8 Prozent der Stimmen deutlich unter den Erwartungen. Das von den einstigen Kommunisten angeführte Linksbündnis Stacilo verfehlte sogar den Einzug ins Parlament.

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Dagegen errang der frühere Regierungschef Andrej Babis mit seiner Partei ANO einen fulminanten Wahlsieg und hat beste Chancen auf eine Rückkehr an die Macht. Aussenpolitisch ist er schwer fassbar. Der Populist ist vor allem aus innenpolitischen Gründen ein vehementer EU-Kritiker, und seit vergangenem Jahr gehört seine Partei im europäischen Parlament der Rechtsaussen-Fraktion von Viktor Orban und Marine Le Pen an. Seine erste Amtszeit von 2017 bis 2021 war auch von Konflikten mit Brüssel geprägt, jedoch vor allem wegen Babis’ Interessenkonflikt als Eigentümer des tschechischen Mischkonzerns Agrofert, der auch einer der grössten Empfänger von EU-Subventionen ist.

Mehr Geld für den Sozialstaat statt für die Verteidigung

Der wahrscheinliche neue Ministerpräsident betonte jedoch noch an seiner Wahlparty, er sei «pro EU und pro Nato». Für eine Parlamentsmehrheit wird er zwar die Unterstützung der SPD brauchen, deren Chef Tomio Okamura aus beiden Bündnissen austreten will. Allerdings hielt auch Staatspräsident Petr Pavel stets fest, keine Minister vereidigen zu wollen, die diese Mitgliedschaften infrage stellen.

In der Ukraine-Politik dürfte es dennoch zu einem Kurswechsel Prags kommen. Unter dem Motto «Tschechien zuerst» kritisierte Babis im Wahlkampf, die Regierung Fiala unterstütze Kiew stärker als die eigene Bevölkerung, die unter hoher Inflation und dem Sparkurs leide. Er lehnt deshalb die von der Nato beschlossene Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 5 Prozent der Wirtschaftsleistung ab. Das Geld werde für den Sozialstaat gebraucht, erklärte Babis im Sommer der «Financial Times». Auch weitere staatliche Waffenlieferungen an die Ukraine schloss er aus und kündigte an, die von Pavel initiierte Munitionsinitiative stoppen zu wollen.

Unter Fiala gehörte Tschechien zu den aktivsten europäischen Unterstützern der Ukraine. Nach dem Grossangriff Russlands im Februar 2022 lieferte Prag aus den eigenen Beständen Dutzende von Panzern und gepanzerten Fahrzeugen sowie mehrere Flugabwehrsysteme und Helikopter an das überfallene Land. Zudem boomt seither die traditionsreiche tschechische Rüstungsindustrie. Im vergangenen Jahr exportierte das Land für umgerechnet rund 3,5 Milliarden Franken militärische Güter, eine Zunahme von 86 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Laut Schätzungen gehen rund 80 Prozent dieser Exporte direkt oder indirekt an die Ukraine.

Während die staatlichen Lager praktisch geleert sind, ist dieses Wachstum für Tschechien bedeutend, zumal mit der Automobilindustrie der Motor der Wirtschaft schwächelt. Babis wird den Waffenschmieden deshalb für private Geschäfte keine Steine in den Weg legen – wie es übrigens auch Ministerpräsident Robert Fico in der Slowakei nicht tut, der vor seiner Rückkehr an die Macht vor zwei Jahren ebenfalls angekündigt hatte, keine Rüstungsgüter mehr an die Ukraine liefern zu wollen.

Die tschechische Waffenindustrie ist auch ein Schlüsselfaktor für die Anfang 2024 lancierte Munitionsinitiative. Die Unternehmen nutzen ihre seit langem bestehenden Kontakte, um auf dem Weltmarkt Artilleriegranaten ausfindig zu machen und zu kaufen. Der ehemalige Nato-General Pavel und die Regierung trugen dafür in Partnerländern das Geld zusammen, das massgeblich aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden kam.

Laut Aussenminister Jan Lipavsky wurden bisher insgesamt 3,5 Millionen Stück Grosskalibermunition geliefert, was das Kräfteverhältnis zugunsten der Ukraine verschoben habe. Das Land hatte davor unter einem Munitionsmangel gelitten. Präsident Wolodimir Selenski äusserte sich ähnlich und dankte Prag im August explizit. Viele Leben seien dadurch gerettet worden, schrieb er auf X.

Kann die Nato die Munitionsinitiative übernehmen?

Obwohl die Initiative internationalen Beifall brachte, versprach Babis im Wahlkampf, sie zu beenden. Sie sei undurchsichtig und überteuert, behauptete er. Allerdings ist Tschechiens eigener finanzieller Beitrag vergleichsweise gering, während das Land selber profitiert: Fünf tschechische Rüstungsfirmen erhalten als Intermediäre Provisionen für Beschaffung, Aufbereitung und Transport der Artilleriegranaten. Zudem wird auch in Tschechien Munition gekauft.

Am Montag strich Pavel geschickt diesen Aspekt heraus. «Wir würden uns in erster Linie selbst schaden, wenn wir diese Unterstützung beenden», erklärte der Präsident. Er nehme an, Babis und auch die anderen Parteien hätten vor allem die Interessen Tschechiens und seiner Partner wie der Ukraine im Blick.

Der ANO-Chef hatte vorgeschlagen, die Nato könnte die Initiative übernehmen. Theoretisch ist das denkbar, aber Experten sehen darin erhebliche Nachteile. Tschechien richtete im Verteidigungsministerium eine Agentur für die Abwicklung der Munitionslieferungen ein, die mittlerweile viel Erfahrung hat und etwa die Genehmigungsprozesse massiv beschleunigte. Zudem ist Tschechien für viele Länder ein rechtlich oder politisch einfacherer Abnehmer als die Ukraine selbst.

Ob Babis sich von diesen Argumenten überzeugen lässt, ist offen. Im Wahlkampf wies er die Vorwürfe, prorussisch zu sein, immer empört von sich. Experten glauben deshalb eher nicht an ein Ende der Munitionsinitiative, aber dafür engagieren werde Babis sich auch nicht.