Das Urteil – es ist das schwerste überhaupt, das der Staat verhängen kann – nimmt Ihab L. nahezu regungslos zur Kenntnis. Lediglich sein kleiner Finger, der von der geballten Faust absteht, zittert sichtlich, was umso mehr ins Auge sticht, als dieser dick mit Tape umwickelt ist. Die zugehörige Verletzung hat sich der junge Mann vermutlich im Gefängnis zugezogen, wo er seit Juni 2024 in Untersuchungshaft sitzt – und wo er auch künftig noch viele Jahre verbringen wird. Denn das Urteil, das an diesem Nachmittag am Landgericht München I gesprochen wird, lautet auf lebenslange Haft. Wegen Mordes.

So ist die 2. Große Strafkammer unter Vorsitz von Norbert Riedmann überzeugt, dass Ihab L. vor 16 Monaten bei einem Drogengeschäft in Milbertshofen einen damals 24-jährigen Dealer erschossen hat. Der aus Hessen stammende Angeklagte habe einen Karton mit drei Kilo Marihuana ohne zu bezahlen an sich nehmen wollen, sagt der Richter in der Urteilsbegründung.

Daraufhin sei es zu einem Streit zwischen den zwei Männern gekommen, in dessen Zuge der 22-Jährige mit einer mitgebrachten Pistole auf den Oberkörper seines Kontrahenten schoss. Dieser verblutete, während Ihab L. floh und sich bei einem Freund versteckte – bis ihm die Polizei auf die Spur kam und ihn zwei Wochen später festnahm.

Im Prozess hat der Angeklagte nicht nur Reue gezeigt und sich bei den Angehörigen des Getöteten entschuldigt, sondern er ist auch mehrfach in Tränen ausgebrochen. An diesem Tag jedoch macht er beim Betreten des Gerichtssaals eine beschwichtigende Geste in Richtung der Zuschauerreihen, wo nicht nur seine Eltern und Brüder sitzen, sondern auch Angehörige des Opfers. Zwischen diesen zwei Parteien kommt es kurz vor Verhandlungsbeginn zu einem kurzen Wortgefecht, woraufhin die Staatsanwältin einschreitet. Wenig später betritt die Kammer den Saal, und Norbert Riedmann verkündet das Urteil, ehe der Richter eine halbstündige Begründung der Entscheidung folgen lässt.

Währenddessen schüttelt Ihab L. immer wieder den Kopf, schließt die Augen und spricht lautlos vor sich hin. Seine dunklen Haare hat der Profi-Kickboxer, der auch als Lkw- und Taxifahrer gearbeitet hat, mit viel Gel nach hinten gekämmt; zu Turnschuhen und Jeans trägt er ein dunkelblaues Hemd mit weißem Kragen. Seine Verteidigung hat im Laufe des Verfahrens die Tat des 22-Jährigen als Notwehr hingestellt – schließlich trug sein Kontrahent ein Messer mit sich und stach damit Ihab L. in den Oberschenkel.

„Gegen Notwehr gibt es keine Notwehr mehr“, findet das Gericht

Das Gericht jedoch will dieser Argumentation nicht folgen. „Dem Angeklagten ging es darum, den Karton mit dem Rauschgift ohne zu bezahlen an sich zu bringen – auf Deutsch: das Rauschgift zu rauben“, sagt Richter Riedmann. Dagegen habe sich das spätere Opfer „berechtigt“ gewehrt. „Und gegen Notwehr gibt es keine Notwehr mehr“, betont Riedmann. Zudem habe ein Video der Tat gezeigt, dass das Opfer erst nach der Schussabgabe mit seinem Messer auf Ihab L. eingestochen habe.

Die Kammer sehe bei der Tat zwei Mordmerkmale gegeben, sagt der Richter. Zum einen Habgier, da Ihab L. das Marihuana im Wert von 15 000 Euro habe verkaufen wollen. Zum anderen sollte das Töten seines Kontrahenten eine andere Straftat ermöglichen. In der Verhandlung habe sich der Angeklagte mehrfach zu den Vorwürfen geäußert, jedoch seien dabei „Ungereimtheiten“ aufgetreten, sagt Riedmann. Unter anderem habe sich Ihab L. als Kurier dargestellt, der einem Freund einen Gefallen habe tun wollen und selbst von Drogen keine Ahnung habe. Dagegen spreche jedoch seine Aussage, dass er die Marihuana-Qualität mit einem übergestreiften Plastikhandschuh habe prüfen wollen, sagt der Richter. Zudem habe Ihab L. ein teures Auto gefahren, kostspielige Reisen unternommen und Videos von seinen Rolex-Uhren im Internet gepostet. „Das spricht alles dafür, dass der Angeklagte wesentlich tiefer in der Drogenszene drin war, als er uns glauben machen wollte“, sagt der Richter.

Nach der Urteilsbegründung applaudieren die Angehörigen des Getöteten, während die Eltern von Ihab L. zur Anklagebank eilen, um sich – unter lautem Schluchzen der Mutter – von ihrem Sohn zu verabschieden. Anschließend führen Polizisten den 22-Jährigen aus dem Gerichtssaal, ehe es für ihn zurück in die Justizvollzugsanstalt Stadelheim geht. Noch ist die Verurteilung nicht rechtskräftig; seine Verteidigung kann dagegen Revision einlegen.