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Sie servieren das Bier, anstatt es zu trinken und arbeiten, anstatt zu feiern. Die Wiesn-Bedienungen sind aus den Zelten nicht wegzudenken.
München – Die erste Wiesn-Woche naht dem Ende, als unsere Redakteurin Alex Schoch, Wiesn-Bedienung im Löwenbräuzelt, bei seiner Arbeit begleiten darf. Sieben Tage hat Schoch schon hinter sich – das sieht man ihm nicht an. Lächelnd und energievoll nimmt er sich vor den ersten Mittagsreservierungen Zeit für ein Gespräch. Seine heisere Stimme weist auf die Lautstärke hin, die erforderlich ist, um im Zelt kommunizieren zu können. Abgesehen davon lässt sich die Motivation des 34-Jährigen deutlich spüren, den arbeitsreichen Tag anzugehen. Durchgetaktet zieht er seinen Gürtel und seine Weste an und bereitet die Tische vor. Als hätte er sein ganzes Leben lang nichts anderes getan.
Seit zehn Jahren ist Schoch Wiesn-Bedienung und macht es mit ganzem Herzen. © Coline FavennecAuf der Wiesn kellnern ist eine Gruppenarbeit: „Wie eine kleine Familie“
Es ist Schochs zehntes Jahr als Wiesn-Bedienung und sein zweites Jahr im Löwenbräuzelt. Eine Ein-Mann-Arbeit ist es jedoch nicht – im Gegenteil. „Wir sind auf unserem Balkon acht Leute“, davon sind sieben Frauen. „Dieser Zusammenhalt ist extrem, jeder hilft jedem, weil es im Endeffekt ein Geldbeutel ist, auf dem wir alle arbeiten“, erklärt Schoch. Seine Kolleginnen nimmt er zur Begrüßung in den Arm. Auch zwischen zwei Bestellungen bleibt die Zeit für eine kurze Umarmung. Das Gefühl einer Arbeitsbeziehung gibt es bei der Warmherzigkeit nicht. Es sei eher „eine kleine Familie, wo man immer wieder zurückkommt, jedes Jahr“, so Schoch.
Je nach Verfügbarkeit kümmert sich eine Person um das Essen und die andere um die Getränke. Feste Zuschreibungen gibt es nicht – alles basiert auf gegenseitige Hilfe. An der Schlange vor der Küche treffen alle Bedienungen des Zeltes aufeinander. Auch hier gilt: „Wir stehen alle in derselben Schlange und wenn ein Kollege nur ein Gericht braucht, dann kann er auch ruhig vor“, berichtet der 34-Jährige. Eng aneinander gedrängt wirkt die Warteschlange wie ein organisiertes Chaos.
Von rechts und links warnen Bedienungen „Achtung! Aus dem Weg!“ oder pfeifen – mit oder ohne Pfeife. Wer seinen Kopf behalten möchte, der sollte den Küchenbereich bei Stoßzeiten weitgehend zu vermeiden. Mit riesigen Schlitten mit einem Gewicht von 40 bis 45 Kilogramm schlendern die Bedienungen durch die vollen Korridore. „Schwierig ist nicht das Gewicht, sondern überhaupt durchzukommen, ohne jemanden zu treffen“, erklärt Schoch mit Tablett über dem Kopf.
Bekannte Namen und spannende Konstellationen: Welche Wirte die großen Wiesn-Zelte betreibenFotostrecke ansehenDie Arbeit als Wiesn-Bedienung: „Es ist eine Sucht“
Trotz Turbulenzen strahlt Schoch eine große Ruhe und Höflichkeit aus. Mit einem durchgehenden Lächeln läuft er von einem Tisch zum anderen. Seine Liebe für diese Arbeit lässt sich leicht aus dem Gesicht ablesen. „Es ist eine Sucht, wenn man einmal angefangen hat, dann will man nicht mehr aufhören und ich werde es so lange machen, wie meine Beine mich tragen“. Eine seiner Kolleginnen ist schon seit 1984 Wiesn-Bedienung auf dem Balkon im Löwenbräuzelt. In 30 Jahren noch dort stehen, ist seine große Hoffnung.
Laut Schoch eine wichtige Voraussetzung, um Wiesn-Bedienung zu sein: „Gastro muss man lieben“. Die Arbeit auf dem Oktoberfest ist ein „hart verdientes Geld“. Nach zwei Wochen „ist dein Körper dann wirklich hin, und das merkt er auch, das sagt er dir“. Die physische Belastung lässt sich im Zelt spüren. Schon ist die Bestellung eingegangen, und Schoch ist auf dem Weg. Die Getränke sind auf der oberen Etage, das Essen jedoch im Erdgeschoss. Mit leeren Händen die Treppe runter, anstehen und mit 40 Kilogramm die Treppe wieder hoch – und das, bei Stoßzeiten, mehrmals die Stunde.
Schoch trägt ein voll beladenes Tablett die Treppe zu dem Balkon hinauf. © Alex Schoch
Ein richtiges Training dafür braucht Schoch nicht. Er ist hauptberuflich Kellner in München. „Ich trainiere quasi das ganze Jahr über“. Für die Wiesn hat er Urlaub beantragt – was er immer macht, um bei unterschiedlichen Veranstaltungen zu bedienen. „Und wenn du noch ein, zwei kleine Feste im Jahr machst, dann ist dein ganzer Jahresurlaub weg“. Seinen Urlaub verbringt der 34-Jährige also bei seiner Arbeit, und für diese brennt er.
Oktoberfest-Bedienung als Zeuge von kuriosen Szenen
Bei den vielen Litern Bier, die jedes Jahr über die Schänke kommen, sind absurde Szenen beim Oktoberfest zu erwarten. Als Bedienung steht Schoch dabei in der ersten Reihe. „Dann zieht sich mal einer aus und rutscht nackt über den rutschigen Holzboden“. Einen weiteren bizarren Auftritt beobachtete er als Bedienung in der Bräurosl. „Es ist schon kurios, Leute mitanzusehen, die etwa an der Leine hereinlaufen“.
Das Gespräch mit unserer Redakteurin wird von einer anfeuernden Menschenmenge unterbrochen. „Irgendjemand versucht mal wieder, ein Bier zu exen“, erklärt Schoch schmunzelnd, „das passiert hin und wieder“. Solche Szenen bringen ihn jedoch nicht aus der Ruhe: „Gleich wieder Tunnelblick und weiterarbeiten“.
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„Das ist das größte Volksfest der Welt, und ich bin da Bedienung“
Auf die Wiesn gehen, ist keine private Angelegenheit für Schoch. „Also früher vor elf, zwölf Jahren bin ich mit meinem Papa auf die Wiesn gegangen“. Aber mittlerweile habe er die Zeit „schon fast verdrängt“. „Ich kenne nur die Zeit im Zelt und das ist auch das Schönste“. Eine strenge Trennung von Arbeit und Privatleben ist aber nicht zu spüren. An diesem Tag muss er Ehrengäste bedienen: Sein Vater feiert nämlich mit der Familie auf dem Balkon seinen Geburtstag. Ein Moment, von dem er sich wünscht, dass er zu einer jährlichen Tradition wird.
Zwischen einer herzlichen Arbeitsatmosphäre und einem familiären Gefühl lässt sich schnell die übermäßige Größe des Festes vergessen. Während Schoch in Erinnerungen schwelgt, muss er sich immer wieder sagen: „Das ist das größte Volksfest der Welt und ich bin da Bedienung.“ In seinen Augen öffnet die Arbeit auf der Wiesn die Türen für alle gastronomische Berufe: „Wenn man es auf der Wiesn geschafft hat, dann kannst du eigentlich alles machen“.
In seinem zehnten Jahr als Wiesn-Bedienung hat sich für Schoch nichts Großes am Fest verändert. „Die Leute sind immer noch gleich lustig, gleich großzügig, gleich sparsam“, erklärt er. Als Bedienung „merkt man auf jeden Fall, ob es jemand das zweite oder das 15. Jahr macht“. Insbesondere das Zeitmanagement würde über die Jahre besser werden. „Am Anfang ist man schussliger, man vergisst oft Sachen, man geht immer zweimal.“ Das ist Schoch heute nicht mehr anzusehen. Trotz des ununterbrochenen Flusses von Menschen und Geräuschen gelingt es ihm, unserer Redakteurin seine volle Aufmerksamkeit zu schenken und immer ein offenes Ohr und Auge zu haben. Seine Art und Weise, die Arbeit als Wiesn-Bedienung anzugehen, lässt die Hektik und den Stress im Zelt vergessen. (Quelle: eigene Recherche)