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PARIS – Premierminister Sébastien Lecornu ist weg – das Defizit bleibt. Und offenbar auch die Zucman-Steuer.

Als Lecornu im September sein Amt antrat, lehnte er die Idee einer Zwei-Prozent-Abgabe auf die Superreichen entschieden ab. Doch kurz vor Ablauf der umstrittenen Haushaltsfrist gewinnt der Vorschlag des 38-jährigen Ökonomen Gabriel Zucman an Dynamik – nicht nur in Paris, sondern in ganz Europa. Und er dürfte die nächste politische Krise überdauern.

„Die französische Debatte über eine gerechtere Besteuerung der Reichsten befeuert auch Diskussionen in anderen Ländern“, sagt Quentin Parrinello, Direktor für öffentliche Politik am European Tax Observatory, das Zucman selbst leitet.

Belgien etwa will sein Image als „Steueroase“ ablegen und führt ab Januar eine zehnprozentige Steuer auf Kapitalerträge aus Finanzanlagen ein.

In Deutschland, der größten Volkswirtschaft der EU, könnte das politische Tabu rund um die Erbschaftsteuer bald fallen – vorausgesetzt, das Bundesverfassungsgericht kippt die geltende Regelung im Herbst.

„Wir hatten in den letzten Jahren, gerade in der Niedrigzinsphase, die Situation, dass Vermögen eigentlich ohne größeres eigenes Zutun von alleine fast gewachsen ist“, erklärte CDU-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn im September. Mit seiner Kritik an der ungleichen Vermögensverteilung brachte er damit Thema erstmals auch in konservative und wirtschaftsliberale Politikkreise ein.

Derzeit ist Spanien das einzige EU-Land mit einer umfassenden Vermögensteuer. Frankreich, Italien, Belgien und die Niederlande haben dagegen nur eingeschränkte Varianten, die sich auf bestimmte Vermögenswerte konzentrieren, nicht auf das Gesamtvermögen.

EU-weit zeigt die Debatte, wie unzureichend bestehende Systeme extreme Vermögen erfassen. „Wenn Milliardäre keine Steuern zahlen, dann liegt das daran, dass unsere modernen Steuersysteme – basierend auf Einkommensteuer, Verbrauchsteuer und Unternehmenssteuer – die Superreichen nicht angemessen erfassen“, so Parrinello.

„Wenn Sie sehr wohlhabend sind, können Sie Ihr Vermögen und Ihre wirtschaftlichen Einkünfte so strukturieren, dass praktisch kein steuerpflichtiges Einkommen anfällt“, sagt er.

Die Zucman-Steuer: Abgabe entscheidet über Frankreichs Haushaltsstreit

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Kann die EU handeln?

Die Steuerpolitik liegt weiterhin in nationaler Zuständigkeit – das begrenzt Brüssels Möglichkeiten, gegen Steuerbetrug, -vermeidung und aggressive Steueroptimierung vorzugehen.

Laut Nicolas Véron, Mitgründer des Brüsseler Thinktanks Bruegel, ist eine EU-weite Vermögensteuer „praktisch unmöglich“, solange es keine Vertragsänderung gibt. „Es gibt keine Aussicht auf eine europäische Steuer auf große Vermögen“, sagt er.

Trotzdem fordern einige in Brüssel, die Debatte neu zu eröffnen. „Das beste System ist eines, das auf supranationaler Ebene funktioniert“, sagte Valérie Hayer, Vorsitzende der liberalen Fraktion Renew Europe, gegenüber Euractiv. „Im Zeitalter mobiler Kapitalströme ist die nationale Ebene nicht immer die relevanteste.“

Auch wenn das Europäische Parlament in Steuerfragen keine Gesetzgebungskompetenz hat, unterstützt Hayer die Idee einer europäischen Steuer für Superreiche.

„Die EU kann bei Wettbewerbsverzerrungen Fortschritte machen, um den Binnenmarkt zu schützen – so wie bei der Mindeststeuer für multinationale Unternehmen“, stimmt Parrinello zu.

Tatsächlich hat die EU seit 2024 eine Mindestbesteuerung von 15 Prozent für Unternehmensgewinne eingeführt. Im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen ist zudem eine neue Abgabe auf Unternehmensgewinne geplant, bekannt als CORE.

Véron bleibt skeptisch: „Wir können Unternehmensbesteuerung nicht einfach auf Privatpersonen übertragen“, sagt er.

Was Staaten letztlich bremst, ist die Angst vor Kapitalflucht. Würde die EU ohne globale Koordination vorangehen, könnten Superreiche ihre Vermögen einfach ins Ausland verschieben.

„Am Ende läuft die Debatte darauf hinaus, ob wir Steuervermeidung und unfaire Steuerkonkurrenz weiter hinnehmen – oder ob wir sie regulieren“, sagt Parrinello. „Das ist eine Frage der politischen Vision. Denn unfaire Steuerkonkurrenz ist kein Naturgesetz, sondern eine politische Entscheidung.“

(mm, cs)