Wagner überzeugte als schlagfertiger TV-Experte. Doch der Alltag im Bundesligaklub FC Augsburg gestaltet sich weit weniger glamourös – jetzt muss er seine Kompetenzen als Coach unter Beweis stellen.
Ein Dressman, der Eindruck macht: der Augsburg-Trainer Sandro Wagner.
Philipp Szyza / Imago
Vermutlich ist jedem jener Typus Mensch bekannt, bei dem sich die Frage stellt, aus welcher Quelle er das scheinbar unerschütterliche Selbstbewusstsein schöpft. Sandro Wagner, der Trainer des FC Augsburg, fällt auf den ersten Blick nicht in diese Kategorie. Schliesslich ist Wagner ein stattlicher Mann: 1,94 Meter gross, tadellos frisiert, ebenso gekleidet – eine Erscheinung, die man in früheren Zeiten, als Versandhauskataloge noch per Post übermittelt wurden, einen Dressman genannt hätte.
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Ohne Zweifel, Sandro Wagner ist ein Mann, der Eindruck macht. Ausserdem einer, der sich viel zutraut. Seine Tätigkeit als Assistent von Julian Nagelsmann in der deutschen Nationalmannschaft gab er auf, um eine Stelle im FC Augsburg anzutreten – eine höchst interessante Entscheidung, denn Wagner ist mit seinen 37 Jahren alles andere als ein routinierter Coach. Er verzichtete damit auf die Möglichkeit einer WM-Teilnahme, und manche meinen, in seiner Entscheidung spiegle sich auch eine Skepsis hinsichtlich der deutschen Aussichten im WM-Turnier.
Als ob da der junge José Mourinho redete
Die Erwartungen an den Trainer Wagner waren in Augsburg gewaltig. Sport1 etwa kommentierte: «Was sich schon jetzt sagen lässt: Mit Sandro Wagner haben die Augsburger ihr Image als ‹graue Maus› abgelegt. Plötzlich herrscht bundesweite Aufmerksamkeit für den hochspannenden Trainer, dem alle Türen offen stehen.»
Gerade einmal fünf Wochen ist diese Prognose alt, und man tritt dem Verfasser kaum zu nahe, wenn man sagt, dass sie schnell Patina angesetzt hat. Denn welche Türen Wagner nach wie vor offen stehen, ist fraglich nach einer Serie von Niederlagen, die den Match gegen Wolfsburg vom vergangenen Wochenende (3:1) zu einem ausgesprochen heiklen werden liess. Dass er den zweiten Sieg im sechsten Saisonspiel (bei vier Niederlagen) als Ereignis darstellte, fügt sich passgenau zu Wagners Auftreten: Wer ihm zuhört, der könnte meinen, da rede der junge José Mourinho.
Für Schlagzeilen sorgt Wagner vor allem durch die Art und Weise, wie er sich den Medien stellt. Gerne bescheidet er Fragenden, dass sie die Dinge gerne so sehen könnten, wie sie wollten, er allerdings eine andere Auffassung vertrete. Diese kann durchaus originell sein. Nach der Niederlage gegen den Rekordmeister Bayern München sagte er gegenüber Reportern: «Ich sehe nicht, dass wir weniger Qualität haben als die Bayern. Sehen Sie das vielleicht so. Ich sehe uns auf keiner Position im ganzen Verein von der Qualität her schlechter aufgestellt.»
Manchmal kommen Trainer auf kuriose Art zu prominenten Jobs. Thomas Tuchel, der englische Nationalcoach, wurde Cheftrainer bei Mainz 05, weil der Aufstiegstrainer Jörn Andersen wegen einer fehlenden Lizenz noch vor der Saison entlassen wurde. Zuvor hatte Tuchel die Jugend der Mainzer trainiert. Hansi Flick, Trainer des FC Barcelona, schien lange Zeit als ewiger Assistent prädestiniert zu sein, ehe er bei den Bayern die Gelegenheit ergriff und sich innert weniger Monate einen Ruf als Spitzentrainer erarbeitete.
Wagner versteht es, aus seinen rhetorischen Fähigkeiten zu schöpfen
Bei Sandro Wagner war es anders. Zwar hat er das Trainerdiplom an der deutschen Sporthochschule in Köln erworben und war in Unterhaching als Trainer tätig; Popularität aber gewann er in einer ganz anderen Rolle: als Fussballexperte im Fernsehen. Dort zeigte er, was er gut beherrscht: die freie Rede, die markigen Aussagen, die Fähigkeit, bei kontroversen Themen spontan zu bleiben.
Dies – und auch seine analytische Gabe – liess ihn zu einem Kandidaten für den Posten des Assistenztrainers im deutschen Nationalteam werden. Man kann durchaus ohne Unrecht behaupten: Sandro Wagner hat keine Ochsentour absolviert, sondern ist ein Produkt jenes Sprechadels, der auf diversen Kanälen über den Fussball diskutiert.
Nun ist Sprache im Fussball keineswegs zu unterschätzen. Manche Trainer kommunizieren auf eine stille Art, sie brauchen keine lauten Worte, um ihre Ideen zu vermitteln. Bei anderen, wie etwa Gerardo Seoane, fragt man sich, wie sie in der Kabine tatsächlich auftreten. Wieder andere hingegen sind regelrechte Sprachmächtige, Menschen wie Jürgen Klopp, der für jede Situation ein rhetorisches Passepartout findet. Wagner gehört zweifellos zu jenen, die aus ihren rhetorischen Möglichkeiten schöpfen können.
Dieses ausgeprägte Talent führte dazu, dass sich die deutsche Fussballgemeinde darauf verständigte, Wagner für den interessantesten Trainer im gegenwärtigen deutschen Fussball zu halten. Das ist insofern bemerkenswert, als seine Karriere als Trainer noch relativ jung ist. Man kann durchaus sagen, dass sie Wagner auf dem Silbertablett serviert wurde. Doch es gibt auch eine Person, die die Dinge anders sieht, und das ist – kaum verwunderlich – Sandro Wagner: «Ich konnte mich als Experte besser zeigen als zuvor als Spieler.»
Wer es gut meint mit Wagner, der mag ihm zugutehalten, dass er sich nicht anbiedert. Man bekommt nicht den Eindruck, dass er gefallsüchtig sei. Vielmehr erweckt er den Eindruck, er spreche genau das aus, was ihm gerade durch den Kopf geht. So hielt er seinen Berufsstand in seiner Zeit als Profifussballer für unterbezahlt: «Gemessen an all dem, was man aufgibt, finde ich, dass auch die bei Bayern zu wenig verdienen, selbst 12 Millionen oder so.» Die Begründung: Als Fussballer schenke man schliesslich seine Jugend her.
Geht es Wagner vor allem um sich selbst?
Eine solche Aussage erscheint auf den ersten Blick exzentrisch, sie muss auch nicht unbedingt karrierefördernd sein. Andererseits wirkt eine solche Direktheit im glatt gebügelten Profifussball der Gegenwart durchaus sympathisch. Der Haken an der Sache ist allerdings: Man wird den Eindruck nicht los, dass es dem Trainer Wagner weniger um seine Mannschaft geht als vielmehr um sich selbst.
Vor einigen Tagen kündigte er nach einer Niederlage an, dass er demnächst zu den Fans in die Kurve gehen werde, wenn die Mannschaft ein Spiel verliere. Das Team solle nur dann zum Publikum gehen, wenn es gewonnen habe.
Das klingt auf den ersten Blick nobel, doch abgesehen davon, dass Wagner sich auch dann in den Mittelpunkt drängt, wenn es schlecht läuft, ist eine solche Haltung pädagogisch zweifelhaft: Warum soll er seine Mannschaft den Fans nur dann präsentieren, wenn es gut läuft? Überzeugende Antworten auf solche Fragen muss der Trainer Wagner erst noch finden. Sonst könnte diese Karriere bereits vorbei sein, ehe sie richtig Fahrt aufgenommen hat.