„Wir hoffen und bangen“, sagt André Erlen. Zwei Wochen bevor die dritte Auflage des Deutsch-ukrainischen Festivals „Immer wieder Aufbruch“ in Köln startet, gibt es bei dem Künstlerischen Festivalleiter immer noch eine Menge Ungewissheit. So ist immer noch nicht klar, ob die aktuelle Installation „Im Namen der Stadt“ wirklich aus der Ukraine heraus darf. Ebenso wenig ist sicher, ob ihr Erschaffer, der Künstler Kostjantin Zorkin, ausreisen darf.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2021 gilt ein Ausreiseverbot für ukrainische Männer. „Besonders für die Männer in der Ukraine hat sich das Leben wahnsinnig geändert“, weiß Erlen. Er ist mit der ukrainischen Sängerin Mariana Sadovska verheiratet. Das Paar lebt in Köln und ist besonders seit Beginn des Krieges häufig in der Ukraine. Dort hat Erlen in Charkiw auch erstmals die Installation „Im Namen der Stadt“ gesehen, die ihn sehr beeindruckt hat.

Viele Arbeiten von Männern werden präsentiert

Beim diesjährigen Festival haben Erlen und Sadovska besonders viele Arbeiten von männlichen Kollegen nach Köln eingeladen. Einer dieser Kollegen ist Pavlo Yurov, mehrfach ausgezeichneter Regisseur und Dramatiker. „Seit 2023 bin ich Presseoffizier in der Armee“, erzählt Yurov über einen Zoom-Call, während er in Kiew vor dem Monitor sitzt. Seine Arbeit in der Armee besteht im Wesentlichen darin, Journalisten an die Front zu begleiten und Social-Media-Posts zu verfassen. 

Was er sieht und erlebt, verarbeitet er in seiner Freizeit künstlerisch. „Mit der Kunst schaffe ich einen Raum für Reflexion. Ich gehe damit in eine andere Dimension“, sagt Pavlo Yurov. So wie in einem „Audio-Walk“ für Veteranen. „Gedacht war das als therapeutische Hilfe für Menschen, die nach Verletzungen und Amputationen aus der Armee ausgeschieden sind und versuchen, den mentalen Übergang in die Zivilgesellschaft zu schaffen“, erklärt Yurov. In Köln beim Festival werden seine und weitere Texte bei einer geführten Lesung zu erleben sein. Die Aktion findet am Samstag, 25. Oktober, in einem Altstadtkeller in der Nähe des Rathauses statt. Wer dabei sein möchte, bucht vorab eine Zeit über die Festivalseite.

Geschnitzte Objekte sind angeordnet in einer Installation.

Installation „Im Namen der Stadt“.

Spielorte unter der Erde knüpfen an Realität im Kriegsgebiet an

Überhaupt gibt es beim dritten Deutsch-Ukrainischen Festival sehr viele unterirdische Spielorte. „Wir haben das Festival in die Keller gelegt, um das Gefühl zu vermitteln, das die Menschen in der Ukraine haben“, sagt André Erlen. Luftschutzkeller und U-Bahnstationen als Aufenthaltsorte, als Orte für Zusammenkünfte, aber auch für Kultur und Kunst gehören in der Ukraine zum Kriegsalltag. „Viele Begegnungen finden in Schutzräumen statt“, sagt Erlen. Die Kölner Festivalorte sind der Kronleuchtersaal in der Kanalisation, der Santa Clara Keller in der Südstadt, ein Altstadtkeller in der Nähe des Theo-Burauen-Platzes und die Tanzfaktur in Poll.

„Es heißt zwar: ‚Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Musen.‘ Aber das stimmt nicht“, erklärt Pavlo Yurov. Damit spricht er nicht nur für sich, sondern für viele Künstlerinnen und Künstler in der kriegsgeplagten Ukraine. Die grundlegenden Fragen nach Identität, Schmerz, Verlust, Erinnerung, Verbindung und Hoffnung bleiben auch im Krieg. Zum Teil werden sie drängender, zum Teil suchen sie neue Ausdrucksformen. Bei Konzerten, Ausstellungen, Film-Screenings, Lesungen, Talks, Begegnungen und Workshops können die Festival-Besucherinnen und -Besucher Einblicke bekommen – in die Ukraine und in die menschliche Seele.

Referenz an die ukrainische Geschichte

Der Name des Kunstfestivals „Immer wieder Aufbruch“ ist an die ukrainische Geschichte angelehnt. Sie sei geprägt von vielen Versuchen, sich immer wieder zu behaupten, erläutert Erlen. „Die Geschichte der Ukraine ist geprägt von unglaublich viel Gewalt. Und immer wieder gab es einen Aufbruch“, sagt André Erlen und in seiner Stimme schwingt Achtung. Nach den ganzen zerschossenen Träumen, nach den ganzen Traumata gibt es immer noch Kultur und Kunst. Er spüre „eine Energie, dass man wirklich etwas überwinden will.“

Künstlerinnen und Künstler, die nahe der Front arbeiten, in Köln zu präsentieren, ist ihm ein besonderes Anliegen. Auch wenn es nicht leicht ist, die Menschen und ihre Kunst hier hinzubekommen. Die Vitalität und Wahrhaftigkeit von Kunst, die sich im Angesicht von Bedrohung, Terror und Tod den Weg ins Leben bahnt, ist kraftvoll. Da wundert es nicht, dass Erlen optimistisch ist, dass es auf den letzten Drücker noch eine Sondergenehmigung für die Ausreise von Künstlern und Kunstwerken geben wird.  

Immer wieder Aufbruch – Deutsch-Ukrainisches Festival der Kunst, 23. bis 25. Oktober. www.aufbruch-festival.de