Seit es den Superblock in Stuttgart gibt, wird über ihn gestritten. Vor allem drei Veränderungen versprach man sich von dem Verkehrsversuch. Eine Fachfrau macht den Realitätscheck.

Wie es mit dem ersten und bislang einzigen Stuttgarter Superblock weitergeht, steht derzeit in den Sternen. Der ursprünglich angesetzte Zeitraum für den Verkehrsversuch in der Augustenstraße ist vorbei, nun läuft die Bewertungsphase.

Franziska Bettac kennt sich mit dem Thema besonders gut aus. Die Architektin arbeitet als Projektleiterin für die Internationale Bauausstellung (IBA) 2027 in Stuttgart, zu deren Netzwerk auch die zivilgesellschaftliche Initiative für den Superblock gehört. Aber nicht nur das: Bettac wohnt in der Reuchlinstraße, gewissermaßen am Rande des Superblocks, ist also selbst Anwohnerin. Für unsere Redaktion trifft sie eine Einschätzung, inwiefern die Ziele des Versuchs erreicht wurden – und wo noch Luft nach oben ist.

Ziel eins: Mehr Ruhe für Anwohner im Superblock Stuttgart

Das offensichtlichste – und wohl auch umstrittenste – Merkmal des Superblocks dürfte die neue Verkehrsführung sein. Poller unterteilen seit Beginn des Versuchs die Augustenstraße, eine direkte Durchfahrt ist nicht mehr möglich. Bettac zufolge hat sich dadurch der gewünschte Effekt eingestellt: „Die Verkehrsberuhigung ist auf jeden Fall da.“

Die Architektin nennt dabei neben dem reduzierten Lärm noch einen weiteren positiven Aspekt für die Anwohnerinnen und Anwohner: die Sicherheit auf der Straße. „Meine Tochter hat hier das Fahrradfahren gelernt“, erzählt sie und fügt hinzu: „Vor einem Jahr hätte das womöglich noch nicht funktioniert.“

Aus ästhetischer Sicht gebe es allerdings noch Verbesserungsmöglichkeiten, sofern es mit dem Projekt weitergeht. „Man sollte das noch schöner und sorgfältiger gestalten“, sagt Bettac beispielsweise über die Poller und die Absperrungen an den neu geschaffenen Sitzgelegenheiten. Dabei handle es sich um einen wichtigen Aspekt, denn: „Gute Gestaltung führt auch zu mehr Akzeptanz.“

Ziel zwei: Mehr Räume in Stuttgart ohne Konsumzwang

Der Verkehrsberuhigung soll es für die Menschen attraktiver machen, sich im Superblock entlang der Straße aufhalten. Darauf zielen auch die hölzernen Sitzgelegenheiten ab, die auf ehemaligen Parkflächen eingerichtet wurden – im Fachjargon „Parklets“ genannt. Sie stellen konsumfreie Treffpunkte im öffentlichen Raum dar – zumindest in der Theorie. Einige Anwohnerinnen und Anwohner berichten jedoch, dort nur selten jemanden zu sehen.

Franziska Bettac regt an, über die Funktion der Parklets noch einmal nachzudenken. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Bettac weist darauf hin, dass die Aufenthaltsqualität von öffentlichen Räumen nicht nur daran festzumachen sei, wie viele Menschen dort herumsitzen und etwas essen oder trinken. So könne etwa eine Bank zwischen zwei Bäumen einen bestimmten Zweck erfüllen. Bettac sagt: „Da halte ich mich vielleicht nicht den ganzen Nachmittag auf, aber mache eine kurze Pause, wenn es mir im Sommer zu warm wird oder ich mich während eines Starkregens unterstellen muss.“

Denkbar seien auch Reparatur-Parklets für Menschen, die weder eine Werkstatt im Haus noch einen Innenhof haben. „Sich noch mal genau zu überlegen, welche Funktion erfüllt welches Parklet zu welcher Jahreszeit und im Wechselspiel mit Gebäude und Straße, das wäre eine sorgfältige Gestaltung.“ Daran mangele es in der provisorischen Variante des Superblocks noch, sagt Bettac.

Ziel drei: Mehr Grün in einem von Hitze betroffenen Stuttgart

Langfristig gesehen sollen Superblocks dazu beitragen, Städte widerstandsfähiger gegen die Hitze zu machen. Dieses Argument birgt Bettac zufolge das größte Potenzial, auch Skeptiker von der Idee zu überzeugen. „Dass wir aufgrund des Klimawandels mehr Grün in der Stadt brauchen, dürfte kaum jemand bezweifeln“, sagt die 43-Jährige.

Gleichzeitig sieht sie hier noch viel Nachholbedarf, denn die bisherigen Pflanzenkübel im Stuttgarter Superblock seien nicht ausreichend. „Das Allerwichtigste wäre, dass so schnell wie möglich bodengebundene Bäume gepflanzt werden“, sagt Bettac. Dafür müsse man auch über unkonventionelle Lösungen nachdenken, die beispielsweise den Straßenquerschnitt anders aufteilen würden.

Fazit: Viel Luft nach oben im Superblock in Stuttgart

Bei der Form der Verkehrseinschränkungen, bei der Funktion der Parklets und vor allem beim Thema Begrünung – Franziska Bettac sieht im Superblock einige Verbesserungsmöglichkeiten. Ingesamt sei der bisherigen Umsetzung der Versuchscharakter noch deutlich anzumerken. „Ich würde mir einfach mehr Mut wünschen“, sagt die IBA-Architektin.

Bei allem Optimierungsbedarf ordnet sie das Projekt aber grundsätzlich als wichtigen und richtigen Ansatz ein. „Das ist für mich auch nichts Optionales, weil der Klimawandel eben da ist und wir die Städte dafür fit machen müssen.“ Nun hofft die Bettac, dass der Stuttgarter Stadtrat das ähnlich sieht – und der Superblock in der Augustenstraße eine Zukunft hat.

Initiative und Verkehrsversuch

Zivilgesellschaft
Die Idee für den Superblock geht zurück auf den Verein Quartierswerkstatt Augustenstraße. Er arbeitet auch weiterhin daran, das Projekt voranzutreiben. Die Ehrenamtlichen meint Bettac nicht, wenn sie sich bei der Umsetzung mehr Mut wünscht. Denn von ihnen gehe bereits ein enormer Schwung aus. „Das sollte man wertschätzen und stützen, was die da leisten“, fordert die Architektin.

Behörde
Nach einem Verkehrsgutachten stimmten der Bezirksbeirat West und der Gemeinderat einem Verkehrsversuch in der Augustenstraße und umliegenden Querstraßen zu. Die Einrichtung erfolgte dann im Frühjahr 2024 durch eine verkehrsrechtliche Anordnung der Verkehrsbehörde. Der Versuch wird wissenschaftlich begleitet und nun ausgewertet.