Cochrane hält eine Krise wie 2022 in Grossbritannien oder gar in Argentinien für möglich. Er sagt, die USA und Europa müssten besser aufzeigen, wie sie ihre Schuldenberge in den Griff kriegen wollen.
Catherine Bosley, Peter A. Fischer08.10.2025, 05.30 UhrZu Besuch in Zürich zeigt sich der Stanford-Professor und Autor des Blogs «The Grumpy Economist» gutgelaunt, hat aber deutliche Worte zu den Gefahren einer unverantwortlichen Finanzpolitik im Gepäck.
Karin Hofer / NZZ
Die Covid-19-Pandemie war eine geldpolitische Zäsur. Nach fast vier Jahrzehnten gedämpfter Inflation zog die Teuerung ab 2021 in den allermeisten Industrieländern sprunghaft an. Obwohl viele Wirtschaftswissenschafter Faktoren wie Lieferengpässe und Materialmängel für die steigenden Kosten verantwortlich machen, ortet der amerikanische Ökonom John Cochrane diese bei der Staatsverschuldung.
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Cochrane hat ursprünglich Physik studiert, bevor er zu den Wirtschaftswissenschaften wechselte und in Berkeley an der University of California doktorierte. Danach lehrte er ein Vierteljahrhundert lang an der neoklassisch-marktwirtschaftlich orientierten University of Chicago, bevor er 2015 nach Kalifornien an die Stanford University zurückkehrte. Nebst seinen wissenschaftlichen Arbeiten wurde Cochrane durch den Blog «The Grumpy Economist» international bekannt. Der eigentlich heitere Professor weilte vergangene Woche in Zürich, um die Karl-Brunner-Festvorlesung der Schweizerischen Nationalbank zu halten. Danach traf er die NZZ für ein Interview:
Herr Cochrane, jahrzehntelang schien hohe Inflation in den USA und in Europa ein Ding der Vergangenheit zu sein, und dann stieg sie ab Anfang 2021 plötzlich auf bis fast 10 Prozent. Sie haben Ihre eigene Erklärung dafür. Was sagen Sie dazu?
Wir hatten einen solchen Anstieg der Inflation nicht primär wegen der sogenannten Angebotsschocks in der Pandemie oder wegen Fehler der Zentralbanken, sondern wegen der nicht nachhaltigen Fiskalpolitik der Regierungen. Die US-Regierung hat während der Pandemie etwa 5 Billionen Dollar ausgegeben. Zumindest einen Teil davon kritisiere ich nicht, denn es gab eine Krise. Es war meiner Ansicht nach auch nicht so, dass wir Inflation kriegten, weil der Staat den Menschen plötzlich so viel Geld gab. Regierungen geben in schlechten Zeiten Geld aus, um es in guten wieder einzusparen, das ist völlig in Ordnung. Meiner Meinung nach war das zentrale Problem, dass diesmal völlig unklar war, wie das viele Geld je wieder zurückgezahlt werden sollte. Und es war auch kein Ende in Sicht. Es fehlte ein starkes «Wir leihen es uns jetzt und zahlen es später zurück». Die Anleger verkauften deshalb Staatsanleihen und konsumierten lieber. So kommt es zu Inflation.
Sie sehen die hohe Inflation in den USA und in vielen Ländern als eine Folge verfehlter Finanzpolitik?
Wenn man sich die verschiedenen Länder ansieht, entspricht die Höhe der Inflation ziemlich genau den Ausgaben, die sie während der Pandemie getätigt haben. Meiner Ansicht nach geht es nicht nur um die Höhe der Verschuldung und der Defizite, sondern darum, ob die Menschen darauf vertrauen, dass diese zurückgezahlt werden. Schulden und Defizite, von denen die Menschen glauben, dass sie ordentlich bedient und zurückgezahlt werden, verursachen nicht unbedingt Inflation.
Was hätten die Regierungen denn in der und am Ende der Pandemie anders machen müssen?
Ich bin ein grosser Anhänger von Schuldenbremsen, wie sie die Schweiz kennt. Diese beruhigen Gläubiger, weil sie wissen, dass nach Phasen von hohen Ausgaben solche folgen, in denen die entstandenen Schulden wieder eingespart werden. Die Schweiz hatte dann ja auch prompt keine so hohe Teuerung wie die USA oder etwa Deutschland.
Brauchten die USA nicht auch so eine eigene Schuldenbremse?
Ich empfehle schon länger eine solche Verfassungsbestimmung. Aber Fiskalregeln funktionieren nur, wenn es in der Politik und in der Bevölkerung einen Konsens darüber gibt, dass solche Regeln auch eingehalten werden müssen. Ohne das helfen auch die besten Regeln nichts. Deutschland gibt da gerade ein schlechtes Beispiel ab, da man die Schuldenbremse ausser Kraft gesetzt hat, als sie unbequem wurde.
Sie argumentieren, dass übermässige Staatsausgaben die Inflation treiben, nicht nur zu tiefe Zinsen und zu viel Geld der Zentralbank. Lag denn Milton Friedman mit seiner Behauptung falsch, Inflation sei überall und immer ein monetäres Phänomen?
Milton Friedman und auch der berühmte Schweizer Geldtheoretiker Karl Brunner hatten grösstenteils recht. Wenn die Zentralbank quasi mit dem Helikopter Geld regnen lässt, dann führt das zu Inflation. Aber die Ära der quantitativen Lockerung, als Notenbanken mit Blick auf die schwache Teuerung Staatsanleihen aufkauften, hat gezeigt, dass tiefe Zinsen und Staaten, die viel Geld aufnehmen, lange Zeit keine Inflation generieren müssen.
Wir sind es gewohnt, Finanzpolitik und Politik getrennt zu betrachten, mit einer unabhängigen Regierung und einer unabhängigen Zentralbank, die auf die Regierung reagiert. Wenn aber beides so sehr voneinander abhängt, für wie wichtig halten Sie dann die Unabhängigkeit der Zentralbank noch?
Ich halte die Unabhängigkeit der Zentralbank für sehr wichtig. Aber schon als Monetaristen wie Friedman und Brunner ihre geldpolitische Theorie formulierten, hielten sie in einer Fussnote fest, dass die Fiskalpolitik der Regierung nachhaltig sein müsse. Das ist heute mehr als eine Fussnote wert. Geld und Haushaltspolitik müssen immer aufeinander abgestimmt sein. Dennoch ist eine unabhängige Zentralbank selbst in Ländern mit grossen Finanzproblemen eine sehr nützliche Institution. Sie verhindert, dass die Regierung ihr Schuldenproblem einfach mit inflationärem Gelddrucken löst. Eine unabhängige Zentralbank ist so etwas wie Odysseus’ Mast, an den die Regierung gefesselt wird, um dem Sirenengesang zu widerstehen und sich an das Versprechen halten zu müssen: «Ich werde meine Schulden zurückzahlen.»
Wenn die Unabhängigkeit der Notenbanken wichtig bleibt, was ist dann ihr politischer Preis?
Unabhängigkeit ist nicht absolut. Die Zentralbanker in den USA werden für eine begrenzte Amtszeit ernannt. Danach müssen sie neu ernannt werden. Sie haben ein klares Mandat. In der EZB müssen sie die Preise stabil halten, in den USA die Inflation und die Beschäftigung. Das bedeutet, dass sie sich um nichts anderes kümmern sollten. Wer der Meinung ist, dass soziale Ungleichheit, Klimawandel, die Rückverlagerung der Industrie und des verarbeitenden Gewerbes für die Notenbanker auch wichtig sind – tut mir leid, aber das sind politische Themen. Ich halte die Kritik, dass Zentralbanken sich zu sehr in politische Fragen eingemischt haben, für berechtigt.
Lieber auf Chicago-Art mit beiden Füssen am Boden als in luftigen politischen Höhen die Welt verbessern: John Cochrane zu Gast in Zürich Anfang Oktober 2025.
Karin Hofer / NZZ
Gegenwärtig gibt die Frage der Nachhaltigkeit der Schuldenwirtschaft vieler entwickelter Staaten viel Grund zur Sorge. Für wie gross halten Sie das Risiko, dass es zu Verwerfungen an den Finanzmärkten kommt? Kann sich eine Bondmarktkrise wie diejenige, die 2022 die britische Premierministerin Liz Truss zum Rücktritt zwang, auch anderswo ereignen?
Die «bond vigilantes» sind schon näher, als Sie denken. Sie wissen, dass sich die Liz-Truss-Episode in Grossbritannien auch in den USA wiederholen könnte. Ich denke, es gibt zumindest Anzeichen für Nervosität auf dem Anleihemarkt.
Europäische Staaten, die während der Pandemie die Verschuldung in die Höhe getrieben haben, wollen jetzt erneut umfangreiche Kredite aufnehmen, um ihre Verteidigungsausgaben zu finanzieren. Von Anstrengungen, andernorts die Ausgaben zu kürzen, sieht man wenig. Worauf sollten wir uns gefasst machen?
Eine weitere Inflationswelle ist sehr wahrscheinlich. Wir unterschätzen das Risiko. Schauen Sie sich die 1970er Jahre an, als es 1975/76 zu einem Inflationsschub kam. Die Teuerung ging zwar wieder zurück, verschwand aber nicht. Dann kam es 1978 zu einer Reihe von Angebotsschocks, wie zum Beispiel beim Erdöl, und die Inflation stieg erneut an. Heutzutage könnten Zölle oder weitere wirtschafts- und finanzpolitische Fehler die Inflation wieder anheizen. Man sollte sich über das Szenario Gedanken machen.
Die hoch verschuldeten Industrieländer sind denkbar schlecht gewappnet für die nächste Krise, jetzt, wo sie realisieren, dass sie ein sicherheitspolitisches Problem haben. Was wird passieren?
Nehmen wir einmal an, dass unsere Regierungen es nie schaffen werden, die entstehenden Haushaltslücken zu schliessen. Was tun Regierungen, wenn sie stets mehr ausgeben, als sie einnehmen? Schauen Sie nach Lateinamerika. Als Erstes hält die Zentralbank die Zinssätze zu niedrig, was Inflation generiert. Möglicherweise führt sie gar Kapitalkontrollen ein, zwingt ihre Banken und Versicherungen regulatorisch, Staatsschulden zu kaufen und zu halten, selbst wenn sie dies nicht wollen und ihnen Bedingungen aufgezwungen werden, die nicht mehr marktwirtschaftlich sind. Hoffen wir, dass dies nicht eintritt und dass Staaten die Reformen durchführen, von denen jeder weiss, dass sie notwendig sind.
In den USA sieht es unter der Administration Trump nicht danach aus. Die Handels- und Fiskalpolitik verunsichert die Investoren, der Dollar verliert an Wert.
Ich bin eigentlich überrascht, dass die USA mit einer inflationären Politik liebäugeln. Ein wichtiger Grund für Trumps Wiederwahl war, dass der durchschnittliche Arbeitnehmer die Inflation satthatte. Warum spielen wir also wieder mit dem Feuer?
In Europa haben wir mit dem Euro eine Währungsunion. Es gibt Fehlanreize, sich übermässig zu verschulden, wenn die Risikoprämien von der Europäischen Zentralbank künstlich zu tief gehalten werden. Und die Anleger gehen davon aus, dass die EZB mit «whatever it takes» eine ernsthafte Staatsschuldenkrise vermeiden wird.
Der Euro wurde von Leuten, die dieses Problem verstanden haben, gut aufgestellt. Es gibt die «no-bail-out rule», die es der Europäischen Zentralbank verbietet, Staaten zu finanzieren und vor dem Bankrott zu retten. Die Europäische Zentralbank wurde als unabhängige Zentralbank geschaffen, deren Auftrag nur die Wahrung der Preisstabilität ist. Und dennoch hält die EZB jetzt riesige Mengen an Staatsanleihen und hat ein Programm nach dem anderen aufgelegt, um im Krisenfall weitere kaufen zu können. Die EZB sollte ihre Staatsanleihekäufe einstellen. Ich halte es auch für einen grossen regulatorischen Fehler, dass Banken die Staatsschulden der eigenen Regierung aufsichtsrechtlich als risikofrei halten dürfen. Das schafft eine ungesunde Verbindung zwischen Staatsfinanzen und dem Finanzsystem. Nun fürchtet die EZB nicht ganz zu Unrecht, dass eine Zahlungsunfähigkeit eines Mitgliedstaats eine Finanzkrise verursachen könnte.
Eine Zahlungsunfähigkeit eines Staates würde die Banken, aber auch die Pensionskassen und die Sparer hart treffen.
Ich habe nichts dagegen, dass Pensionsfonds Staatsanleihen halten. Pensionsfonds können riskante Unternehmensanleihen halten und damit eine gute Rendite erzielen. Staatsanleihen sollten genau wie Unternehmensanleihen behandelt werden. Da kann es auch zu Zahlungsausfällen kommen. Okay, wer darin investiert hat, verliert dann Geld, aber das ist für sich gesehen noch keine Finanzkrise. Eine Vollendung der Bankenunion wäre sehr hilfreich.
Sie glauben nicht, dass die Europäische Währungsunion von Natur aus instabil ist?
Die europäische Währungsunion ist eine grossartige Institution, ebenso wie die Europäische Union und der gemeinsame EU-Binnenmarkt. Wir sind wieder bei der Schuldenfrage, dass Länder eigentlich in der Lage sein sollten, genauso wie Unternehmen, Insolvenz anzumelden.
Ländern wie Frankreich oder den USA soll ein Staatsbankrott drohen?
Eine Staatspleite ist eine sehr unschöne Sache, aber diese Möglichkeit muss bestehen. Ich glaube, dass die Leute stärker reagieren und Staaten ihren Haushalt eher sanieren, wenn sie wissen: Die Gefahr einer Insolvenz ist ernst. Es wird immer sehr unangenehm sein, wenn ein Land an den Punkt kommt, an dem es seine Schulden umstrukturieren muss.
Sehen Sie hoch verschuldete entwickelte Länder vor einem Szenario des Niedergangs und wiederholter Zahlungsunfähigkeit wie in Argentinien?
Wenn wir nichts unternehmen, könnte ein solches Szenario eintreten. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten. Argentinien hatte nicht nur Schulden. Argentinien hatte hohe Zölle, Kapitalverkehrskontrollen und eine starke staatliche Einflussnahme auf die Wirtschaft.
Was sich in den USA dieses Jahr ereignet hat, geht eher in die von Ihnen beschriebene falsche Richtung. Funktioniert das demokratische System dort noch?
Das amerikanische System der politischen Gewaltenteilung und der gegenseitigen Kontrolle braucht Zeit, und Trump nutzt diese Zeit eindeutig aus, um Dinge zu zerstören. Es dauert, bis die Gerichte Urteile fällen. Eine Vielzahl Fälle wird derzeit vor Gericht verhandelt. Zudem stehen in einem Jahr Kongresswahlen an, und wenn die Wähler unzufrieden sind, wird der Kongress demokratisch werden und vieles wieder korrigieren.
Das klingt optimistisch!
Sie haben recht, wenn Sie sich um diese Kontrollmechanismen Sorgen machen. Die amerikanische Politik befindet sich seit Jahren in einer eskalierenden Spirale der gegenseitigen Vergeltung, in der traditionelle Normen aufgegeben werden. Früher oder später müssen wir zum Altbewährten zurückkehren, das Amerika stark gemacht hat.
Sie sind Autor eines Blogs namens «The Grumpy Economist». Was hat Sie mürrisch gemacht?
Ich hatte oft Ideen, die ich spontan aufschreiben wollte. Ich war aufgrund der Konjunkturprogramme und Bankenrettungen während der Finanzkrise frustriert. Also habe ich den Blog lanciert und brauchte einen cleveren Titel. Eines Tages las ich in der «New York Times» einen Kommentar von Paul Krugman, der mich wirklich ärgerte. So wurde ich zum mürrischen Ökonomen. Aber nur manchmal, wenn ich Krugmans Artikel lese.
Haben Sie das Gefühl, die Mainstream-Ökonomen seien generell linker und politischer geworden?
Absolut. Die meisten werden Ökonomen, weil sie die Welt retten wollen. Ich bin von der Universität Chicago geprägt. Wir wollen auch die Welt retten, aber indem wir klarstellen, was effiziente Anreize und Regeln sind, die den Wohlstand mehren, und nicht, wie wir Ungleichheit und die Klimakrise lösen. Bei Letzterem vergisst man schnell die Ökonomie und wird nur noch politisch. Das ist nicht mein Ding.