„Ich wollte immer nur Shakespeare spielen.“ Und das hat Judi Dench im Laufe ihrer Karriere reichlich getan, von den ersten Rollen am Londoner Old Vic, wo sie direkt nach der Schauspielschule ihr erstes Engagemant bekam, bis zur Paulina im „Wintermärchen“ 2015 am Garrick Theatre.
In „Shakespeare – Der Mann, der die Miete zahlte“ blickt sie zusammen mit dem Schauspielkollegen und Regisseur Brenden O’Hea zurück auf all ihre Rollen in Stücken des großen Barden: von Julia über Kleopatra bis zur Lady Macbeth, von der Dench sagt, dass man sie nicht als Frau sehen sollte, „die total vom Ehrgeiz zerfressen ist. Oder als unglaublich böses Weib.“
Phänomenales Gedächtnis
Über einen Zeitraum von vier Jahren haben sich O’Hea und Dench getroffen, sind die Stücke bisweilen Szene für Szene durchgegangen. Und die Schauspiel-Ikone, die im vergangen Dezember 90 wurde, verblüfft O’Hea (und die Leser) mit ihrem phänomenalen Gedächtnis. Sie erinnert sich nicht nur an Regisseure, Kollegen, Inszenierungen und Begebenheiten, sondern vor allem auch an die Texte und zwar nicht nur an die Passagen der eigenen Figuren, sondern meist auch an die der Kollegen.
In Sachen Shakespeare erweist sich Dame Judi als Puristin. „Es frustriert mich, wenn Regisseure nicht zulassen, dass das Stück dem gehört, der es geschrieben hat.“ Die sogenannten „Überschreibungen“ zum Beispiel sind nicht ihr Ding. Sie findet, „dass man die Sprache nicht modernisieren sollte. In den Übersetzungen gehe immer etwas verloren die Poesie, der Schmiss. Oder man verliert den Rhythmus.“
Kein Problem hat sie hingegen damit, wenn die Inszenierungen die Handlung „in eine andere Zeit und an einen Ort versetzen“.
Dinge, die man hinnehmen muss
Und so kann man sich peu à peu ein Bild davon machen, wie sie die Rollen für die Bühne kreierte im Zusammenspiel mit den Regisseuren oder auch allein. Das A und O für sie: die Hausaufgaben. Wenn die Proben losgingen, müsse man die Rolle drauf haben. Da geht es um Motivation, um Hintergrund um die Dinge, die vielleicht nicht in den eigenen Textpassagen stünden, sondern sich unter anderem daraus ergäben, wie die Person sich zu den anderen Figuren verhält. Das eine oder andere dürfe man sich auch selber ausdenken.
Aber: „Es gibt bei Shakespeare gewisse Dinge, die musst du einfach hinnehmen, sonst verlierst du dich im Kleinklein“, lautet ihre Antwort auf die Frage, wo die Viola in „Was Ihr wollt“ die Männerkleidung hernähme oder das Geld, um den Kapitän zu bezahlen.
Tragische Erinnerungen
Aber natürlich leben die Gespräche auch von all den Anekdoten, von Schlammasseln und Fehlschlägen hinter und vor den Kulissen. Mal ist das durchaus dramatisch, etwa als Daniel Day-Lewis im „Hamlet“ auf offener Bühne einen Nervenzusammenbruch erleidet und ein Kollege in der laufenden Vorstellung die Rolle übernehmen muss.
Noch tragischer: der Selbstmord eines anderen Kollegen während einer Australien-Tournee. Denn auch hier hieß es: The show must go on.
Streiche auf der Bühne
Doch man erfährt auch, wie sich die Profis oftmals versuchen, aus dem Konzept zu bringen: Da liegt Judi Dench in „Antonius und Kleopatra“ über dem „toten“ Anthony Hopkins, der ihr zuraunt: „Während ihr jetzt den fünften Akt spielt, geh’ ich in meine Garderobe und trinke eine schöne Tasse Tee.“
In einer früheren Szene des Stücks musste sie lange mit zwei Kolleginnen in einem Grabmal ausharren, während vorne gespielt wurde. „Wir haben immer im Dunkeln gehockt und gesponnen, was wir am liebsten zu Abend essen würden.“ Dame Judis Wunsch: Hummer und Champagner. In der letzten Vorstellung überraschten die beiden Kolleginnen sie mit den luxuriösen Leckereien. „Wir mussten allerdings etwas warten, bis Anthony ein bisschen brüllt, damit wir die Flasche aufmachen konnten…“
Ganz schön verwegen: Eine längere Pause, bis ihre Figur Helena in „Ende gut, alles gut“ im Gielgud Theater wieder auftaucht, nutzte sie einmal, um im benachbarten Sondheim Theater im Musical „Les Misérables“ als Statistin auf den Barrikaden zu sterben.
Ich hatte nach der Vorstellung immer da Gefühl, dass ich erst mal unter die Dusche muss.
Judi Dench über „Der Kaufmann von Venedig“
Und so sehr sie Shakespeare liebt, ein Stück hat sie auf dem Kieker: „Der blöde Kaufmann von Venedig. O Gott, den hab ich echt gehasst. Die Figuren verhalten sich allesamt so mies. Nicht einziger, den man da ausnehmen könnte.“ Schrecklicher Höhepunkt: der Antisemitismus, mit dem die Figur des Shylock behandelt wird. „Ich hatte nach der Vorstellung immer da Gefühl, dass ich erst mal unter die Dusche muss.“
Aber auch hier hat sie eine witzige Anekdote parat: „Terry Hands, unser Regisseur, kam einmal hinter die Bühne gerannt und sagte: ‚Wenn ich noch einmal höre, dass hier einer Der Kotzbrocken von Venedig sagt, dann gibts aber Ärger.’
Man kann das Buch also vor dem Besuch des nächsten Shakespeare-Abends zur Hand nehmen (oder danach). Dann weiß man zwar nicht, wie die Schauspielerin auf der Bühne ihre Rolle interpretiert. Aber die Gedanken einen Kalibers wie Judi Dench dazu sind sicherlich nicht der schlechteste Ansatz.
Judi Dench und Brendan O’Hea: Shakespeare Der Mann, der die Miete zahlte“. Aus dem Englischen von Christa Schuenke. Dörlemann, 528 S., 34 Euro.