Die Ankündigungen, die etwa Bundeskanzler Friedrich Merz oder EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zuletzt machten, lieferten gute Schlagzeilen: Die Europäer würden eingefrorene Gelder Russlands für die Aufrüstung der Ukraine nutzen. So lautet zumindest der heikle Plan. Rund 140 Milliarden Euro des russischen Zentralbankguthabens, das derzeit beim belgischen Zentralverwahrer Euroclear liegt, sollen von der EU-Kommission als „Reparationskredit“ an Kiew weitergereicht werden. Der Plan klingt verlockend: Die nationalen Haushalte blieben verschont, die Ukraine erhält die dringend benötigten Hilfen und der Druck auf den Kreml steigt.

Aber das Kleingedruckte jenseits der jüngsten Schlagzeilen enthält zahlreiche offene Fragen, wie auch Lars Klingbeil am Freitag beim Treffen der EU-Finanzminister in Luxemburg zugeben musste. „Es geht darum, dass das Ganze rechtssicher ist“, sagte der SPD-Vorsitzende. Er verwies zwar auf „Fortschritte“ in den letzten Wochen, ungeklärt aber blieb, ob diese angesichts der juristischen, politischen und technischen Schwierigkeiten ausreichen, damit sich die Mitgliedstaaten beim EU-Gipfel in zwei Wochen zumindest auf eine politische Grundsatzeinigung verständigen können. Erst dann könnte die Kommission einen konkreten Vorschlag präsentieren, sodass eine Entscheidung vor Anfang 2026 unwahrscheinlich ist.

Belgien warnt vor „riskantem Spiel“

Das politische Ziel sei klar, sagte Klingbeil zuversichtlich. Und: Er sei sich „sicher“, dass am Ende „Putin auch für seinen Krieg bezahlt“. Doch nicht alle EU-Partner klingen ähnlich optimistisch. Vornweg Belgien, wo Euroclear seinen Sitz hat, weist seit Wochen auf die Gefahren hin. Premierminister Bart de Wever warnte gar vor einem „riskanten Spiel“. Belgien hat insbesondere Angst, im Zweifel für das Geld haften zu müssen. Es will deshalb einer Verwendung der Vermögen lediglich zustimmen, wenn die Summe von den Mitgliedstaaten gemeinsam abgesichert wird, das heißt, dass alle oder zumindest die meisten EU-Länder anteilig für mögliche Ausfälle haften müssten. Eine andere Möglichkeit wäre, den EU-Haushalt zu belasten. Russland soll die Milliarden nur dann zurückbekommen, wenn es nach einem Ende des Krieges Reparationszahlungen leistet.

Für den Fall, dass die eingefrorenen russischen Gelder unerwartet wieder freigegeben werden müssen, sollen die EU-Länder Garantien leisten. Deren Zusage ist aber längst nicht ausgemacht. Nicht nur sträubt sich Dauerblockierer Ungarn, einige Länder befürchten darüber hinaus zusätzliche Schulden für ihren eigenen Haushalt im Fall eines Kreditausfalls. „Wir werden alles tun, um alle Länder für diesen Plan zu gewinnen“, sagte die schwedische Finanzministerin Elisabeth Svantesson am Freitag.

Internationales Recht soll gewahrt bleiben

Der Plan ist rechtlich komplex, da die EU eine direkte Beschlagnahmung der Gelder vermeiden will, um Reputationsschäden für ihr Finanzsystem und den Euro sowie gerichtliche Anfechtungen zu verhindern. Erst diese Woche hatte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, betont, dass jede Entscheidung der Union über die Verwendung eingefrorener russischer Staatsvermögen zur Unterstützung der Ukraine im Einklang mit internationalem Recht stehen müsse. Die EZB verfolge diesen Prozess „sehr aufmerksam“.

Hinter den Kulissen werden EU-Vertreter nicht müde zu betonen, dass es sich keineswegs um eine Enteignung handeln würde, da die Vermögenswerte selbst „unangetastet“ bleiben, ergo: Das Geld geht an das kriegsgebeutelte Land, ohne dass man es vorher beschlagnahmt. Gleichwohl geben Brüsseler Beamte zu, dass man erst in einigen Jahren oder eher Jahrzehnten sehen könnte, ob es tatsächlich zu einer Enteignung komme – dann nämlich, wenn die Ukraine die Kredite nicht zurückzahlen kann.

Ungarn und Slowakei könnten Plan durchkreuzen

Ebenfalls als Hürde auf dem Weg zum Zugriff russischen Geldes wird außerdem betrachtet, dass die Mitgliedstaaten eine Sache garantieren müssen: Dass das Zentralbankguthaben eingefroren bleibt. Dies – und damit der Zugang zu dem Vermögen – ist Teil der Sanktionen gegenüber Russland, die alle sechs Monate einstimmig verlängert werden müssen. Wie also kann Brüssel sicherstellen, dass ein Widerstand aus Ungarn oder der Slowakei nicht den gesamten Plan durchkreuzt? Die Bedenken, vor allem aus Belgien, müssten ernst genommen werden, sagte Finanzminister Klingbeil. Doch er sei sicher, dass sich „am Ende Wege finden lassen“.