10
Susanne Abel: „Du musst meine Hand fester halten, Nr. 104“
Die Hölle, das ist ein katholisches Kinderheim in Deutschland 1947. Diese Erfahrung macht der fünfjährige Hartmut Willeiski aus Zoppot bei Danzig. Der Himmel ist für ihn die Freundschaft mit der etwas älteren Margret. Wie ihn beides ein Leben lang prägt, davon erzählt Susanne Abel in ihrem bewegenden Roman – einer überfälligen Erinnerung an das Schicksal
Hunderttausender deutscher Heimkinder. (DuMont, 544 S. 24 €)
9
Ian McEwan: „Was wir wissen können“
Großbritannien ist im Jahr 2119 nach einer Nuklearkatastrophe im Atlantik ein Inselarchipel, Deutschland gehört zu Großrussland und ein Literaturwissenschaftler hat keine drängendere Sorge als die Suche nach einem seit über hundert Jahren verlorenen Gedicht: Warum die Romanform auch den komplexesten Fragen unserer Gegenwart gerecht werden kann, aus dem neuen Ian McEwan lässt es sich erfahren. Weltliteratur! (Deutsch von Bernhard Robben, Diogenes, 480 S., 28 €)
8
Klaus-Peter Wolf: „Der Weihnachtsmann-Killer 3“
Wer sich ein Buch mit einem solchen Titel kauft, kann schwer behaupten, nicht vorgewarnt geworden zu sein. Sagen wir so: Klaus Peter Wolf erfüllt mit seinem Krimi um zwei aus der Psychiatrie entwichene Psychopathen alle meine Erwartungen. Diese spezifisch deutschen Regionalkrimis, egal ob in Ostfriesland, der Eifel oder dem Schwarzwald angesiedelt, sind das Äquivalent zur deutschen
Plumpsküche: in etwa so appetitlich wie ein Wiener Schnitzel vom Schwein mit Jägersauce. (Fischer, 272 S., 16 €)
7
Marissa Meyer: „Star-crossed Hearts“
Wer eine Vorgeschichte zu Lewis Carolls „Alice in Wunderland“ schreibt, legt sich die literarische Latte ganz schön hoch. Aber weil Marissa Meyer sehr kurzweilig schildert, wie aus der talentierten Bäckerin Cath die „Kopf-ab“-Herzkönigin wird, deshalb ist dies keine rammdösige Romantasy, sondern ein vergnüglicher Unterhaltungsroman. (Deutsch von Aimée de Bruyn Ouboter, Ars Edition, 538 S., 22 €)
6
Ferdinand von Schirach: „Der stille Freund“
Eine Sammlung lebenspraller Geschichten, zusammengehalten durch nichts als die Erzählerstimme. Dieser Ton trägt ein ganzes Buch hindurch, in dem der geistreiche Causeur von Schirach mit demselben Understatement von einer Jugendliebe berichtet, die einen schwulen italienischen Prinzen geheiratet hat, wie von Egon Friedell, der in Wien auf der Flucht vor den Nazis aus dem dritten Stock aus dem Fenster springt, nicht ohne die Passanten vorher höflich zu bitten, Zitat, „bittschön beiseite zu treten“. (Luchterhand, 176 S., 22 €)
5
Caroline Wahl: „Die Assistentin“
Was für eine schöne Überraschung: Caroline Wahl schreibt Literatur der Arbeitswelt und hat ein einsichtsreiches Buch über eine junge Frau verfasst, die angesichts der Zumutungen eines durchgeknallten Chefs Grenzen zu setzen lernen muss. Ein Buch, das vielen jungen Menschen aus dem Herzen sprechen wird, die sich auf den unteren Ebenen byzantinischer Machtstrukturen wiederfinden und sich fragen: bin ich verrückt oder meine Firma? (Rowohlt, 368 S., 24 €)
4
Elizabeth George: „Wer Zwietracht sät“
Die Spannung dieses Krimis um einen ermordeten Unternehmer speist sich wie immer in der Romanreihe um Inspector Lynley and Sergeant Havers weniger aus kriminalistischen Finessen als aus Elisabeth Georges soziologisch hyperpräzisem Blick und ihrem Gespür für mörderische Familiendynamiken. (Deutsch von Charlotte Breuer, Norbert Möllemann und Norbert Jakober, Goldmann,
752 S., 28 €)
3
Dan Brown: „The secret of secrets“
Auf Seite 777 dieses sich sehr mühsam seinem Ende entgegenschleppenden Romans um den Symbologen Robert Langdon, seine neue Freundin Katherine Solomon, eine modernen Version des Prager Golems und finstere Machenschaften der CIA heißt es: „Der Tod ist nicht das Ende. … Das ist die Botschaft, die wir von den Berggipfeln verkünden sollten, Robert. Sie ist das Geheimnis der Geheimnisse.“ Von den Berggipfeln der Literaturkritik sollte man aber auch verkünden: der neue Dan Brown liest sich so spannend wie ein oberflächlicher Reiseführer über die Goldene Stadt. (Deutsch von Dietmar Schmidt und Rainer Schumacher, Lübbe, 800 S., 32 €)
2
Ken Follett: „Stonehenge – Die Kathedrale der Zeit“
Follett hat einen sauber recherchierten und durchaus spannenden historischen Roman über die Erbauer des rätselhaften Menhirkreises in Südwestengland geschrieben. Dass mich seine vor viereinhalbtausend Jahren lebenden Jäger und Sammler, Hirten und Bauern in ihren Denkweisen doch stark an Delegierte auf einem Labour-Parteitag erinnern, muss an mir liegen. (Deutsch von Rainer Schumacher und Dietmar Schmidt, Lübbe, 669 S., 36 €)
1
SenLinYu: „Alchemised“
Auf Seite 1176 dieses Romans sagt eine Figur: „Warum fühlt sich alles so verkehrt an? Als wäre es gar nicht echt?“ Gern möchte ich
ihr antworten: Weil Du eine Figur in einem synthetischen Fantasyroman bist, der als sogenannte Harry-Potter-Fan-Fiction begann, dann aus Copyrightgründen gebleicht, gepimpt und gereinigt wurde und in etwa soviel mit Literatur zu tun hat wie ein Big Mac mit Essen. Ansonsten enthält „Alchemised“ einige hübsche und originelle Ideen über Alchemie und Nekromantie, die aber unter Bergen von Sprachschutt verschüttet bleiben. (Deutsch von Christiane Sipeer, Karen Gerwig, Lisa Kögeböhn und Sybille Uplegger, Forever,
1232 S., 34,99 €)
Literaturkritiker Denis Scheck bespricht einmal monatlich die Spiegel-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch
– parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“. Die nächste Sendung wird am 12. Oktober um 23.35 Uhr ausgestrahlt, die Gäste sind Anja Kampmann und Katarina Poladjan.
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