Als Schimanski war Götz George ein Superstar. Daher beschlossen die „Tatort“-Macher, den TV-Ermittler ins Kino zu bringen. Viel Aufwand wurde für „Zahn um Zahn“ betrieben, der am 10. Oktober 1985 startete: mehr Action, größere Schauwerte. Doch das Ganze war in mehrerlei Hinsicht gefährlich.
Für „Tatort“-Fans waren die 1980er-Jahre eine aufregende Zeit. Denn sie erlebten eine kleine TV-Revolution, die einigen Mut erforderte: Horst Schimanski nahm in Duisburg seine Ermittlungen als neuer „Tatort“-Kommissar auf.
Das schlug hohe Wellen. Nicht ohne Grund: Die Krimiserie, 1970 erstmals in der ARD ausgestrahlt, spielte damals längst die wohl prominenteste Rolle im deutschen TV-Krimi-Kosmos, für viele war der „Tatort“ allsonntägliches Pflichtprogramm am Abend. Doch so erfolgreich die deutschen TV-Ermittler waren, empfanden sie gerade jüngere Zuschauer als etwas arg nüchtern und betulich.
Dies rief den Drehbuchautor Bernd Schwamm sowie den Regisseur und Drehbuchautor Hajo Gies und Schauspielstar Götz George auf den Plan. Sie entwickelten 1981 einen neuen Typus des deutschen Fernsehkommissars, der das Format ordentlich aufmischen sollte. Schimanski war ganz anders als seine Vorgänger – jung, impulsiv, emotional, bodenständig.
Gies beschrieb die deutsche Fernsehlandschaft der späten 1970er und frühen 80er in einem Interview rückblickend als „recht spießig und langweilig“. Die damaligen „Tatort“-Kommissare wie Heinz Haferkamp (gespielt von Hansjörg Felmy) agierten seriös und neutral, zeigten möglichst wenige Emotionen. „Schimanski sollte das Gegenteil sein, dafür haben wir gekämpft. Aber wir wurden gewarnt, man könne das deutsche Publikum nur ganz langsam an etwas Neues gewöhnen.“ Diese Warnung hätten die Macher aber „komplett ignoriert!“
„Schimi“-Darsteller George legte Wert darauf, dass die Menschlichkeit von Schimanski im Vordergrund stand. In einem Interview sagte George damals: „Ob Sie es glauben oder nicht, Schimanski ist ein Teil von mir. Seine impulsiven Gefühlsausbrüche und seine Art, nicht zu allem geduldig ja und amen zu sagen, sind Wesenszüge, die den meinen sehr stark ähneln. Ich rege mich sehr schnell über Ungerechtigkeiten auf.“
Eberhard Feik spielte Schimis Partner, Freund und charakterlichen Gegenpol: Kommissar Christian Thanner. Ab 1982 kam noch „Hänschen“ dazu (gespielt von Chiem van Houweninge), und aus dem Ermittler-Duo wurde ein Trio.
Der Mut der „Schimi“-Macher zahlte sich aus, ihr Projekt wurde eine große Erfolgsgeschichte, auch wenn sich viele von Beginn an über den „Schmuddelkommissar“, dessen lockere Sprüche, Prügeleien und Bier-Exzesse echauffierten. Die „Bild“ zählte bei jeder neuen Schimi-Folge, wie oft er „Scheiße“ sagte.
Dabei war letzteres von den Machern anfangs gar nicht als bewusste Provokation gedacht gewesen: „Uns ist das gar nicht so aufgefallen. Wir wollten, dass Schimanski nah dran ist an der Realität auf der Straße“, sagte Gies. Viele Sätze der Kritiker legten die Autoren einfach Schimanskis Vorgesetztem Königsberg (Ulrich Matschoss) in den Mund.
Von Anfang an hatten die Fälle des Duisburger Ermittlers hohe Einschaltquoten. Gut 15 Millionen Zuschauer schauten 1981 die Erstausstrahlung von Schimis Debüt an. Bald wurde er immer beliebter. Schon nach dem fünften Schimi-Krimi „Kuscheltiere“ warteten etliche Fans bei den Drehs vor den Hotels, wo George und die Crew logierten, sodass die Macher nicht mehr den Haupteingang benutzen konnten. Die Sets mussten von der Polizei vor den Fans abgeschirmt werden.
Schimanskis enorme Popularität bewog die Macher im Jahr 1984 zu einem weiteren großen Wagnis: den Sprung ins Kino. Einmal mehr erforderte dies viel Mut, denn im Fernsehen war der Ermittler zwar ein Superstar – aber würde dies reichen, um die Zuschauer weg von der heimischen Couch in die Kinos zu locken? Daran zweifelten manche.
Um die Skeptiker erneut eines Besseren zu belehren, betrieben die Schimi-Macher viel Aufwand. Das Kino-Abenteuer „Zahn um Zahn“ sollte das Niveau einer „normalen“ TV-Episode deutlich übersteigen: mehr Action, größere Schauwerte.
Das machte die Produktion gleich doppelt riskant: Neben den unsicheren Erfolgsaussichten an der Kinokasse waren auch die Dreharbeiten durchaus gefährlich. So wurde für die ersten Szenen des Films eine große Straßenschlacht in Duisburg inszeniert, mit hunderten Komparsen inklusive einer Hundertschaft echter Polizisten mitsamt Reiterstaffel sowie echten Motorrad-Rockern.
Zwischen den Gesetzeshütern und den Bikern gab es einige denkwürdige Szenen, sowohl vor als auch hinter der Kamera: Als zwei Polizisten einen Rocker wiedererkannten, dem sie unlängst den Führerschein abgenommen hatten, und monierten, dieser dürfe nicht fahren, erwiderten die Filmemacher, dass der Drehort ja so etwas wie ein Privatgelände sei, und zudem von der Polizei abgesperrt. Aber bei der Fahrt zum Set müsse der Rocker ja am regulären Verkehr teilgenommen haben, erwiderten die Beamten – gaben sich aber schließlich mit der Erklärung zufrieden, die Fahrt habe ein Freund (mit Führerschein) absolviert, aber der sei leider gerade nicht anwesend …
Statt nur in Duisburg und Umgebung ermittelte Schimanski jetzt auch in Marseille. Bei den Dreharbeiten in recht unsicheren Vierteln der für hohe Kriminalitätsraten berüchtigten südfranzösischen Hafenstadt kam es prompt zu diversen Diebstählen, inklusive eines vor der Kamera dringend benötigten Autos. Zur Erleichterung der Filmemacher konnte das Vehikel aber rechtzeitig sichergestellt werden, sodass es deswegen keine Verzögerungen im Drehplan gab.
Am 10. Oktober 1985 lief „Zahn um Zahn“ in den deutschen Kinos an und wurde ein großer Hit. Die Handlung war spannend, die Filmbilder der Leinwand würdig; die Chemie zwischen George und Spielpartnerin Renan Demirkan, die eine investigative Reporterin spielte, stimmte (auch wenn sie am Set selten einer Meinung waren). Und der Titelsong „Faust auf Faust“ von Klaus Lage war ein echter Ohrwurm, der die Atmosphäre des Films perfekt untermalte und ein Top-Ten-Hit wurde.
Die Schimi-Erfolgsgeschichte sollte noch lange andauern. Neben weiteren TV-Episoden legten die Macher 1987 auch mit einem zweiten Kinofilm nach: „Zabou“ war zwar auch erfolgreich, erreichte aber nicht das Niveau des Kino-Erstlings.
29 Folgen (inklusive der Kinofilme) wurden zwischen 1981 und 1991 im Rahmen der „Tatort“-Reihe produziert. Dann nahm sich George eine Auszeit von der Rolle, um Schimi ab 1997 außerhalb des „Tatorts“ in einer separaten TV-Reihe namens „Schimanski“ mit insgesamt 17 Folgen wiederzubeleben. Bis heute hat der TV-Ermittler viele Fans, und in Duisburg wurde 2022 sogar eine Schimi-Bronzebüste aufgestellt – in der Horst-Schimanski-Gasse.
Für WELTGeschichte blickt Martin Klemrath neben klassischen historischen Themen auch regelmäßig auf popkulturelle Phänomene vergangener Jahrzehnte zurück. Darunter ein weiterer Filmklassiker aus dem Jahr 1985: „Zurück in die Zukunft“.