Am 9. Oktober 1850 war es endlich so weit. Die Sonne schien, und so konnte in München das wegen schlechten Wetters um sechs Tage verschobene Großereignis auf der Theresienwiese seinen Lauf nehmen: die feierliche Enthüllung der Bavaria. Vor den Augen König Ludwigs I. und Tausender Zuschauer wurden unter dem Donner von Kanonen mehrere Bretterwände zum Einsturz gebracht. Und die „Bavaria, das Sinnbild des bayer. Vaterlandes, stand vom schönsten Sonnenlichte beleuchtet vor den Augen der staunenden Volksmenge, welche in endlosen Jubelruf ausbrach“, so schildern es damals die Neuesten Nachrichten aus München.
Lobreden auf den kunstsinnigen Ex-Monarchen, der zwei Jahre zuvor wegen seiner Affäre mit der Tänzerin Lola Montez abgedankt hatte, wurden gehalten. Und Ludwig selbst sagte: „Ich bin 64 Jahre alt, hab’ viel des Schönen gesehen, so Schönes noch nie; ich habe viele Freuden erlebt, doch eine solche Freude noch nie!“
Mehr als ein Jahrzehnt hatte es gedauert, bis die bronzene Schutzpatronin Bayerns und die sie umgebende, nun auch fast fertiggestellte Ruhmeshalle Gestalt annahmen. Bereits in den 1830er-Jahren hatte Ludwig I. den Bau bei seinem favorisierten Architekten Leo von Klenze beauftragt, mit dessen Baukunst er München in ein Isar-Athen umwandeln wollte.
Nun ragte die Bronze-Dame endlich am Rand der Theresienwiese 18,52 Meter in die Höhe, auf einem Sockel von etwa neun Metern Höhe montiert. Aus der Klenze’schen „griechischen Amazone“ war am Ende ein „bayerisch-germanisches Weibsbild“ (Luise Kinseher) geworden. Denn der mit der konkreten Ausgestaltung beauftragte Münchner Bildhauer Ludwig von Schwanthaler verlieh der Bavaria ganz im Sinne der patriotisch-romantischen Vorstellungen der Zeit ein mehr „teutsches“ Aussehen. Tunika und Bärenfell bedeckten nun den Körper, und Eichenlaub ersetzte Lorbeerkränze am Kopf und in der Hand.
Ein Schwert und Löwe an der Seite der Figur drückten Stärke, Freiheitsliebe und Wehrhaftigkeit aus. Besonders deutsch soll indes das Gesicht der Bavaria sein: Wie später ein Freund Schwanthalers enthüllte, soll der Bildhauer deren Antlitz einer Frau aus Preußen nachempfunden haben, in die er unglücklich verliebt war.
Ludwig von Schwanthaler verlieh der Statue ein doch recht deutsches Aussehen – und soll ihr Antlitz einer Frau nachempfunden haben, in die er unglücklich verliebt war. (Foto: Peter Kneffel/ dpa)
Große öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr die Bavaria nicht erst am Tag ihrer Enthüllung. Auch ihr Entstehungsprozess und ihr Aufbau wurden von zahlreichen Neugierigen verfolgt. „Viele Zuschauer, selbst fürstliche Damen waren zugegen“, schrieb Ferdinand von Miller in sein Tagebuch. Ein anderes Mal waren es an die hundert Zuschauer. Miller fertigte auf Grundlage der Gipsform Schwanthalers die monumentalen Teilstücke der Bronzestatue. Eine technische Herausforderung, nicht nur für den jungen Erzgießer. So schildert er in seinem Tagebuch, wie er bei der Fertigung des Kopfes, seines ersten großen Gusses, einen „solchen Wechsel von Schrecken und Freude“ wie noch nie empfindet. Und wie er beim Guss des besonders großen Bruststücks „den bittern Becher der Verzweiflung kostet“, weil lange Zeit das Erz der Kanonen nicht schmelzen will.
Schwierig war in einer Zeit ohne schweres Gerät auch der Transport der Hunderte Zentner schweren Teile. Zwei Monate brauchte es, bis die vier Haupt- sowie einige kleinere Teile von der Erzgießerei zur Theresienwiese gebracht worden waren. Die Wagen dafür mussten zum Teil eigens gebaut und von „sechzehn starken Hengsten“ gezogen werden, wie die zeitgenössische Illustrirte Zeitung schrieb. Zuletzt wurde demnach begleitet von einem großen Festzug „das riesige und doch lieblich schöne Haupt der Bavaria“ angeliefert.
Miller ließ sich mit seinen Söhnen und Arbeitern bei der Montage im Kopf mit in die Höhe ziehen. Und groß muss der Jubel und das Staunen gewesen sein, als am Ende über eine Leiter ganze 31 Menschen dem Kopf entstiegen. „Ich habe es gesehen, und glaube es doch nicht“, sagte dazu König Ludwig I., „in heiterer Laune“, wie die Illustrirte Zeitung befand, die einen weiteren Vergleich zur Veranschaulichung der Größe der Bavaria lieferte: Deren großer Finger habe einen Umfang „wie eine mittelschlanke Mädchentaille“.
Wer sich selbst noch mal ein Bild von der Dimension der Bavaria machen möchte, kann ihr im Innern über eine Wendeltreppe zu Kopf steigen – in diesem Jahr allerdings nur noch bis zum 19. Oktober. Denn aus Sicherheitsgründen ist die Bavaria im Winter geschlossen.