In seinem Roman „Die Wohlgesinnten“ (2006) schildert der französisch-amerikanische Schriftsteller Jonathan Littell ein Gespräch zwischen dem Protagonisten der Erzählung, dem SS-Offizier Dr. Max Aue, und dem Komponisten Baron Berndt von Üxküll, der Aues Schwager ist. Es geht um Musik. Und Üxküll betont – die Unterhaltung findet im Jahr 1942 oder 1943 statt –, dass es für ihn lediglich zwei deutsche Komponisten von Rang gebe: Bach und Schönberg. Zweitgenanntem sehe er, Üxküll, sich künstlerisch verpflichtet. Nationalsozialistisch geschult widerspricht SS-Mann Aue umgehend; den geflüchteten Juden Schönberg könne man unmöglich in eine deutsche Tradition stellen. Darauf mischt sich die Ehefrau Üxkülls, Aues Schwester, in das Gespräch ein. Glücklicherweise sei ihr Mann Musiker und kein Schriftsteller, ansonsten wäre er heute „entweder mit Schönberg und den Manns in den Vereinigten Staaten oder in Sachsenhausen“.
Die literarische Anekdote ist fiktiv, doch zeugt sie von historischer Hellsichtigkeit. Was Littell, der für sein Buch in Frankreich mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, der Ehefrau Üxkülls in den Mund legt, lässt sich auf die Vertreterinnen und Vertreter der bildenden Künste während des Nationalsozialismus übertragen: Existenziell bedrohlich wurde es für sie nur, wenn sie in eine der wahnhaften Vernichtungskategorien der Nazis fielen oder sich aktiv gegen das System stellten.
Beispiele sind die jüdischen Maler Otto Freundlich und Felix Nussbaum, die 1943 beziehungsweise 1944 ermordet wurden, der 1943 erschossene Kommunist Otto Rischbieter, der Widerständler Ernst Hampel, hingerichtet 1945, oder die als „unheilbar geisteskrank“ im Zuge der Euthanasieaktion T4 von den Nazis getötete expressionistische Malerin Elfriede Lohse-Wächtler.
Der Historiker Wolfgang Benz hat in seiner kürzlich erschienenen Gesamtdarstellung des Exils („Exil. Geschichte einer Vertreibung 1933–1945, C. H. Beck 2025) darauf hingewiesen, dass das Erkennen subtiler Symbolik nicht die Sache der Nazis gewesen sei; sie verließen sich „auf das Vordergründige“.
Aus öffentlichen Ämtern entfernt
Das galt auch für die bildende Kunst. Im Gegensatz zu antinazistischen Schriften erkannten die Nationalsozialisten in ihr keine nennenswerte politische Bedrohung. Auch wenn sie die Werke etwa des Expressionismus ideologisch scharf ablehnten, verunglimpften und Künstler wie Otto Dix oder Max Beckmann aus ihren öffentlichen Ämtern entfernten, kam es nicht zu systematischen Verfolgungen, die das Leben der Betroffenen unmittelbar bedrohten.
Darin unterschied sich der Umgang der Nationalsozialisten mit „entarteten“ Künstlerinnen und Künstlern grundsätzlich von jenem mit verbotenen Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Autoren wie Heinrich Mann, Annette Kolbe oder Kurt Tucholsky waren mit der Regierungsübernahme der Nazis in Lebensgefahr. Sie hätten, wären sie nicht rechtzeitig aus Deutschland geflohen, kaum Aussicht auf ein Überleben gehabt.
„Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben“, schrieb Joseph Roth Mitte Februar 1933 an seinen Kollegen Stefan Zweig. Roth vermochte es, sich rechtzeitig nach Paris abzusetzen. Weniger Glück hatte hingegen der Publizist und Weltbühne-Herausgeber Carl von Ossietzky, der Ende Februar 1933 von den Nazis in einem Konzentrationslager interniert und später ermordet wurde.
Ein vergleichbares Schicksal drohte den modernen Künstlerinnen und Künstlern nicht. Selbst Käthe Kollwitz, die aufgrund ihrer Werke und ihres Pazifismus den Nazis früh ein Dorn im Auge war, konnte während der gesamten Zeit des „Dritten Reichs“ weitgehend unbehelligt in Deutschland leben und arbeiten. Und das, obwohl sie nur wenige Monate vor dem Regierungsantritt der Nationalsozialisten, zusammen mit 18 weiteren Künstlern, darunter auch Heinrich Mann, einen dringenden Appell veröffentlicht hatte, in dem sie zum Abwehrkampf gegen den drohenden Faschismus aufrief.
Oder Otto Dix, in den Augen der Nazis das Paradebeispiel eines „entarteten Künstlers“ schlechthin. Nach seiner Entlassung als Professor an der Kunstakademie Dresden 1933 zog er sich nach Süddeutschland zurück, wo er außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung sein Werk fortsetzte.
Im Einflussbereich der Nazis
Und es gilt auch für den Maler Max Beckmann. Der wird von der Kunstgeschichte und Ausstellungsmachern meist pauschal – wenngleich nur teilweise zutreffend – dem Kreis der Exilanten zugerechnet. Denn bei genauer Betrachtung lebte Beckmann acht der zwölf NS-Jahre im direkten Einflussbereich der Nazis: 1933 bis 1937 in Berlin und ab Frühjahr 1940 im von den Deutschen besetzten Amsterdam.
Beckmann verließ Deutschland ins niederländische Exil anlässlich der am 19. Juli 1937 startenden Münchner Diffamierungsausstellung „Entartete Kunst“. Spätestens jetzt dürfte ihm und seiner Frau Quappi klargeworden sein, dass ihnen die materielle Grundlage für ein Leben im NS-Staat immer weiter entzogen wurde. Was nicht daran lag, dass man Beckmanns Werke in Deutschland nicht mehr erwerben konnte oder durfte, sondern dass kaum noch jemand sie kaufen wollte.
Beckmanns Exilzeit endete knapp drei Jahre später mit der deutschen Besetzung der Niederlande. Von Mai 1940 bis Kriegsende lebten er und seine Frau wieder unter dem direkten Zugriff der Nationalsozialisten. Wo Beckmann in Amsterdam wohnte und arbeitete, war den NS-Besatzern bekannt. Zweimal wurde er zur militärischen Musterung vorgeladen und für untauglich befunden.
Sein Freund Erhard Göpel, der sich im Auftrag des NS-Staates um die „Kunstakquise“ in den von Deutschland besetzten Gebieten kümmerte, stand ihm zur Seite. Weiterhin befand er sich im Austausch mit Personen und Geschäftspartnern, neben Göpel etwa Hildebrand Gurlitt, die ihrerseits Verbindungen zum NS-Regime unterhielten. Am 20. Oktober 1943 notierte Beckmann in seinem Tagebuch, wie man in der kürzlich veröffentlichten Gesamtedition der Beckmann-Tagebücher durch das Münchner „Max-Beckmann-Archiv“ erstmalig nachlesen kann, einen erfolgreichen Geschäftsabschluss mit Gurlitt und Göpel, der ihm 3.000 Reichsmark einbrachte.
Das war weit entfernt von den finanziellen Erfolgen der 1920er Jahre, aber dennoch eine stattliche Summe: Das deutsche Jahresdurchschnittseinkommen lag 1943 bei 2.200 Reichsmark. Das alles war nicht verwerflich. Es gibt zudem keine Hinweise, dass sich Beckmann zwischen 1933 und 1945 dem NS-Staat angedient oder anderweitig kompromittiert hätte. Ein Verfolgter, der um sein Leben bangen musste, war er aber nicht; vielmehr ein zur Seite Gedrängter, ein Ignorierter! Was man auch daran erkennen kann, dass sein 50. Geburtstag 1934 in deutschen Medien praktisch keine Erwähnung mehr fand.
Ein Verfolgter, der um sein Leben bangen musste, war Beckmann aber nicht; vielmehr ein zur Seite Gedrängter, ein Ignorierter!
Warum hält sich die Darstellung Max Beckmanns als ein von den Nazis verfolgter Künstler dennoch so hartnäckig? Wissenschaftliche und publizistische Arbeiten zu Beckmann entstammen überwiegend der Feder von Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern. Sie konzentrieren sich auf das Werk. Der biografische Rahmen ist dabei eher Nebenschauplatz, häufig aus Darstellungen übernommen, die entweder direkt von Familienmitgliedern, Freunden und Bewunderern Beckmanns verfasst worden waren oder aber ihrerseits auf diese zurückgriffen. Eine überzeugende Biografie des Jahrhundertkünstlers steht bis heute aus.
Eigendynamik eines Narrativs
Symptomatisch dafür sind die bereits erwähnten Beckmann-Tagebücher: Die bislang vorliegende Fassung, herausgegeben 1955 vom Beckmann-Freund Göpel, war von Quappi Beckmann vor der Veröffentlichung grundlegend überarbeitet worden. Allein für den Zeitraum 1940 bis 1950 lassen sich über 800 redigierende Eingriffe nachweisen. Hinzu kommt die bis heute anhaltende Wirkkraft der Ausstellung „Entartete Kunst“ von 1937 – und der weitverbreitete Glaube, die dort diffamierten Künstlerinnen und Künstler seien zwangsläufig Verfolgte des NS-Regimes gewesen. Das Narrativ des von den Nationalsozialisten verfolgten und mit dem Tode bedrohten Künstlers entwickelte nach dem Zweiten Weltkrieg eine Eigendynamik.
Nicht zuletzt dürfte sich das auch positiv auf den Marktwert ausgewirkt haben. Bis heute: Für den Rekordpreis von über 20 Millionen Euro wurde Ende 2022 Beckmanns „Selbstbildnis gelb-rosa“ verkauft.
Dabei war die Realität eine andere: Während die Bücherverbrennungen ab 1933 den physischen Vernichtungswillen der Nazis gegenüber unliebsamen Autorinnen und Autoren vorwegnahmen und es bereits im Vorfeld oftmals zu gewalttätigen Übergriffen gegen sie gekommen war, unterblieb ein vergleichbares Vorgehen gegen unliebsame bildende Künstlerinnen und Künstler.
Sie wurden zwar, wie Max Beckmann oder Otto Dix, ihrer Ämter enthoben, aus dem öffentlichen Leben verdrängt und mussten schmerzliche materielle Einschränkungen hinnehmen. Doch handelte es sich bei der diffamierenden öffentlichen Darstellung ihrer Werke sowie dem Aus-dem-Verkehr-Ziehen „entarteter“ Kunst – privat durften die Werke der allermeisten Künstler weiterhin gehandelt werden – in erster Linie um einen symbolischen Akt der Ausgrenzung, wenngleich zweifellos um einen besonders perfiden.