Forschende haben das derzeit kleinste gemessene dunkle Objekt mithilfe seines Gravitationseffektes nachgewiesen


Überlagerung der Infrarotemission (schwarz-weiß) mit der Radioemission (farbig). Das dunkle Objekt mit geringer Masse befindet sich in der Lücke im hellen Teil des Bogens auf der rechten Seite.
Überlagerung der Infrarotemission (schwarz-weiß) mit der Radioemission (farbig). Das dunkle Objekt mit geringer Masse befindet sich in der Lücke im hellen Teil des Bogens auf der rechten Seite.
© Keck/EVN/GBT/VLBA
Auf den Punkt gebracht
- Gravitationslinsen: Mithilfe der Verzerrungen durch Gravitationslinsen lassen sich die Eigenschaften dunkler Materie untersuchen, obwohl diese kein Licht aussendet.
- Entdeckung: Ein internationales Team hat ein dunkles Objekt im fernen Universum entdeckt, das eine Million Mal so viel Masse wie die Sonne hat. Die Entdeckung basiert auf der Analyse der Gravitationseffekte auf das Licht einer anderen Galaxie.
- Technologie: Ein Netzwerk aus Radioteleskopen weltweit, darunter das Green Bank Telescope, hat die Daten erfasst. Es bildet ein virtuelles Super-Teleskop, das eine bessere Bildqualität ermöglicht. So lassen sich selbst kleine Gravitationssignale erkennen.
Dunkle Materie ist eine rätselhafte Form von Materie, die kein Licht ausstrahlt. Sie ist jedoch für das Verständnis der Entwicklung der vielfältigen Sternen- und Galaxienstruktur, die wir am Nachthimmel sehen, von entscheidender Bedeutung. Da dunkle Materie nicht sichtbar ist, können ihre Eigenschaften nur durch Beobachtung der Wirkung ihrer Gravitation bestimmt werden. Dabei wird das Licht eines weiter entfernten Objekts durch die Schwerkraft des dunklen Objekts verzerrt und abgelenkt. „Die Suche nach dunklen Objekten, die offenbar kein Licht ausstrahlen, ist eindeutig eine Herausforderung”, sagt Devon Powell vom Max-Planck-Institut für Astrophysik und Hauptautor Studie. „Da wir sie nicht direkt sehen können, verwenden wir sehr weit entfernte Galaxien als Hintergrundbeleuchtung, um nach ihren Gravitationsspuren zu suchen.”
Das Team nutzte ein Netzwerk von Teleskopen aus aller Welt, darunter das Green Bank Telescope, das Very Long Baseline Array und das European Very Long Baseline Interferometric Network. Die Daten dieses internationalen Netzwerks wurden am Joint Institute for VLBI ERIC in den Niederlanden korreliert. Dadurch entstand ein virtuelles Super-Teleskop, das die Größe der Erde hat und die subtilen Signale der Gravitationslinseneffekte des dunklen Objekts erfassen konnte. Das Team entdeckte, dass das Objekt eine Million Mal so viel Masse hat wie unsere Sonne und sich in einer entfernten Region des Weltraums befindet, die etwa zehn Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt ist, als das Universum erst 6,5 Milliarden Jahre alt war. Es ist das Objekt mit der geringsten Masse, das je mit dieser Technik gefunden wurde – um einen Faktor 100.
Um diese Empfindlichkeit zu erreichen, musste das Team mithilfe von Radioteleskopen auf der ganzen Welt ein hochauflösendes Bild des Himmels erstellen. John McKean von der Universität Groningen, der Universität Pretoria und dem South African Radio Astronomy Observatory leitete die Datenerfassung und ist Hauptautor einer Begleitveröffentlichung. Er sagte: „Auf dem ersten hochauflösenden Bild sahen wir sofort eine Verengung im Gravitationsbogen. Das war ein eindeutiges Zeichen dafür, dass wir auf der richtigen Spur waren. Nur eine weitere kleine Massenansammlung zwischen uns und der entfernten Radiogalaxie konnte dies verursachen.“
Neue Algorithmen erforderlich


Die Vergrößerung zeigt die Verengung im leuchtenden Radiowellenbogen. Mithilfe der ausgeklügelten Modellierungsalgorithmen des Teams wird die zusätzliche Masse des dunklen Objekts dort gravitativ „abgebildet”. Das dunkle Objekt ist durch den weißen Fleck an der Verengung des Bogens markiert. Bisher konnte jedoch kein Licht von ihm im optischen, infraroten oder radiowellenlangen Bereich nachgewiesen werden.
Die Vergrößerung zeigt die Verengung im leuchtenden Radiowellenbogen. Mithilfe der ausgeklügelten Modellierungsalgorithmen des Teams wird die zusätzliche Masse des dunklen Objekts dort gravitativ „abgebildet”. Das dunkle Objekt ist durch den weißen Fleck an der Verengung des Bogens markiert. Bisher konnte jedoch kein Licht von ihm im optischen, infraroten oder radiowellenlangen Bereich nachgewiesen werden.
© Keck/EVN/GBT/VLBA
Um den riesigen Datensatz zu analysieren, musste das Team neue Modellierungsalgorithmen entwickeln, die nur auf Supercomputern ausgeführt werden konnten. „Die Daten sind so umfangreich und komplex, dass wir neue numerische Ansätze zu ihrer Modellierung entwickeln mussten. Das war nicht einfach, da dies noch nie zuvor gemacht worden war“, sagt Simona Vegetti vom Max-Planck-Institut für Astrophysik. „Wir gehen davon aus, dass jede Galaxie, einschließlich unserer eigenen Milchstraße, mit Klumpen dunkler Materie gefüllt ist. Um sie zu finden und die Fachwelt von ihrer Existenz zu überzeugen, sind jedoch umfangreiche Berechnungen erforderlich.“ Das Team wandte eine spezielle Technik namens Gravitationsbildgebung an, mit der es die unsichtbaren Klumpen dunkler Materie „sehen“ konnte, indem es deren Gravitationslinseneffekt gegenüber dem Lichtbogen abbildete.
„Angesichts der Empfindlichkeit unserer Daten hatten wir erwartet, mindestens ein dunkles Objekt zu finden, sodass unsere Entdeckung mit der sogenannten ‚Theorie der kalten Dunklen Materie‘ übereinstimmt, auf der ein Großteil unseres Verständnisses der Entstehung von Galaxien basiert“, sagt Powell. „Nachdem wir eines gefunden haben, stellt sich nun die Frage, ob wir weitere finden können und ob die Zahlen weiterhin mit den Modellen übereinstimmen.“ Das Team analysiert die Daten nun weiter, um besser zu verstehen, was dieses mysteriöse dunkle Objekt sein könnte. Es untersucht aber auch andere Teile des Himmels, um mit derselben Technik nach weiteren dunklen Objekten mit geringer Masse zu suchen. Werden weitere dieser mysteriösen Objekte in anderen Teilen des Universums gefunden und sollte sich herausstellen, dass sie tatsächlich völlig frei von Sternen sind, könnten einige Theorien zur dunklen Materie ausgeschlossen werden.
Zusätzliche Informationen
Gravitationslinsen sind ein astrophysikalisches Werkzeug, mit dem Forschende die Masseneigenschaften von Strukturen im Universum messen. Es basiert auf Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie, nach der Masse im Universum den Raum krümmt. Wenn die Masse des im Vordergrund liegenden Linsenobjekts ausreichend groß ist, wird das Licht von entfernten Objekten verzerrt, sodass sogar mehrere Bilder zu sehen sind. Im Fall des Systems B1938+666 führt die infrarotleuchtende Galaxie im Vordergrund (in der Mitte des Rings zu sehen) zu einem wunderschönen Einstein-Ring der entfernten Galaxie. Die entfernte Galaxie ist jedoch auch im Radiofrequenzbereich hell und zeigt Mehrfachbilder und Gravitationsbögen (in Rot zu sehen).
Die Radiobeobachtungen wurden mit einer Kombination von Radioteleskopen durchgeführt, die zu einem sogenannten Very Long Baseline Interferometer zusammengefasst wurden. Diese Beobachtungsmethode ermöglicht es Forschende, die Bildschärfe der Daten zu verbessern und sehr kleine Helligkeits Schwankungen aufzudecken, die sonst nicht zu sehen wären. Die Auflösungsleistung der Daten ist beispielsweise um den Faktor 13 besser als die Infrarotbildgebung des adaptiven Optiksystems des W. M. Keck-Teleskops (ebenfalls in den Abbildungen in Schwarz-Weiß dargestellt). Für die Beobachtungen wurden das Green Bank Telescope und das Very Long Baseline Array des National Radio Astronomy Observatory in den Vereinigten Staaten sowie die Teleskope des European Very Long Baseline Interferometric Network verwendet.
Bei der Gravitationsbildgebung handelt es sich um eine neuartige Methode, mit der Astronominnen und Astronomen Masse im Universum „sehen” können, obwohl diese kein Licht aussendet. Dabei werden die ausgedehnten Gravitationsbögen genutzt, um nach kleinen Abweichungen zu suchen, die nur durch eine zusätzliche, unsichtbare Massekomponente verursacht werden können. Durch die Kombination dieser Methode mit der hochauflösenden Bildgebung aus den Daten konnte das Team das derzeit kleinste gemessene dunkle Objekt nachweisen.