Während Katharina Fegebank (Grüne) im Parlament Neutralität beschwört, werben grüne Kreisverbände für ein „Ja“ zum Zukunftsentscheid. Die CDU spricht von „Illoyalität“, wie es sie noch in keinem Landesparlament zwischen den Koalitionären gegeben habe.
Es war ein symbolträchtiger Moment: Während Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) in der Aktuellen Stunde zum bevorstehenden Klima-Volksentscheid die Neutralitätspflicht des Senats betonte, warb ihre Partei draußen offensiv für ein „Ja“. Dieses Mal war es der Grünen-Kreisverband aus dem Hamburger Norden, der zeitgleich zu Fegebanks „Wir halten uns raus“ per Pressemitteilung für den sogenannten Zukunftsentscheid mobilisierte und damit deutlich machte, wie sehr die Grünen als Partei aktuell mit ihrer Rolle hadern.
Am 12. Oktober stimmen die Hamburger darüber ab, ob die Stadt ihr Ziel der Klimaneutralität bereits 2040 statt 2045 erreichen soll. Die Initiative „Hamburger Zukunftsentscheid“ will das frühere Datum gesetzlich festschreiben und den Senat verpflichten, jährlich über Fortschritte zu berichten. Befürworter sehen darin einen notwendigen Beschleuniger für Energiewende und Klimaschutz, Kritiker warnen vor hohen Kosten, steigenden Mieten und einem Rückgang beim Wohnungsbau. Der Entscheid ist rechtlich bindend, wenn mindestens 20 Prozent der 1,3 Millionen Wahlberechtigten der Hansestadt zustimmen.
„Der Zukunftsentscheid ist wichtig, um Hamburg in der Klimapolitik voranzubringen – in einer Gesellschaft, die die Umwelt der Profitmaximierung unterordnet“, sagte der Linken-Abgeordnete Stephan Jersch im Rathaus. Unter dem Titel „Wir holen die SPD von der Klimabremse! Mit dem Zukunftsentscheid dem Senat Beine machen“ hatte die Linken-Fraktion die Aktuelle Stunde beantragt.
Im Fokus stand jedoch nicht der größere Koalitionspartner des rot-grünen Bündnisses, sondern der kleinere. Das Dilemma der Grünen: Ihre Parteibeschlüsse fordern ein höheres Tempo, als im Koalitionsvertrag mit der SPD im Frühjahr vereinbart wurde. Hamburg soll „spätestens 2045“ klimaneutral werden, „möglichst früher“ steht im Vertrag – ein Kompromiss, der nun beiden Partnern Schwierigkeiten bereitet.
Fegebank betonte in der Debatte am Mittwoch, dass die Regierung sich „ernsthaft mit den Bedingungen auseinandergesetzt“ habe, um ein früheres Ziel zu erreichen, etwa 70 Prozent Emissionsminderung bis 2030. Zugleich machte sie klar: Ein Vorziehen auf 2040 sei nur unter bestimmten Voraussetzungen realistisch – etwa durch neue Regelungen auf Bundesebene, mit massiven Investitionen, beschleunigten Genehmigungen und neuen Technologien wie CO₂-Abscheidung. „Wir haben 2045 definiert und uns vorgenommen, es möglichst früher zu schaffen – zugleich müssen wir aber immer im Blick behalten, welche Auswirkungen das etwa auf Investitionsentscheidungen hat“, so Fegebank.
Sie setzte in der Aktuellen Stunde auf institutionelle Zurückhaltung: „Der Senat ist angehalten, bei Volksentscheiden Neutralität walten zu lassen. Das tun wir“, sagte Fegebank, die seit Beginn der neuen Legislatur Umweltsenatorin ist. Aus dem Kreisvorstand der Grünen in Nord, hieß es hingegen: „Gehen Sie am Sonntag zur Wahl und stimmen Sie mit Ja für den Zukunftsentscheid.“
Irgendwo in der Mitte der Extreme bewegte sich am Mittwoch die Grünen-Fraktion. Die umweltpolitische Sprecherin Rosa Domm lobte die Initiatoren des Zukunftsentscheids für ihren „wichtigen Beitrag“, der das Thema Klimaschutz „wieder mitten in den politischen Raum“ gebracht habe – und bekräftigte: „Egal, wie der Entscheid am Sonntag ausgeht. Klimaschutz bleibt Priorität dieser Regierung.“
Domm gilt als Sympathisantin der Ziele des Zukunftsentscheids. Als die Umweltbehörde vor einigen Wochen ein Gutachten veröffentlichte, das die Umsetzbarkeit eines Volksentscheids als schwer machbar einstufte, wertete sie dies öffentlich als Beleg dafür, dass Klimaneutralität bis 2040 „möglich und sozialverträglich“ sei. Das Gutachten spreche schließlich nicht davon, dass das Ziel 2045 nicht sozialverträglich erreichbar sei.
Auf die Nachfrage der CDU in der Bürgerschaftsdebatte, welche Abstimmungsempfehlung sie als Grüne den Wählern gebe, wich Domm aus: „Als rot-grüne Regierungskoalition haben wir eine Empfehlung abgegeben und die können Sie in den Unterlagen nachlesen.“ Dort steht: SPD und Grüne lehnen den Klima-Entscheid ab. Eine öffentliche Ablehnung ihrerseits vermied Domm jedoch – ein deutliches Zeichen für die Nähe der Grünen zur Initiative.
Genau dieser Spagat zwischen Neutralität in der Regierungsrolle und Sympathie in der Parteiorganisation bietet der CDU seit Wochen eine Angriffsfläche – auch am Mittwoch. Oppositionschef Dennis Thering warf den Grünen vor, „in der Öffentlichkeit ein ganz falsches Spiel“ zu betreiben. Im Senat spiele man Neutralität vor, in der Partei mache man Agitation – „eine solche Illoyalität hat es seit vielen Jahren in keiner Landesregierung mehr gegeben“. Wer so agiere, gefährde Vertrauen und Regierungsfähigkeit.
Dennis Gladiator, der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion verschärfte den Ton: Der Zukunftsentscheid sei „ein süßes Gift“, das sozial ungerecht wirke und den Alltag vieler Menschen verteuere, während die Grünen „gegen ihren eigenen Senat“ arbeiteten. Sein Fazit: „Einer solchen Regierung kann man nicht die Verantwortung dieser Stadt zutrauen.“
Die CDU verfolgt damit offenbar zwei Ziele: Erstens stellt sie die Grünen an der Bruchstelle bloß – zwischen dem Druck der eigenen Basis und der Pflicht zur Regierungsneutralität. Zweitens zwingt sie die SPD, sich klar zu positionieren: Hält sie zu ihrem Partner oder geht sie auf Distanz?
Die Sozialdemokraten konzentrierten sich in der Debatte auf sozialpolitische „Kostenwahrheit“ und hielten sich aus dem Streit um die Grünen weitgehend heraus. Alle Redner wiederholten mantraartig: „Egal, was am Sonntag entschieden wird, diese Koalition macht weiter ambitionierten Klimaschutz.“ Das deutet darauf hin, dass man nach außen Einigkeit demonstrieren will.
Stattdessen lobte sich die SPD für den eingeschlagenen Weg zur Klimaneutralität. Dieser bleibe ambitioniert, aber ein Vorziehen auf 2040 überfordere Stadt, Mieter, Eigentümer und Unternehmen. Fraktionschef Dirk Kienscherf bezeichnete den 316 Seiten starken Klimaplan als „beispiellos in Deutschland“ und warnte: „Wirksamer Klimaschutz entsteht nicht durch Zielzahlen, sondern durch konkrete Maßnahmen – und die haben wir.“ Die Initiative hingegen liefere keine Antworten auf zentrale Fragen wie Heizungsumstellung, Fachkräfte oder Material.
Nicht zu Wort kam Bürgermeister Peter Tschentscher, obwohl er die Aktuelle Stunde von der Senatsbank verfolgte. Er überließ die Rede Fegebank und der SPD-Fraktion – wie seit Monaten.
Genau das griff die CDU auf und machte daraus einen Vorwurf an die Regierungsführung: „Herr Bürgermeister“, adressierte CDU-Politiker Gladiator Tschentscher direkt, „auch wenn ihn das Ärger einbringt: Man erwartet von einem Bürgermeister, der diese Stadt führen will, dass er sich in einer so zentralen Frage auch äußert und Position bezieht – und sich nicht wegduckt. Das ist Verantwortungsverweigerung.“ Für die Union ist das Schweigen des Regierungschefs mehr als ein Stilproblem. Es passt in ihr Bild einer Koalition, die beim Klimathema auseinanderdriftet.
Dabei ist auch die SPD innerparteilich nicht komplett auf Senatslinie. Die neue Juso-Chefin Janne Roehsler hatte im Namen der Jugendorganisation der SPD am Mittwoch gemeinsam mit den Initiatoren des Volksentscheids und weiteren Unterstützern auf einer Pressekonferenz für den Zukunftsentscheid geworben.
Die Jusos hätten bereits 2024 beschlossen, den Zukunftsentscheid zu unterstützen, im Gegensatz zur Landespartei, die sich bis heute nicht klar positioniert habe, erklärte Roehlser. Sie kritisierte die Argumentation der SPD-Spitze in den vergangenen Wochen als „unseriös“ und erinnerte daran, dass auch der rot-grüne Koalitionsvertrag eine Klimaneutralität vor 2045 ausdrücklich anstrebt. „Wenn diese Zahl also kritisiert wird, dann wird der Koalitionsvertrag kritisiert“, sagte sie. Viele SPD-Mitglieder würden am Sonntag mit Ja stimmen, so Roehsler, „weil sie verstanden haben, dass Investitionen in Klimaschutz sich gerade für die Schwächsten extrem lohnen“.
Damit wird klar: Der Zukunftsentscheid ist längst mehr als ein Klimathema – er ist ein Lackmustest für Hamburgs Politik.