Cover Pier Vittorio Tondelli, "Getrennte Räume"

Stand: 10.10.2025 06:00 Uhr

Pier Vittorio Tondellis Werk zählt zu den Klassikern der modernen europäischen Literatur. Sein letzter Roman „Getrennte Räume“ erschien zwei Jahre vor seinem Tod und liegt nun in einer überarbeiteten Übersetzung vor.

von Claudia Cosmo

Die Eröffnungsszene in Pier Vittorio Tondellis Roman „Getrennte Räume“ kommt episch daher und erinnert an Dantes Wanderer, der in der „Göttlichen Komödie“ Himmel und Hölle betritt. Tondellis Hauptfigur Leo befindet sich zwischen den Welten und sitzt in einem Flugzeug von Paris nach München in 8.000 Metern Höhe, umgeben von einem kobaltblauen Himmel und einem Horizont, der safranfarben strahlt. Unter Leo zeigen sich die Alpen, und vor ihm liegt eine schwierige neue Lebensphase:

Einmal mehr kommt ihm mit entsetztem innerem Beben das zu Bewusstsein, was üblicherweise Realität genannt wird, was er jedoch lieber „den gegenwärtigen Stand jenes Traums“ nennt. Thomas ist tot. Seit schon zwei Jahren. Und er selbst ist immer einsamer. Einsamer und noch andersartiger.

Leseprobe

Die Kunst der behutsamen Neuübersetzung

„Getrennte Räume“ – im italienischen Original „Camere Separate“ – erschien zwei Jahre vor Pier Vittorio Tondellis Tod, der 1991 an Aids starb. Im Roman geht es um den erfolgreichen Schriftsteller Leo, der sich in den jüngeren Thomas verliebt und eine Beziehung mit ihm beginnt. Nach einigen Jahren des Zusammenseins verstirbt Thomas plötzlich. Die in außergewöhnlich schöner, zarter und teilweise anspruchsvoller Sprache erzählte Liebesgeschichte wurde von Hinrich Schmidt-Henkel bereits 1989 aus dem Italienischen ins Deutsche übersetzt. Anlässlich der Neuauflage des Buchs hat sich der Übersetzer den Text noch einmal angeschaut: „Ich freue mich wahnsinnig, dass es jetzt ein zweites Leben erhält. Und es ist aufregend, die eigene Arbeit vor so vielen Jahren noch mal kritisch anzuschauen. In Wirklichkeit habe ich relativ viel gemacht. Ich habe vor allem versucht, unnötig komplizierten Satzbau oder etwas pathetisch geratene Wortwahl schlichter zu machen, direkter, gerader. Das passt sehr gut zu dem Text.“

Zeitloses Ringen um Nähe und Distanz

Pier Vittorio Tondellis Roman spielt auf mehreren Zeitebenen. Die Zeit vor, mit und ohne Thomas. Für die Leserinnen und Leser ist der Roman thematisch zeitlos. Alles ist miteinander verknüpft. So empfindet es auch Hinrich Schmidt-Henkel: „Dieses Ringen um Nähe und Distanz, und wie definiere ich eine Beziehung – das ist sehr faszinierend und auch absolut zeitlos.“

Anhand der beiden Figuren Leo und Thomas werden gängige Konzepte des Zusammenseins und der Liebe hinterfragt. Beide wohnen bis zu Thomas‘ Tod in unterschiedlichen Städten und verabreden sich, um gemeinsam zu reisen und Zeit miteinander zu verbringen. Thomas will mit Leo zusammenleben – Leo will das aber nicht und beharrt auf getrennten Räumen.

Literatur als Schutzraum für die Liebe

Pier Vittorio Tondelli verleiht dem Thema des Getrenntseins noch eine weitere Dimension, die in Leos Kindheit und Jugend führt. Schon als Kind entwickelte Leo ein starkes Gefühl des Nichtdazugehörens. Und es ist nicht seine Homosexualität, die ihn von anderen Menschen wie seiner Familie oder seinen Freunden trennt.

Sein Anderssein besteht nicht so sehr darin, dass er keine Arbeit hat, kein Haus, keinen Gefährten und keine Kinder, sondern in seinem Schreiben.

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Für Leo findet das Leben in der Literatur statt. Eine Literatur, die auch scheinbar Getrenntes wieder zusammenführen kann. Pier Vittorio Tondellis Roman „Getrennte Räume“ berührt zutiefst und erweitert letztendlich die Vorstellung von Liebe. Tondelli feiert die Liebe als allumfassende Kraft, die aber nur im Schutz der Literatur unversehrt bleiben kann.

Cover Pier Vittorio Tondelli, "Getrennte Räume"

Getrennte Räume

von Pier Vittorio  Tondelli

Seitenzahl:
240 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
Aus dem Italienischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Verlag:
Gutkind
ISBN:
978-3-98941-034-3
Preis:
25 €

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