Im Kino Babylon am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz traf sich am Freitagabend eine besondere Gruppe, um über „Krieg und Frieden“ zu diskutieren: Auf dem Podium in einem restlos ausverkauften Saal saßen Holger Friedrich, Verleger der Berliner Zeitung, Kay-Achim Schönbach, Vizeadmiral a. D. der Deutschen Marine der Bundeswehr, sowie Michael von der Schulenburg und Martin Sonneborn, beide Mitglieder des Europäischen Parlaments. Den Austausch moderierte Florian Warweg, Journalist für die NachDenkSeiten in der Bundespressekonferenz, der mit einem fiktionalen Gedankenspiel den Abend eröffnete. Er bat die Diskutanten, sich vorzustellen, sie würden in einer besseren Welt Ministerposten in einer deutschen Bundesregierung übernehmen. Was würden sie tun?

Michael von der Schulenburg bekam die Rolle des Außenministers zugeteilt. Der ehemalige UN-Diplomat erzählte, dass er sofort Verhandlungen mit Russland aufnehmen würde, um alles dafür zu tun, um das Töten in der Ukraine zu stoppen. Kay-Achim Schönbach sollte sich in die Rolle des Verteidigungsministers hineinversetzen. Er erzählte, dass er die Steuerverschwendung in der Bundeswehr beenden und mit knapperen Mitteln eine einsatzfähigere Truppe formieren würde. Holger Friedrich, am linken Rand der Bühne sitzend, bekam die Rolle eines Ministers für Agitprop zugeteilt. Der Verleger sagte, er würde alle staatlichen Zuwendungen für Medien streichen, diese Mittel in Bildung investieren und anschließend sein Ministerium wieder auflösen. Das Publikum quittierte die Idee mit zustimmendem Applaus. Martin Sonneborn bekam die Rolle des Bundeskanzlers überantwortet. Der EU-Parlamentarier verriet, er würde als Erstes den Verteidigungsminister rausschmeißen und dann ein altes Wahlversprechen seiner Satirepartei endlich wahr machen – die Berliner Mauer wieder hochziehen. „Ich glaube, meine Idee stieße heute in beiden Teilen Deutschlands auf viel Unterstützung“, scherzte Sonneborn.

Nicht alle wollten mitdiskutieren: Vor dem Babylon wurde ein Protest gegen die Veranstaltung organisiert.

Nicht alle wollten mitdiskutieren: Vor dem Babylon wurde ein Protest gegen die Veranstaltung organisiert.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Risiken einer Remilitarisierung

Der Abend sollte aber nicht so humorvoll weiterverlaufen. Im nächsten Teil wurden ernsthafte, ja geradezu zivilisatorische Themen diskutiert: die Sinnhaftigkeit der europäischen Aufrüstung, die aktuelle Kriegsgefahr, der eskalierende Konflikt in der Ukraine. Moderator Warweg wollte wissen, wie die viel diskutierten Drohnensichtungen in Dänemark und Deutschland zu bewerten seien. Der Moderator erinnerte daran, dass in einigen Fällen erst behauptet wurde, dass russische Drohnen den Flugverkehr an Europas Flughäfen lahmgelegt hätten. Dann habe sich dies zum Teil als Fehleinschätzung herausgestellt. Wurde die Kommunikation mit Absicht falsch lanciert? Kay-Achim Schönbach sagte, man müsse klar feststellen, dass es politische Interessen gäbe, Zwischenfälle mit Drohnen als Aggression von Drittstaaten darzustellen, um der Bevölkerung Angst zu machen. „Da stecken politische Interessen dahinter“, sagte Schönbach. Michael von der Schulenburg bestätigte, dass sich der ganze europäische Kontinent auf Kriegskurs befindet und dass auch die EU die Vorbereitung auf eine kriegerische Auseinandersetzung – vor allem mit Russland – als oberste Priorität ansieht. „Das EU-Parlament hat sich thematisch verselbstständigt“, sagte er. Sonneborn bestätigte dies. Nur ein kleiner Teil der EU-Parlamentarier würde über diplomatische Strategien nachdenken. Die große Mehrheit im Parlament sehe eine militärische Konfrontation mit Russland als geradezu alternativlos an. „Es herrscht dort eine unangenehme Stimmung“, fügte Sonneborn hinzu.

Der Verleger der Berliner Zeitung bedauerte diesen Zustand. Holger Friedrich erinnerte an 1989 und an 1999, an eine Ära in Deutschland also, die er mit dem Fall der Mauer und einer friedlichen Love Parade in Berlin emotional verbinde. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass wir uns im Jahr 2025 wieder über Aufrüstung oder die Wiedereinführung der Wehrpflicht unterhalten.“ Friedrich drückte sein Bedauern darüber aus, dass so wenig darüber diskutiert wird, mit welchen Risiken eine Remilitarisierung der Gesellschaft und eine Ausweitung des Konflikts mit Russland einhergehen würde. „Vielleicht würden wir einen Krieg mit Russland gewinnen. Aber wir würden dabei eine Zivilisation verlieren.“ Es sei die erste Pflicht eines Staates, mit anderen Ländern in Frieden zu leben. Das sei seine Erwartung an die Politik. Holger Friedrich hoffte darauf, dass sich Staaten in naher Zukunft dafür bereit zeigten, ihr Gewaltmonopol an eine neutrale Instanz abzugeben. „Das Mittel der Gewalt kann kein akzeptiertes Mittel der Auseinandersetzung sein.“

Das Babylon war am Freitagabend ausverkauft.

Das Babylon war am Freitagabend ausverkauft.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Das Risiko einer Aufrüstungsspirale

Michael von der Schulenburg verwies auf die UN-Charta. Deren Inhalt spiele in der medialen Öffentlichkeit kaum noch eine Rolle, dabei sei sie ein nach dem Zweiten Weltkrieg kongenial verfasstes und von allen Mitgliedsstaaten der UN ratifiziertes Dokument. „Deutschland hat es unterzeichnet, die USA haben es unterzeichnet, auch Russland hat es unterzeichnet“, so Schulenburg. Das oberste Gebot dieser Charta sei die Einhaltung des Weltfriedens. Alles staatliche Handeln sei diesem Gebot unterzuordnen. Dieses Prinzip, zu dem sich alle UN-Staaten verpflichtet hätten, sei in Vergessenheit geraten. Kay-Achim Schönbach, Vizeadmiral a. D. der Deutschen Marine der Bundeswehr, bedankte sich für den Hinweis, sagte aber zugleich, dass die Realität nun mal eine andere sei. Staaten würden ihre Interessen mit aller Gewalt durchsetzen, das sei heute mehr denn je der Fall. Darauf müssten sich auch Demokratien vorbereiten. Er plädierte für das Igel-Prinzip: Staaten müssten sich in einen wehrfähigen Zustand versetzen, um sich im Ernstfall verteidigen zu können. Zur UN-Charta bestünde hier kein Widerspruch. Schönbach zitierte eine lateinische Weisheit: „Wer den Frieden will, sollte sich auf den Krieg vorbereiten.“

Schulenburg ließ diesen Einwand nicht gelten. Diese Art von Argumentation würde eine Aufrüstungsspirale nach sich ziehen und schlimmstenfalls im Dritten Weltkrieg münden. Kay-Achim Schönbach widersprach und zitierte ein Beispiel: „Wäre die Ukraine 2022 so aufgerüstet gewesen, wie sie es heute ist – der Krieg hätte vermutlich nie stattgefunden.“ Der EU-Parlamentarier zollte dem ehemaligen General seinen Respekt, warf aber ein, dass er die Gründe für die Eskalation im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine anders bewerte: Der Westen habe eine Mitschuld an der russischen Aggression, weil er sich vor 2022 an diplomatischen Initiativen nicht ernst genug beteiligt hätte. Wenige Tage nach dem Beginn der russischen Vollinvasion, als der ukrainische Präsident Selenskyj noch selbst an ein rasches Kriegsende geglaubt hätte, habe der Westen eine Verständigung mit Russland torpediert und diplomatischen Spielraum verstreichen lassen. Schulenburg verwies auf die gescheiterten Istanbul-Verhandlungen. Boris Johnson trage hier eine besondere Verantwortung.

Verleger Holger Friedrich und Kay-Achim Schönbach, Vizeadmiral a.D., im Gespräch

Verleger Holger Friedrich und Kay-Achim Schönbach, Vizeadmiral a.D., im GesprächMarkus Wächter/Berliner Zeitung

Die falschen Politiker

Im letzten Teil des Abends wurde konstatiert, dass in Deutschland viel zu wenig über ein friedliches Europa nachgedacht werde. Es fehle an Vorbildern. Holger Friedrich verwies auf die transformatorische Leistung der Ostdeutschen. Sie hätten gezeigt, wie man ein dysfunktionales System ohne Blutvergießen aufgibt und sich in einer neuen Realität gewaltfrei wiederfindet und einrichtet. Der Westen würde heute ebenso eine Transformationserfahrung durchmachen: Erstmals sei sein Monopol von den Brics-Staaten und der wachsenden chinesischen Macht bedroht. Wird der nächste Schritt der globalen Transformation friedlich verlaufen? Die Diskutanten auf der Bühne wünschten es sich. Zumal die Ostdeutschen es bewiesen hätten, dass es geht. Diese einmalige zivilisatorische Leistung sei nie genug gewürdigt worden, so Friedrich. Daher plädierte er für einen mutigen Schritt: Nicht Donald Trump müsste einen Friedensnobelpreis bekommen, sondern zu zunächst einmal die Ostdeutschen.

Martin Sonneborn widersprach nicht. Er verwies am Ende des Abends auf ein Repräsentations- und Demokratieproblem: Immer mehr europäische Regierungschefs wie Macron und Starmer würden nicht mehr den Willen ihrer Völker repräsentieren. Auch Friedrich Merz sei auf dem besten Weg, so unbeliebt zu werden wie Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz, so Sonneborn. Die Anwesenden auf der Bühne – und dem Applaus nach zu urteilen: auch viele Menschen im Saal – waren sich darin einig, dass eine Mehrheit der Europäer Frieden will – nur dass die falschen Politiker an der Macht sind, um diesen Frieden zu wahren. 

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